Leitsatz
1. Erfolgt ein Umzug aus Anlass der Eheschließung von getrennten Wohnorten in eine gemeinsame Familienwohnung, so ist die berufliche Veranlassung des Umzugs eines jeden Ehegatten gesondert zu beurteilen.
2. Steht bei einem Umzug eine arbeitstägliche Fahrzeitersparnis des Arbeitnehmers von mindestens einer Stunde fest, so kommt dem Umstand, dass der Umzug im Zusammenhang mit einer heiratsbedingten Gründung eines gemeinsamen Haushalts steht, grundsätzlich keine Bedeutung mehr zu (Fortführung des BFH-Urteils vom 22.11.1991, VI R 77/89, BStBl II 1992, 494).
Normenkette
§ 9 Abs. 1 Satz 1 EStG , § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG
Sachverhalt
Die zur ESt zusammen veranlagten Kläger, die an verschiedenen Stätten arbeiteten, heirateten im Streitjahr 1996. Zeitgleich bezogen die Kläger gemeinsam – von unterschiedlichen Wohnorten aus – ein zuvor erworbenes Haus. Die Kläger machten jeweils Umzugskosten mit der Begründung geltend, durch den jeweiligen Umzug habe sich bei beiden Klägern die tägliche Fahrzeit zur Arbeitsstätte erheblich verkürzt. Das FA verneinte das Vorliegen von Werbungskosten bei beiden Klägern, da aufgrund der Heirat und des jeweiligen Umzugs in eine gemeinsame Wohnung auch die private Lebensführung betroffen sei.
Entscheidung
Der BFH hob die Vorentscheidung auf und verwies die Sache an das FG zurück. Die Heirat bzw. die heiratsbedingte Gründung des neuen Hausstands stehe einer Anerkennung der Umzugskosten dann nicht entgegen, wenn bei beiden Klägern – getrennt zu prüfende – Fahrzeitersparnisse von jeweils mindestens einer Stunde vorlägen. Diese Prüfung habe das FG nachzuholen.
Hinweis
1. In der Rechtsprechung war schon bisher anerkannt, dass ein Umzug auch ohne Arbeitsplatzwechsel dann beruflich veranlasst sein kann, wenn er unmittelbar erfolgt, um die Fahrzeit zur Arbeitsstätte wesentlich zu verkürzen. Entscheidend ist regelmäßig eine Fahrzeitersparnis von mindestens einer Stunde arbeitstäglich. Liegt eine solche Fahrzeitersparnis vor, werden die privaten Motive für die Auswahl der Wohnung (Neubau, Altbau, Größe der Wohnung usw.) als unschädlich angesehen.
Streitig waren allerdings diejenigen Fälle, in denen der Umzug z.B. mit einer Heirat, einer Trennung der Ehepartner oder sonstigen privaten Umständen einherging. Zahlreiche FGs hatten argumentiert, dass aufgrund solcher Umstände die Vorschrift des § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG eingreife.
Dem ist der BFH entgegengetreten. Zwar ist auch aus Gründen der Gleichbehandlung mit Fällen eines Arbeitsplatzwechsels daran festzuhalten, dass arbeitstäglich mindestens eine einstündige Fahrzeitersparnis vorliegen muss. Ist diese aber gegeben, können sonstige private Motive (z.B. auch gemeinsame heiratsbedingte Haushaltsgründung, Familienzuwachs usw.) als unbedeutend eingestuft werden.
Die Entscheidung des BFH ist auch deshalb zu begrüßen, weil sie zu einer Vereinfachung in der Rechtsanwendung führt; insbesondere wird ein nicht gebotenes Eindringen in die Privatsphäre der Steuerpflichtigen vermieden. Liegt eine einstündige Fahrzeitersparnis (für die der Steuerpflichtige allerdings die Beweislast trägt) vor, kommt es auf weitere (private) Gesichtspunkte nicht mehr an.
Beachten Sie bitte, dass es immer auf die Fahrzeitverkürzung ankommt. Die Verkürzung der Fahrtstrecke kann hierfür zwar wesentlich sein; die Fahrtstrecke stellt jedoch nicht das alleinige Prüfmerkmal dar.
Wichtig ist auch, dass eine mindestens einstündige Fahrzeitverkürzung nur dann anzuerkennen ist, wenn die nach dem Umzug verbleibende Fahrzeit zur Arbeitsstätte als im Berufsverkehr normal angesehen werden kann (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 22.11.1991, VI R 77/89, BStBl II 1992, 494, 496).
2. Betont wird in der Besprechungsentscheidung ferner der Grundsatz, dass – entsprechend dem Grundsatz der Individualbesteuerung und ungeachtet der Möglichkeit der Zusammenveranlagung – die beiden Einzelumzüge der Kläger gesondert für sich zu beurteilen sind. Hinzuweisen ist zudem auf die Rechtsprechung, dass bei einem gemeinsamen Umzug berufstätiger Ehegatten die Fahrzeitverkürzungen nicht zusammenzurechnen sind (BFH-Urteil vom 27.7.1995, VI R 17/95, BStBl II 1995, 728 mit krit. Anmerkung: von Bornhaupt, BB 1995, 2042).
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 23.3.2001, VI R 175/99