Leitsatz
Während des Zeitraums, in dem ein bis zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses sowohl im Ansässigkeitsstaat Bundesrepublik Deutschland als auch in der Schweizerischen Eidgenossenschaft tätiger Arbeitnehmer unwiderruflich von der Pflicht zur Arbeitsleistung unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts freigestellt wird, steht das Besteuerungsrecht für die Einkünfte aus unselbständiger Arbeit nach Art. 15 Abs. 1 Satz 1 DBA-Schweiz 1971/2010 ausschließlich dem Ansässigkeitsstaat zu.
Normenkette
§ 19, § 34 Abs. 1 EstG, Art. 15 Abs. 1, Art. 15a Abs. 2, Art. 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1d DBA CHE 1971/2010, § 2 Abs. 2 AO
Sachverhalt
Der Kläger war seit dem Jahr 2011 als Außendienstmitarbeiter bei einem in der Schweiz ansässigen Unternehmen beschäftigt. Er verfügte seit Beginn dieser Tätigkeit stets nur über einen Wohnsitz in Deutschland. Mit Schreiben vom 26.4.2016 kündigte der Schweizer Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zum 31.10.2016 und stellte ihn unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts mit sofortiger Wirkung unwiderruflich von seiner Arbeitsverpflichtung frei; ein im Arbeitsvertrag ursprünglich vereinbartes Konkurrenzverbot wurde für hinfällig erklärt. Im Streitjahr (2016) erhielt der Kläger noch einen (Brutto-)Lohn i.H.v. insgesamt 131.895 CHF. Darin enthalten war eine Abfindung i.H.v. 30.148,25 CHF. Bis zum Tag der Freistellung (27.4.2016) verbrachte der Kläger im Streitjahr elf Arbeitstage in der Schweiz und 52 Arbeitstage in Deutschland; der Rest entfiel auf Wochenenden sowie Urlaubs-, Krankheits- und gesetzliche Feiertage. In diesem Zeitraum kehrte der Kläger außerdem an 22 Arbeitstagen aufgrund seiner Arbeitsausübung nicht an seinen Wohnsitz zurück. Der ESt-Erklärung des Klägers für das Streitjahr folgte das FA nicht. Das anschließende Einspruchsverfahren blieb ebenfalls erfolglos. Im Laufe des anschließenden Klageverfahrens einigten sich die Beteiligten u.a. auf einen Umrechnungskurs und einen rechnerischen Tageslohn. Zudem verständigten sie sich dahin gehend, dass der Kläger bis zu seiner Freistellung unter Berücksichtigung von jeweils sechs Urlaubs- und Krankheitstagen effektiv 63 Tage gearbeitet habe, wovon 52 Tage auf eine Tätigkeit in Deutschland und elf Tage auf eine Tätigkeit in der Schweiz entfallen seien und ihm für den gesamten Zeitraum anteiliger Urlaub von insgesamt 21 Tagen zugestanden habe (25 Urlaubstage × 10/12). Hinsichtlich der Abfindung i.H.v. 30.148,25 CHF kamen die Beteiligten überein, dass der Betrag gemäß § 24 Abs. 1 Satz 2 und 3 der Deutsch-Schweizerischen Konsultationsvereinbarungsverordnung vom 20.12.2010 (BGBl I 2010, 2187, BStBl I 2010, 146) nach den Orten aufzuteilen sei, von denen der Kläger seine Tätigkeit seit Beginn ausgeübt habe. Demnach ergab sich eine Besteuerung in Deutschland i.H.v. umgerechnet 20.100,36 EUR und eine Freistellung unter Anwendung des Progressionsvorbehalts i.H.v. umgerechnet 7.518,45 EUR. Die Beteiligten vertraten übereinstimmend die Auffassung, die Abfindungsleistung sei unter Anwendung der Fünftelregelung des § 34 EStG zu versteuern. Dementsprechend erließ das FA einen Änderungsbescheid, in dem es zusätzlich noch einen weiteren Teil des Arbeitslohns, der unter anderem auf die im Streitjahr nicht mehr in Anspruch genommenen Urlaubstage entfiel, unter Anwendung des Progressionsvorbehalts von der Besteuerung freistellte. Insgesamt stellte das FA vom laufenden Arbeitslohn 8.543 EUR steuerfrei.
Bezüglich der noch offenen Streitpunkte (Freistellung der gesamten Lohnzahlung für die Freistellungsphase und der gesamten Abfindung von der deutschen Besteuerung) wies das FG die Klage ab. Dem Kläger stehe keine weitere Steuerfreistellung seines Arbeitslohns zu. Die vom FA zuletzt mit Änderungsbescheid vom 9.8.2021 anerkannte teilweise Steuerfreistellung sei bereits zu hoch erfolgt; sie sei aufgrund des finanzgerichtlichen Verböserungsverbotes (vgl. § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO) jedoch nicht zu korrigieren (Hessisches FG, Urteil vom 15.12.2021, 9 K 133/21, EFG 2022, 566, Haufe-Index 15111192).
Entscheidung
Die Revision des Klägers hat der BFH als unbegründet zurückgewiesen. Dem Kläger stehe nach dem DBA-Schweiz keine über die bereits vom FA gewährte Steuerfreistellung für die laufende Lohnzahlung i.H.v. 8.543 EUR und für die anteilige Abfindung i.H.v. 7.518,45 EUR hinausgehende Steuerfreistellung hinsichtlich seiner Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit zu.
Hinweis
1. Der Kläger war im Streitjahr aufgrund seines inländischen Wohnsitzes in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig (§ 1 Abs. 1 Satz 1 EStG). Er unterfiel daher mit seinen (Welt-)Einkünften und damit auch den Einkünften aus nichtselbstständiger Tätigkeit aus der Schweiz in Deutschland der Steuerpflicht.
2. Nach Art. 15 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Art. 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1d DBA-Schweiz waren die laufenden Einkünfte des Klägers, die dieser während der Freistellungsphase bezogen hatte, überhaupt nicht (dazu unter 4.) und die Einkünfte, die er für die aktive Tätigkeit bezogen hatte, nur soweit von der Besteuerung ...