Leitsatz
Bei der Anwendung der 183-Tage Regelung des Art. 13 Abs. 4 Nr. 1 DBA-Frankreich zählen nur solche Tage als Aufenthaltstage im Inland, an denen sich die in Frankreich ansässige Person berufsbedingt physisch im Inland aufhält. Danach fallen Wochenenden und Feiertage, an denen sich die Person nicht berufsbedingt physisch im Inland aufhält, nicht unter die 183-Tage Regelung.
Sachverhalt
Der französische Kläger hatte seinen einzigen Wohnsitz in der Grenzzone Frankreichs. Er war für seinen in Frankreich ansässigen Arbeitgeber in Deutschland tätig, und zwar im Jahr 2001 an 166 Werktagen und im Jahr 2002 an 157 Werktagen. Dabei pendelte der Kläger arbeitstäglich zwischen seinem französischen Wohnsitz und der deutschen Einsatzstelle. Die Wochenenden wurden nicht in Deutschland verbracht. In Deutschland wurde keine Lohnsteuer abgeführt. Das Finanzamt forderte den Kläger auf, eine deutsche Steuererklärung abzugeben. Der Kläger erwiderte, dass nach Art. 13 Abs. 4 DBA-Frankreich das Besteuerungsrecht im Ansässigkeitsstaat Frankreich und nicht im Inland liege, da er sich jeweils an weniger als 183 Tagen im Jahr in Deutschland aufgehalten habe. Das Finanzamt vertrat dagegen die Auffassung, dass die vom Kläger im Inland erzielten Einkünfte nach Art. 13 Abs. 1 DBA-Frankreich in Deutschland zu besteuern seien. Die Voraussetzungen der Ausnahmeregelung des Art. 13 Abs. 4 DBA-Deutschland lägen nicht vor, da sich der Kläger länger als 183 Tage im Inland aufgehalten habe. Nach der zwischen Deutschland und Frankreich getroffenen Verständigungsvereinbarung vom 16.2.2006 würden bei der Berechnung der Aufenthaltsdauer auch Sonn- und Feiertage als Tage des Aufenthalts im Beschäftigungsland mitgezählt. Der Kläger habe sich nach dieser Zählweise im Jahr 2001 an 192 Tagen und im Jahr 2002 an 185 Tagen im Inland aufgehalten.
Entscheidung
Die Klage ist begründet. Die für die Tätigkeit in Deutschland erzielten Einkünfte des Klägers unterliegen nach Art. 13 Abs. 4 DBA-Frankreich nur dem Besteuerungsrecht Frankreichs. Art. 13 Abs. 1 DBA-Frankreich weist das Besteuerungsrecht für Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit grundsätzlich dem Tätigkeitsstaat zu, d.h. in diesem Fall Deutschland. Hiervon ergibt sich aber eine Ausnahme, wenn sich der Empfänger in Deutschland insgesamt nicht länger als 183 Tage während des Steuerjahrs aufgehalten hat und die Vergütungen nicht von einem deutschen Arbeitgeber oder einer deutschen Betriebsstätte gezahlt wurden. Das Gericht bestimmt, dass bei der Auslegung des Art. 13 DBA-Frankreich zu berücksichtigen ist, dass sich die Regelung an der 183-Tage Regelung des Art. 15 Abs. 2 des OECD-Musterabkommens orientiert, nach dem nur die Tage physischer Anwesenheit im Inland zu berücksichtigen sind. Die zwischen Deutschland und Frankreich getroffene Verständigungsvereinbarung entfalte daher keine Wirkung. Somit hat sich der Kläger in den Streitjahren jeweils weniger als 183-Tage im Inland aufgehalten.
Hinweis
Das Urteil ist sehr zu begrüßen, da der Senat ausdrücklich der Auslegung nach dem Sinn und Zweck des Doppelbesteuerungsabkommens den Vorrang gegenüber der Auslegung nach nationalem Recht gewährt. Diese - vollkommen korrekte - Auslegung wird von anderen Finanzgerichten und auch vom BFH teilweise anders behandelt. Da Revision zugelassen wurde, ist wohl die endgültige Entscheidung durch den BFH abzuwarten. Momentan ist in ähnlich gelagerten Fällen bereits bei der Vertragsgestaltung darauf zu achten, dass zur Vermeidung des Besteuerungsrechts Deutschlands nicht das gesamte Jahr über an allen Werktagen nach Deutschland gependelt wird, da anderenfalls die 183-Tage Grenze überschritten wird.
Link zur Entscheidung
FG Baden-Württemberg, Urteil vom 12.01.2011, 2 K 73/07