Prof. Dr. rer. pol. Karsten Paetzmann, Sean Needham
Rz. 13
Zentral für die Berichterstattung nach § 289c HGB-E ist der Grundsatz der doppelten Wesentlichkeit, wie er in Abs. 1 Satz 1 des § 289c HGB-E verankert ist. Demnach sind diejenigen Angaben in den Nachhaltigkeitsbericht aufzunehmen, die für das Verständnis der Auswirkungen der Tätigkeiten des Unt auf Nachhaltigkeitsaspekte sowie für das Verständnis der Auswirkungen von Nachhaltigkeitsaspekten auf den Geschäftsverlauf, das Geschäftsergebnis und die Lage des Unt erforderlich sind. Allerdings kann die im § 289b Abs. 1 HGB-E verwendete Formulierung "sowie" zu Interpretationsschwierigkeiten führen. Während der Wortlaut eine kumulative Betrachtung nahelegt, ist nach ESRS 1.21 ff., wie nachfolgend beschrieben, eine alternative Anwendung vorgesehen. Ein Aspekt ist demnach bereits dann wesentlich, wenn entweder sich die Unternehmenstätigkeit auf Nachhaltigkeitsaspekte auswirkt (Inside-Out-Perspektive) oder sich Nachhaltigkeitsaspekte auf den Geschäftsverlauf, das Geschäftsergebnis und die Lage des Unt auswirken (Outside-In-Perspektive). Aus Klarstellungsgründen wäre es daher sinnvoll, im Gesetzestext statt "sowie" ein "oder" zu verwenden, um die Übereinstimmung mit den europäischen Standards zu gewährleisten und Missverständnisse zu vermeiden.
Der Grundsatz der doppelten Wesentlichkeit wird in ESRS 1.21 ff. weiter konkretisiert. Der Grundsatz der doppelten Wesentlichkeit fordert von Unt, Nachhaltigkeitsaspekte als wesentlich einzustufen und in die Berichterstattung einzubeziehen, wenn sie entweder aus der Wirkungsperspektive oder aus der Finanzperspektive als bedeutsam gelten.
- Wirkungsperspektive (Inside-Out): Betrachtet die Auswirkungen der Unternehmensaktivitäten auf Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft.
- Finanzperspektive (Outside-In): Betrachtet, wie Nachhaltigkeitsaspekte die finanzielle Performance und Position des Unt beeinflussen.
Diese beiden Perspektiven sind allerdings nicht statisch; vielmehr bestehen zwischen ihnen Wechselbeziehungen, die sich im Laufe der Zeit verändern können. Daher ist es unerlässlich, beide Dimensionen nicht isoliert, sondern im Zusammenspiel zu analysieren.
Unt sind aufgefordert, die wesentlichen Auswirkungen, Risiken und Chancen zu ermitteln, die sich kurz-, mittel- oder langfristig ergeben können. Die ESRS geben lediglich Leitlinien für die Identifizierung wesentlicher Aspekte vor, ohne konkrete Methoden vorzuschreiben. Dies eröffnet Unt die Möglichkeit, einen Ansatz zu wählen, der ihrer Unternehmenskultur, Governance-Struktur und ihrem Management-Ansatz entspricht, solange die regulatorischen Anforderungen erfüllt werden.
Ein wesentlicher Schritt in der Wesentlichkeitsanalyse ist die Identifikation relevanter Stakeholder, wobei interne Stakeholder, u. a. Mitarbeitende und das Management umfassen, während zu externen Stakeholder u. a. Kunden, Lieferanten, Gemeinschaften, Regulierungsbehörden und Kapitalgeber gehören können. Es gilt zu verstehen, wie diese Gruppen das Unt beeinflussen oder von dessen Aktivitäten beeinflusst werden. Dies ermöglicht eine fundierte Analyse der daraus resultierenden Auswirkungen, Risiken und Chancen.
Im nächsten Schritt ist eine Sektor- und Unternehmensanalyse durchzuführen. Unt. haben zunächst sektorspezifische Nachhaltigkeitsaspekte zu identifizieren und zu bewerten. Bspw. sind für die Energiebranche mitunter andere Nachhaltigkeitsaspekte relevant als für den Dienstleistungssektor. Im nächsten Schritt ist eine Unternehmens- und Umfeldanalyse durchzuführen, d. h. Unt untersuchen, welche spezifischen Nachhaltigkeitsaspekte sich aus der individuellen Situation des Unt und seines Umfelds ergeben.
Für die ermittelten Auswirkungen, Risiken und Chancen müssen spezifische Schwellenwerte und Kriterien definiert werden. Diese dienen dazu, zu entscheiden, welche Aspekte im Nachhaltigkeitsbericht extern abgebildet werden. Hierbei kommen sowohl quantitative Schwellenwerte (messbare Grenzwerte, wie z. B. Emissionsmengen) als auch qualitative Kriterien (Einschätzungen von Bedeutung und Relevanz, wie z. B. Reputationseinbußen) in Betracht.
Wenn bestimmte Aspekte als nicht wesentlich eingestuft werden, ist dies im Nachhaltigkeitsbericht zu begründen. Dies fördert Transparenz und ermöglicht es Stakeholdern, die Entscheidungsprozesse des Unt nachzuvollziehen.
Angesichts dynamischer Marktbedingungen und sich verändernder gesellschaftlicher Erwartungen sollte die Wesentlichkeitsanalyse jährlich überprüft werden, um Aktualität und Relevanz sicherzustellen sowie anlassbezogen angepasst werden, wenn neue Tatbestände oder Ereignisse auftreten, die das Ergebnis beeinflussen könnten.
Die Wesentlichkeitsanalyse dient nicht nur der Berichterstattung, sondern auch als Ausgangspunkt für die Weiterentwicklung der Nachhaltigkeitsstrategie (z. B. zur Identifikation von Handlungsfeldern und Prioritäten) und als Grundlage für nachhaltigkeitsbezogene Steuerungs- und Kontrollmechanismen (z. B. zwecks Implementierung effektiver Maßnahmen zur Risikominimierung und Chancenmaximierung).
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