Prof. Dr. Stefan Schneider
Leitsatz
Der Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit eines Richters liegt im Gericht und nicht im häuslichen Arbeitszimmer.
Normenkette
§ 9 Abs. 5 i.V.m. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 1 EStG i.d.F. des JStG 2010
Sachverhalt
K, Richterin am Amtsgericht in A, hat im Gerichtsgebäude ein eigenes Dienstzimmer zur Verfügung, das sie auch für ihre richterliche Tätigkeit nutzt. K wohnt in B und hat dort in ihrer Wohnung ein häusliches Arbeitszimmer (19 qm). K machte mit ihrer ESt-Erklärung 2008 bei ihren Lohneinkünften u.a. Werbungskosten für ihr häusliches Arbeitszimmer geltend (1.728 EUR). Das FA ließ diese Werbungskosten mit der Begründung unberücksichtigt, K stehe ein Dienstzimmer im Gericht zur Verfügung und Ks häusliches Arbeitszimmer sei nicht der Mittelpunkt ihrer gesamten beruflichen und betrieblichen Betätigung. Ks Klage war erfolglos (Niedersächsisches FG, Urteil vom 8.2.2011, 14 K 329/09, Haufe-Index 2685290).
Entscheidung
Der BFH bestätigte aus den unter den Praxis-Hinweisen erläuterten Erwägungen die Entscheidung der Vorinstanz, wonach die Kosten für das häusliche Arbeitszimmer der als Richterin tätigen K nicht als Werbungskosten bei ihren Lohneinkünften abziehbar sind.
Hinweis
Das Besprechungsurteil behandelt – wie das kurz zuvor ergangene Senatsurteil (BFH, Urteil vom 27.10.2011, VI R 71/10, BFH/NV 2012, 503, BFH/PR 2012, 111) – die Frage, wann das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung i.S.d. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG bildet. Im vorgenannten Urteil, auf dessen Besprechung hier verwiesen sei, ging es um einen Hochschullehrer, hier geht es um einen Richter.
1. Ob der Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung im häuslichen Arbeitszimmer liegt, war schon in der durch das JStG 1996 geschaffenen Regelung (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG), die erstmals eine sachliche und betragsmäßige Einschränkung des Betriebsausgaben- und des Werbungskostenabzugs für steuerlich anzuerkennende, ausschließlich betrieblich oder beruflich genutzte häusliche Arbeitszimmer enthielt, eine der Grundfragen. Naturgemäß sind dazu auch außerhalb des LSt-Rechts eine ganze Reihe von Urteilen ergangen, etwa zum Tankstellenbetreiber (BFH, Urteil vom 6.7.2005, XI R 87/03, BFH/NV 2006, 156, BFH/PR 2006, 6) oder Architekten (BFH, Urteil vom 26.6.2003, IV R 9/03, BFH/NV 2003, 1376, BFH/PR 2003, 413). Entscheidend sind jeweils die für den Beruf wesentlichen und prägenden Leistungen – der "inhaltlich (qualitative) Schwerpunkt der betrieblichen und beruflichen Betätigung" (grundlegend etwa Söhn, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 4 Rz. Lb 191 ff.). Dies gilt, wie zu VI R 71/10 näher ausgeführt, auch für die hier einschlägige Rechtslage durch das JStG 2010.
2. Dies bedeutet in der konkreten Anwendung, dass etwa bei einem Lehrer das häusliche Arbeitszimmer nicht der Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit bildet, weil er die für seinen Beruf wesentlichen und prägenden Leistungen regelmäßig nicht zu Hause, sondern in der Schule erbringt und ein Hochschullehrer seine Hochschullehrertätigkeit, nämlich die Lehre, in der Universität erbringt (BFH, Beschluss vom 14.7.2010, VIII B 54/10, BFH/NV 2010, 2253). Und Entsprechendes gilt eben auch für den Richter: die eigentliche richterliche Tätigkeit wird im Gericht ausgeübt und manifestiert sich in Sitzungen und mündlichen Verhandlungen. Grundlage ist das Richterverhältnis und die in Ausübung dieses öffentlichen Amtes wahrgenommene Aufgabe der rechtsprechenden Gewalt nach Art. 92 GG. Dieses hoheitliche Tun ist nach der allgemeinen Verkehrsanschauung im Gericht(sgebäude) und nicht im häuslichen Arbeitszimmer verortet, ohne dass es noch auf die von K behauptete zeitlich weit überwiegende Nutzung ihres häuslichen Arbeitszimmers ankommt.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 8.12.2011 – VI R 13/11