Leitsatz
Wird ein Steuerbescheid mit der Post übermittelt und wird die betreffende Postsendung später als drei Tage nach Absendung in den Hausbriefkasten des Empfängers eingeworfen, so beginnt die Einspruchsfrist am Tag des Einwurfs. Das gilt auch dann, wenn der Empfänger des Steuerbescheids ein Unternehmen ist, der Einwurf an einem Sonnabend erfolgt und in dem betreffenden Unternehmen sonnabends nicht gearbeitet wird (Abgrenzung zum BFH, Urteil vom 14.10.2003, IX R 68/98, BFH-PR 2004, 36).
Normenkette
§ 108 Abs. 3, § 122 Abs. 2 Nr. 1, § 355 Abs. 1 Satz 1 AO
Sachverhalt
Die Klägerin, eine GmbH, gab für das Streitjahr (1999) zunächst keine Körperschaftsteuererklärung ab. Deshalb erließ das FA ihr gegenüber einen KSt-Bescheid, der auf einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen beruhte. Dieser Bescheid wurde am Dienstag, dem 10.7.2001, mit einfachem Brief zur Post gegeben.
Mit Schriftsatz vom 15.8.2001, der am selben Tag beim FA einging, legte die Klägerin gegen den Bescheid Einspruch ein. In diesem Zusammenhang machte sie geltend, der angefochtene Bescheid sei erst am Sonnabend, dem 14.7.2001, in ihren Briefkasten eingeworfen und dort am nachfolgenden Montag (16.7.2001) bemerkt worden. Das FA hielt den Einspruch gleichwohl für verspätet und wies ihn deshalb zurück.
Der deswegen erhobenen Klage gab das FG statt (EFG 2004, 1002). Es kam aufgrund einer Beweisaufnahme zu der Überzeugung, dass der Bescheid erst am 14.7.2001 bei der Klägerin eingegangen sei. Auf dieser Basis entschied es, dass die Einspruchsfrist erst am Montag, dem 16.7.2001, begonnen habe und dass der Einspruch deshalb rechtzeitig eingelegt worden sei.
Entscheidung
Der BFH war anderer Ansicht als das FG. Ausschlaggebend sei der Tag des tatsächlichen Zugangs des Bescheids am 14.7.2001. Das sei der Tag, an welchem die Einspruchsfrist zu laufen begonnen habe.
Hinweis
Das Credo des Urteils lässt sich aus Sicht des Steuerpflichtigen auf die kurze Formel zusammenfassen: "Dumm gelaufen ..."
1. Gibt eine Steuerbehörde dem Steuerpflichtigen einen Bescheid bekannt und geschieht dies mit einfacher Post, dann greift bekanntlich die Drei-Tages-Fiktion des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO:
Mit Ablauf des dritten Tags, nachdem der Bescheid zur Post gegeben wurde, gilt er als bekannt gegeben. Naturgemäß setzt das voraus, dass der Brief den Empfänger auch erreicht hat. Ist das nicht der Fall und wird dies vom Steuerpflichtigen dargetan, dann ist es Sache des FA, den Zugang nachzuweisen. Normalerweise gelingt dies nicht (zu verweisen ist aus jüngster Zeit nur auf das BFH-Urteil vom 31.5.2005, I R 103/04, BFH-PR 2005, 387).
Es müssen schon "verräterische" Umstände hinzukommen, die das Gegenteil des vom Steuerpflichtigen behaupteten – als den Nichtzugang des Briefs – belegen. Solche Umstände können z.B. gegeben sein, wenn der Steuerpflichtige oder sein Berater in irgendeiner Form erkennen lassen, dass ihnen der Inhalt des Bescheids sehr wohl geläufig ist.
2. Wie dem auch sei. Auch zu der Drei-Tages-Zugangsfiktion gibt es eine Ausnahme:
Fällt der dritte Tag auf einen Sonnabend, einen Sonn- oder Feiertag, dann läuft die Drei-Tages-"Frist" nach der Rechtsprechung des BFH erst am nachfolgenden ersten Werktag ab, vgl. Urteil vom 14.10.2003, IX R 68/98 (BFH-PR 2004, 36). Der Steuerpflichtige "gewinnt" also etwas an Zeit.
3. Allerdings: Lässt der Steuerpflichtige sich darauf ein, den Bescheid sehr wohl erhalten zu haben, dies jedoch erst nach Ablauf der Drei-Tages-Fiktion, dann entscheidet jener Tag des tatsächlichen Zugangs, und zwar vorbehaltlos auch dann, wenn jener tatsächliche Zugang auf einen Sonnabend, Sonn- oder Feiertag fällt. Die unter 2. erwähnte Ausnahme, die die Rechtsprechung macht, greift dann nicht. Sie beschränkt sich auf die Drei-Tages-Fiktion und deren Ablauf. Mit einem nachfolgenden tatsächlichen Zugangstag und dem dadurch ausgelösten Fristanlauf hat sie nichts zu tun.
Konsequenz: Der tatsächliche Zugang entscheidet darüber, ob eine etwaige Rechtsbehelfsfrist (gem. § 108 Abs. 1 AO i.V.m. § 187 Abs. 1 BGB mit dem dem Bekanntgabetag nachfolgenden Tag) anzulaufen beginnt!
4. Das alles ist unabhängig davon, ob Empfänger der Amtspost ein Gewerbetreibender ist, der sonnabends nicht in seinem Betrieb anzutreffen zu sein pflegt, oder aber ein anderweitiger Steuerpflichtiger. Dessen Einkunftsqualität ist für die Bekanntgabe von Steuerbescheiden also unbeachtlich.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 9.11.2005, I R 111/04