Dr. Markus Leinen, Prof. Dr. Harald Kessler
6.1.2.1 Sachlich
Rz. 216
§ 255 Abs. 4 HGB ist als allgemeiner Bewertungsmaßstab von allen Bilanzierenden zu beachten. Jedoch ist sein Anwendungsbereich auf wenige Sachverhalte beschränkt. Zur Bestimmung seines Anwendungsbereichs ist zwischen Zugangs- bzw. Folgebewertung und Anhangangaben zu unterscheiden.
Rz. 217
Für Zwecke der Zugangs- und Folgebewertung ist der beizulegende Zeitwert in folgenden Fällen anzusetzen:
- VG, die dem Zugriff aller übrigen Gläubiger entzogen sind und ausschl. der Erfüllung von Schulden aus Altersversorgungsverpflichtungen oder vergleichbaren langfristig fälligen Verpflichtungen dienen (sog. Deckungsvermögen), sind zu ihrem beizulegenden Zeitwert anzusetzen (§ 246 Abs. 2 Satz 2 HGB i. V. m. § 253 Abs. 1 Satz 4 HGB);
- Rückstellungen für Altersversorgungsverpflichtungen, deren Höhe sich nach dem beizulegenden Zeitwert von Wertpapieren i. S. d. § 266 Abs. 2 A. III. 5. HGB bestimmt, sind zum beizulegenden Zeitwert dieser Wertpapiere anzusetzen, soweit dieser einen ggf. garantierten Mindestbetrag übersteigt (§ 253 Abs. 1 Satz 3 HGB);
- Finanzinstrumente des Handelsbestands von Kredit- und Finanzdienstleistungsinstituten sind zum beizulegenden Zeitwert abzgl. eines Risikoabschlags zu bewerten (§ 340e Abs. 3 Satz 1 HGB).
Rz. 218
In folgenden Fällen ist der beizulegende Zeitwert ausschl. für Zwecke der Zugangsbewertung zu verwenden:
- VG, Schulden, RAP und Sonderposten (mit Ausnahme von Rückstellungen und latenten Steuern) sind zur Ermittlung des Eigenkapitals von TU i. R. d. erstmaligen KapKons mit ihrem beizulegenden Zeitwert anzusetzen (§ 301 Abs. 1 Satz 2 und 3 HGB);
- VG, Schulden, RAP und Sonderposten (mit Ausnahme von Rückstellungen und latenten Steuern) von assoziierten Unt sind i. R. d. bei der Equity-Methode vorzunehmenden Kaufpreisallokation mit ihrem beizulegenden Zeitwert zu bewerten (§ 312 Abs. 2 Satz 1 und 3 HGB).
Rz. 219
Darüber hinaus verlangen verschiedene Anhangvorschriften die Angabe des beizulegenden Zeitwerts sowie tw. auch Angaben zur Ermittlung des beizulegenden Zeitwerts. Danach ist anzugeben
- für zu den Finanzanlagen (§ 266 Abs. 2 A. III. HGB) gehörende Finanzinstrumente, die über dem beizulegenden Zeitwert ausgewiesen werden, da eine außerplanmäßige Abschreibung nach § 253 Abs. 3 Satz 4 HGB unterblieben ist, der beizulegende Zeitwert (§§ 285 Abs. 1 Nr. 18, 314 Abs. 1 Nr. 10 HGB);
- für jede Kategorie nicht zum beizulegenden Zeitwert bilanzierter derivativer Finanzinstrumente deren beizulegender Zeitwert unter Angabe der angewandten Bewertungsmethode bzw. für den Fall, dass eine verlässliche Ermittlung nicht möglich ist, die Gründe, warum der beizulegende Zeitwert nicht bestimmt werden kann (§§ 285 Abs. 1 Nr. 19, 314 Abs. 1 Nr. 11 HGB);
- für zum beizulegenden Zeitwert bewertete Finanzinstrumente des Handelsbestands von Kredit- und Finanzdienstleistungsinstituten die grundlegenden Annahmen zur Bestimmung des beizulegenden Zeitwerts mithilfe allgemein anerkannter Bewertungsmethoden (§§ 285 Abs. 1 Nr. 20, 314 Abs. 1 Nr. 12 HGB);
- im Fall der Verrechnung von VG und Schulden nach § 246 Abs. 2 Satz 2 HGB der beizulegende Zeitwert der verrechneten VG sowie die grundlegenden Annahmen zur Bestimmung des beizulegenden Zeitwerts mithilfe allgemein anerkannter Bewertungsmethoden (§§ 285 Abs. 1 Nr. 25, 314 Abs. 1 Nr. 17 HGB).
Rz. 220
Daneben wirkt sich die Bewertung zum beizulegenden Zeitwert insb. auf die Ausschüttungssperre (§ 268 Abs. 8 Satz 1 und 3 HGB) und die latenten Steuern (§ 274 HGB) aus (Rz 212, Rz 214).
6.1.2.2 Zeitlich
Rz. 221
Die Bewertungsvorschrift von § 255 Abs. 4 HGB wurde durch das BilMoG neu in das HGB eingeführt.
Rz. 222
Der Begriff des beizulegenden Zeitwerts ist bereits durch das BilReG in das HGB eingeführt worden. Auf der einen Seite war die Anwendung des beizulegenden Zeitwerts zu diesem Zeitpunkt auf die Anhangangaben zu Finanzinstrumenten beschränkt. Auf der anderen Seite definierte bereits § 285 Satz 3 und 4 HGB i. d. F. des BilReG die Ermittlung des beizulegenden Zeitwerts. Die Vorschrift wurde durch das BilMoG gestrichen. Die Ermittlungstechnik des beizulegenden Zeitwerts wurde grds. ohne materielle Änderungen in § 255 Abs. 4 HGB übernommen, auch wenn der Wortlaut beider Vorschriften nicht übereinstimmt.