Leitsatz
1. § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 Alternative 2 und Satz 2 Alternative 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sind in einkommensteuerrechtlicher Hinsicht auch ohne Berücksichtigung einer Geringfügigkeitsgrenze, bis zu deren Erreichen die gewerblichen Beteiligungseinkünfte nicht auf die übrigen Einkünfte abfärben, verfassungsgemäß (Anschluss an Urteile des Bundesfinanzhofs vom 06.06.2019 – IV R 30/16, BFHE 265, 157, BStBl II 2020, 649 und vom 05.09.2023 – IV R 24/20, BFHE 281, 374).
2. § 52 Abs. 23 Satz 1 EStG, der die rückwirkende Geltung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 2 Alternative 2 EStG anordnet, verstößt nicht gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot.
3. Für den Eintritt einer Aufwärtsabfärbung gemäß § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 Alternative 2, Satz 2 Alternative 2 EStG kommt es nur auf den Bezug gewerblicher Beteiligungseinkünfte, nicht aber auf deren Höhe oder darauf an, ob ein zugewiesener Verlust der Ausgleichsbeschränkung des § 15a Abs. 1 EStG unterliegt.
Normenkette
§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 1, § 15a Abs. 1, § 52 Abs. 23 Satz 1 EStG
Sachverhalt
Die Klägerin, eine GbR, erzielte im Streitjahr 2017 Einkünfte aus der Vermietung eines Objekts. Zudem war sie mit einer Quote von 4,25 % an einer KG beteiligt. Die im (bestandskräftigen) Gewinnfeststellungsbescheid der KG für das Streitjahr ausgewiesenen Einkünfte aus Gewerbebetrieb wurden der Klägerin i.H.v. ./. rd. 5000 EUR zugerechnet. Ausweislich des mit dem Gewinnfeststellungsbescheid verbundenen Bescheids über den verrechenbaren Verlust nach § 15a Abs. 4 EStG handelte es sich hierbei um einen verrechenbaren Verlust i.S.d. § 15a EStG, sodass im Gewinnfeststellungsbescheid der im Folgebescheid anzusetzende laufende steuerpflichtige Gewinn/Verlust der Klägerin (ebenfalls bestandskräftig) mit 0 EUR festgestellt wurde. Das beklagte FA qualifizierte die Einkünfte der Klägerin aus der Vermietung aufgrund der von der KG bezogenen Beteiligungseinkünfte in Einkünfte aus Gewerbebetrieb um. Das FG (FG Münster, Urteil vom 13.5.2022, 15 K 26/20 E,F, Haufe-Index 15273049) wies die Klage ab.
Entscheidung
Der BFH wies die Revision der Klägerin aus den sich aus den Praxis-Hinweisen ergebenden Gründen zurück.
Hinweis
1. Die sog. Abfärbewirkung erfordert (nur) einen Bezug von Gewinnanteilen i.S.d. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG. Die in § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 Alternative 2 EStG genannten Einkünfte sind i.S.d. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG in dem Veranlagungs- bzw. Feststellungszeitraum bezogen, in dem sie dem Mitunternehmer nach den Gewinnermittlungsvorschriften zuzurechnen sind. Auf ihren Zufluss kommt es ebenso wenig an wie auf ihre Höhe. Eine Aufwärtsabfärbung tritt danach auch ein, wenn die bezogenen Beteiligungseinkünfte negativ sind oder wenn sich ausnahmsweise (zufällig) Beteiligungseinkünfte in rechnerischer Höhe von 0 EUR ergeben.
2. Ein Bezug von Beteiligungseinkünften i.S.d. § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG liegt auch dann vor, wenn es sich um lediglich verrechenbare Verluste i.S.d. § 15a EStG handelt. Denn das aus § 15a EStG resultierende Ausgleichs- und Abzugsverbot bewirkt keine Änderung der (im Gewinnfeststellungsbescheid erfolgten) Zuweisung des Verlustanteils, sondern lediglich eine Umwandlung des Verlustanteils in einen verrechenbaren Verlust, der einer Verwertungssperre unterliegt.
3. § 52 Abs. 23 Satz 1 EStG, der die rückwirkende Geltung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 2 Alternative 2 EStG anordnet, verstößt nicht gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot. Zwar liegt in formaler Hinsicht eine echte Rückwirkung vor, da die mit Wirkung zum 18.12.2019 in Kraft getretene Neuregelung in § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 2 Alternative 2 EStG danach auch für VZ vor 2019 gilt. Materiell-rechtlich betrachtet handelt es sich jedoch – anders als bei § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 2 Alternative 1 EStG – um eine lediglich deklaratorische Ergänzung des Gesetzes. Denn die BFH-Rechtsprechung ging bereits vor der Einfügung des Satzes 2 Alternative 2 des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG davon aus, dass eine Aufwärtsabfärbung unabhängig davon eintritt, ob die Beteiligungseinkünfte positiv oder negativ sind.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 11.7.2024 – IV R 18/22