Prof. Dr. Stefan Schneider
Leitsatz
Ein weiträumiges Arbeitsgebiet ohne jede ortsfeste, dauerhafte betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, wie etwa ein ausgedehntes Waldgebiet, ist keine regelmäßige Arbeitsstätte.
Normenkette
§ 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 S. 1, § 9 Abs. 5, § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 5 S. 1, 2, 3 EStG
Sachverhalt
K war als Forstarbeiter beim Forstamt beschäftigt, das ein in 11 Reviere aufgeteiltes Forstgebiet mit etwa 400 qkm umfasste. Soweit möglich wurde K im zur Wohnung nächstgelegenen Revier oder in Nachbarrevieren eingesetzt. Die Einsatzplanung erfolgte jeweils kurzfristig mit Vorlaufzeiten von ein bis zwei Tagen. Ks Einsatzorte waren durch Witterungsumstände und sonstige Einflüsse unvorhersehbar. K bewahrte die Arbeitsmittel zu Hause auf und fuhr von dort mit seinem Pkw direkt an die jeweiligen Einsatzstellen.
K machte mit der ESt-Erklärung Mehraufwendungen für Verpflegung bei Einsatzwechseltätigkeit (222 Tage x 6 EUR = 1 332 EUR) sowie Fahrtkosten wegen Einsatzwechseltätigkeit (3 791 km x 0,30 EUR = 1 137,30 EUR) geltend. Das FA qualifizierte die Fahrten allerdings als solche zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte und berücksichtigte auch keinen Verpflegungsmehraufwand, weil das Forstrevier als weiträumiges Arbeitsgebiet Ks regelmäßige Arbeitsstätte sei.
Die Klage blieb erfolglos (FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 24.10.2008, 4 K 2174/07, Haufe-Index 2175534, EFG 2009, 1291).
Entscheidung
Der BFH hob die Vorentscheidung auf und entsprach Ks Begehren grundsätzlich. Ob das allerdings für alle 222 Tage berechtigt war, muss das FG nun im zweiten Rechtsgang prüfen.
Hinweis
Im Streitfall galt es, anlässlich des geltend gemachten tatsächlichen Fahrt- und Verpflegungsmehraufwands regelmäßige Arbeitsstätte von ständig wechselnder Tätigkeitsstätte abzugrenzen.
1. Regelmäßige Arbeitsstätte i.S.d. § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 EStG ist jede ortsfeste dauerhafte betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, der der Arbeitnehmer zugeordnet ist und die er nicht nur gelegentlich, sondern mit einer gewissen Nachhaltigkeit, das heißt fortdauernd und immer wieder aufsucht. Der BFH belässt es allerdings nicht bei dieser typisierenden Umschreibung. Wesentlich ist vielmehr, dass der Arbeitnehmer sich bei einer solchen auf die immer gleichen Wege einstellen und so auf eine Minderung der Wegekosten hinwirken kann (z.B. Fahrgemeinschaften, öffentliche Verkehrsmittel, entsprechende Wohnsitznahme). Nur für diesen Grundtyp gilt die abzugsbegrenzende Regelung (§ 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 EStG) als sachgerechte und folgerichtige Ausnahme vom objektiven Nettoprinzip. Kontrastfall dazu ist die Auswärtstätigkeit. Wer vorübergehend von Wohnung und Tätigkeitsmittelpunkt entfernt arbeitet oder schon gar nicht über einen dauerhaft angelegten ortsgebundenen Bezugspunkt für seine berufliche Tätigkeit verfügt (typischerweise ständig wechselnde Tätigkeitsstätten oder Einsatz auf einem Fahrzeug), hat keine regelmäßige Arbeitsstätte.
2. Damit war auch das 400 qkm große Arbeitsgebiet des Forstarbeiters keine regelmäßige Arbeitsstätte. Denn der irgendwo im Wald gelegene täglich wechselnde Tätigkeitsort war weder ortsfest noch bestanden dauerhafte betriebliche Einrichtungen. Und weil der Arbeitgeber im Wald auch keine betriebliche Einrichtung vorgehalten hatte, war das Waldgebiet auch keine großräumige (regelmäßige) Arbeitsstätte. Neu ist: Der BFH verlangt für eine ortsfeste betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers Einrichtungen, die nach ihrer Infrastruktur mit denen an einem Betriebssitz vergleichbar sind. Nur dann kann ein größeres, räumlich geschlossenes Gebiet regelmäßige Arbeitsstätte (§ 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 EStG) und Tätigkeitsmittelpunkt (§ 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 5 S. 2 EStG) sein.
3. Weil der BFH schon seit den Maiurteilen (alle im Besprechungsurteil zitiert) zur Vereinfachung und aus Gründen der Folgerichtigkeit "Tätigkeitsmittelpunkt" (§ 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 5 S. 2 EStG) und "regelmäßigen Arbeitsstätte" (§ 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 EStG)gleichstellt, hatte hier K grundsätzlich auch Anspruch auf Abzug von Verpflegungsmehraufwand.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 17.06.2010 – VI R 20/09