Leitsatz
Wenn ein Bediensteter einer zwischenstaatlichen Einrichtung, der seinen Wohnsitz und Beschäftigungsort im Inland hat, von der Einrichtung Arbeitslohn bezieht, der aufgrund einer Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Organisation einkommensteuerfrei ist, können die damit in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang stehenden, an ein eigenes Sozialversicherungssystem der Einrichtung gezahlten Vorsorgeaufwendungen nicht als Sonderausgaben abgezogen werden.
Normenkette
§ 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG, Art. 45 AEUV
Sachverhalt
Der Kläger ist als Arbeitnehmer bei einer zwischenstaatlichen Einrichtung (E) mit Sitz in Deutschland beschäftigt. Mit dieser hat Deutschland eine Vereinbarung abgeschlossen, nach der die E eine eigene Steuer auf die von ihr gezahlten Gehälter erhebt und diese Gehälter von der deutschen ESt befreit sind. Die E hat zudem ein eigenes Sozialversicherungssystem eingerichtet und ihr Personal ist von sämtlichen Pflichtbeiträgen an deutsche Sozialversicherungsträger befreit. Im Rahmen der Veranlagung zur ESt 2016 machte der Kläger die an die E gezahlten Kranken- und Rentenversicherungsbeiträge als Sonderausgaben geltend. Das FA lehnte eine Berücksichtigung ab. Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg (FG Baden-Württemberg, Gerichtsbescheid vom 13.7.2022, 1 K 1134/22, Haufe-Index 15675692).
Entscheidung
Der BFH hat das Urteil des FG bestätigt und die Revision des Klägers als unbegründet zurückgewiesen.
Hinweis
1. Der Abzug von Vorsorgeaufwendungen i.S.d. § 10 Abs. 1 Nr. 2, 3 und 3a EStG setzt nach § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 1 EStG voraus, dass diese Vorsorgeaufwendungen nicht in einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit steuerfreien Einnahmen stehen (Vermeidung doppelter einkommensteuerlicher Vorteile). Die Steuerfreiheit kann sich aus dem EStG (z.B. § 3 EStG), aus anderen Gesetzen, aus völkerrechtlichen Verträgen (z.B. DBA) oder aus einer auf einem sonstigen zwischenstaatlichen Übereinkommen beruhenden Vereinbarung ergeben.
2. Ein unmittelbarer wirtschaftlicher Zusammenhang mit steuerfreien Einnahmen besteht nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung dann, wenn die Einnahmen und die Vorsorgeaufwendungen durch dasselbe Ereignis veranlasst sind. Es genügt, wenn der Bezug der (steuerfreien) Einnahmen – im Streitfall: Arbeitslohn – gleichzeitig Pflichtbeiträge zu einem Sozialversicherungssystem auslöst.
3. Allerdings sieht § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 2 EStG eine Rückausnahme von dem Abzugsverbot vor und lässt einen Abzug der Aufwendungen für bestimmte Fälle wieder zu. Diese Rückausnahme setzt aber – unter anderem – voraus, dass die Steuerfreiheit der Einnahmen auf einem Doppelbesteuerungsabkommen beruht. Ergibt sich die Steuerfreiheit hingegen aus einer auf einem sonstigen zwischenstaatlichen Übereinkommen beruhenden sog. Sitzstaatvereinbarung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und einer zwischenstaatlichen Einrichtung, ist diese Voraussetzung nicht erfüllt. Eine sinngemäße Anwendung der Rückausnahme kommt nicht in Betracht, da es an einer planwidrigen Regelungslücke fehlt.
4. Dieses Ergebnis verstößt nicht gegen Unionsrecht, wenn sich (wie im Streitfall) die zwischenstaatliche Einrichtung im Inland (Deutschland) befindet und der Arbeitnehmer, der die Vorsorgeaufwendungen geltend macht, seinen Wohnsitz ebenfalls im Inland hat (kein grenzüberschreitender Sachverhalt). Denn auf die Arbeitnehmer-Freizügigkeit (Art. 45 AEUV) kann sich nur berufen, wer als Unionsbürger – unabhängig von seinem Wohnort und seiner Staatsangehörigkeit – in einem anderen Mitgliedstaat als dem Wohnsitzstaat eine Berufstätigkeit ausübt.
5. Auch Verfassungsrecht wird nicht verletzt. Das Abzugsverbot in § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Teilsatz 1 EStG verstößt weder gegen das subjektive Nettoprinzip noch gegen das Gebot der Folgerichtigkeit (BFH, Urteil vom 14.12.2022, X R 25/21, BFH/NV 2023, 755, Rz. 31 ff.).
6. Schließlich können die geleisteten Vorsorgeaufwendungen auch nicht im Rahmen des für den steuerfreien Arbeitslohn geltenden Progressionsvorbehalts als Abzugsposten berücksichtigt werden. Denn in die Ermittlung des auf das steuerpflichtige Einkommen anzuwendenden Steuersatzes gehen nach dem klaren Wortlaut des § 32b EStG nur "Einkünfte" ein (ständige Rechtsprechung).
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 11.7.2023 – X R 17/22