Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerbefreiung gemäß DBA-Österreich schließt Anwendung des § 50d EStG nicht aus
Leitsatz (NV)
§ 50d EStG schränkt die sich aus dem DBA-Österreich ergebende Steuerbefreiung nicht ein. Er regelt lediglich das innerstaatliche Verfahren zur Durchsetzung der Steuerbefreiung.
Normenkette
EStG § 49 Abs. 1 Nr. 2d, § 50a Abs. 4-5, § 50d; DBA AUT Art. 4 Abs. 1, Art. 15 Abs. 2; EStDV § 73g Abs. 1; FVG § 5 Abs. 1 Nr. 2; FGO § 69 Abs. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) ist eine Kapitalgesellschaft mit Sitz und Geschäftsleitung in Österreich. Sie betreibt eine Konzert- und Künstleragentur und veranstaltete in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) Konzerte. In den Jahren 1990 und 1991 unterhielt sie in der Bundesrepublik weder eine Betriebsstätte noch einen ständigen Vertreter.
1990 schloß sie mit der Gemeinde O einen Vertrag über ein Gastspiel ausländischer Künstler ab. Durch den Vertrag verpflichtete sie sich, die Künstler am 4. März 1991 in O auftreten zu lassen. Das Gastspiel fand wie vereinbart statt. Die O zahlte der Antragstellerin das vereinbarte Honorar. Einen Steuerabzug nahm sie nicht vor.
Nachdem der Antrags- und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) von dem Sachverhalt erfahren hatte, erließ er am 13. November 1991 gegen die O einen Haftungsbescheid über im Abzugsweg gemäß § 50a Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu erhebende Körperschaftsteuer in Höhe von ... DM. Gegen den Haftungsbescheid legten sowohl O als auch die Antragstellerin Einspruch ein, über den das FA - soweit bekannt - bisher noch nicht entschieden hat. Nach Angabe der Antragstellerin zahlte die O Ende 1991 die Körperschaftsteuer und die Antragstellerin erstattete ihr den entsprechenden Betrag.
Einen im November 1991 von der Antragstellerin gestellten Antrag, die Vollziehung des Haftungsbescheides auszusetzen, lehnte das FA am 14. Januar 1992 ab. Daraufhin beantragte die Antragstellerin beim Finanzgericht (FG), gegen das FA eine einstweilige Anordnung zu erlassen, hilfsweise die Vollziehung des Haftungsbescheides auszusetzen. Inhalt der einstweiligen Anordnung sollte die Feststellung sein, daß dem FA nach Art. 4 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern vom 4. Oktober 1954 - DBA-Österreich - (BGBl II 1955, 750, BStBl I 1955, 370) generell kein Besteuerungsrecht gegenüber der Antragstellerin zustehe bzw. daß das FA verpflichtet sei, der Antragstellerin einen Freistellungsbescheid zu erteilen.
Das FG lehnte durch Beschluß vom 22. März 1993 den Erlaß einer einstweiligen Anordnung und die Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheides ab. Die Beschwerde gegen den Beschluß, der auszugsweise in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1993, 522 veröffentlicht ist, ließ es zu.
Mit Schriftsatz vom 9. April 1993 hat der Prozeßbevollmächtigte der Antragstellerin gegen den Beschluß ein als Revision bezeichnetes Rechtsmittel eingelegt, dem das FG nicht abgeholfen hat.
Entscheidungsgründe
A) Der beschließende Senat beurteilt das Rechtsmittel als Beschwerde. Die Bezeichnung als Revision ist ein bloßer Schreibfehler. Dafür spricht, daß das FG gegen den Beschuß vom 22. März 1993 das Rechtsmittel der Beschwerde zugelassen hat und das Rechtsmittel innerhalb der Beschwerdefrist von zwei Wochen beim FG eingelegt wurde.
B) Die Beschwerde ist zulässig. Das FG hat sie zugelassen (§ 128 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Die Antragstellerin ist durch den mit der Beschwerde angegriffenen Beschluß beschwert, da das FG ihre Anträge abgelehnt hat.
C) Die Beschwerde war als unbegründet zurückzuweisen. Der angegriffene Beschluß des FG ist frei von Rechtsfehlern.
1. Zutreffend hat das FG den Hauptantrag der Antragstellerin als unzulässig abgelehnt.
a) Nach § 114 Abs. 1 Satz 1 FGO kann das Gericht auf Antrag auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, daß durch die Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind gemäß § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig. Der Antrag muß sich gegen die Finanzbehörde richten, die hinsichtlich des Streitgegenstandes bzw. streitigen Rechtsverhältnisses entscheidungsbefugt ist und gegen die daher im Hauptsacheverfahren die Klage zu erheben wäre (s. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10. Oktober 1973 I B 56/73, BFHE 110, 392, BStBl II 1974, 34; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., 1965/1991, § 114 FGO Tz. 36 m.w.N.; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., 1993, § 114 Rz. 14).
b) Die Antragstellerin hat den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung gegen eine Finanzbehörde gerichtet, die hinsichtlich des Streitgegenstandes bzw. streitigen Rechtsverhältnisses nicht entscheidungsbefugt ist.
Streitiges Rechtsverhältnis und Streitgegenstand, auf die sich die beantragte einstweilige Anordnung bezieht, sind die generelle Freistellung der Antragstellerin von der deutschen Besteuerung aufgrund des Art. 15 Abs. 2 i.V.m. Art. 4 Abs. 1 DBA-Österreich und die Erteilung eines Freistellungsbescheides (Bescheinigung i.S. des § 50d Abs. 3 Satz 1 EStG 1990). Entscheidungsbefugt insoweit ist nur das Bundesamt für Finanzen - BfF - (s. § 5 Abs. 1 Nr. 2 des Gesetzes über die Finanzverwaltung - FVG -), nicht das FA.
2. Den Hilfsantrag der Antragstellerin hat das FG zu Recht als unbegründet abgelehnt.
a) Der Senat geht davon aus, daß die Antragstellerin mit dem Hilfsantrag die Aufhebung der Vollziehung des Haftungsbescheides begehrt. Ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (so die Formulierung im Schriftsatz der Antragstellerin vom 23. Juni 1992) ginge ins Leere, da der Haftungsbescheid nach dem Vortrag der Antragstellerin schon Ende 1991 vollzogen wurde.
b) Der Hilfsantrag ist zulässig.
Die Zulässigkeit eines Antrages gemäß § 69 Abs. 3 Satz 3 FGO auf Aufhebung der Vollziehung eines Haftungsbescheides setzt voraus, daß der Antragsteller geltend macht, durch den Bescheid und dessen Vollziehung in seinen Rechten verletzt zu sein (§ 40 Abs. 2 FGO analog; s. Gräber/Koch, a.a.O., § 69 Rz. 17, 18). Er muß dazu substantiiert und schlüssig dartun, inseinen eigenen Rechten verletzt zu sein (s. Gräber/von Groll, a.a.O., § 40 Rz. 56ff. m.w.N.).
Der Vortrag der Antragstellerin erfüllte diese Voraussetzung. Die Antragstellerin hatte dem FG dargelegt, die O sei gemäß § 50a Abs. 5 Satz 5 EStG i.V.m. § 73g Abs. 1 der Einkommensteuer-Durchführungverordnung (EStDV) für eine Körperschaftsteuerschuld der Antragstellerin in Anspruch genommen worden, die Körperschaftsteuerschuld werde bestritten und aufgrund des Vollzugs des Haftungsbescheides habe die Antragstellerin der O den angeforderten Steuerbetrag zurückzahlen müssen, die Erfüllung der Haftungsschuld sei somit zu Lasten (auf Rechnung) der Antragstellerin gegangen (vgl. BFH-Urteil vom 10. März 1971 I R 73/67, BFHE 102, 242, BStBl II 1971, 589).
3. Der hilfsweise gestellte Antrag, die Vollziehung des Haftungsbescheides aufzuheben, ist jedoch unbegründet.
a) Eine Aufhebung der Vollziehung setzt voraus, daß ernstliche Zweifel an der Rechtsmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder - was im Streitfall nicht in Betracht kommt - die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hatte. Die Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes ist ernstlich zweifelhaft, wenn bei Prüfung der Sach- und Rechtslage aufgrund der präsenten Beweismittel und des unstreitigen Sachverhalts erkennbar wird, daß aus gewichtigen Gründen Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen besteht und sich bei abschließender Klärung dieser Fragen der Verwaltungsakt als rechtswidrig erweisen könnte (vgl. BFH-Urteil vom 17. Mai 1978 I R 50/77, BFHE 125, 423, 426, BStBl II 1978, 579; Gräber/Koch, a.a.O., § 69 Anm. 77f. m.w.N.).
b) Die Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheides ist aus den Gründen des angegriffenen Beschlusses nicht ernstlich zweifelhaft. Nach § 50a Abs. 5 Sätze 1 bis 3 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 und Sätze 3 und 5 und § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d EStG war die O verpflichtet, von der an die Antragstellerin zu zahlenden Vergütung einen Steuerabzug von 15 v.H. vorzunehmen und die einbehaltene Steuer an das FA abzuführen. Sie haftete gemäß § 50a Abs. 5 Satz 5 EStG für die Einbehaltung und Abführung der Steuer und war vom FA - wie geschehen - durch Haftungsbescheid in Anspruch zu nehmen, da sie die Steuer nicht ordnungsgemäß einbehalten und abgeführt hatte (§ 73g Abs. 1 EStDV).
Vom Steuerabzug hätte die O nur absehen dürfen, wenn die sich aus dem DBA-Österreich ergebende Befreiung der Einkünfte der Antragstellerin von der deutschen Besteuerung durch eine Bescheinigung gemäß § 50d Abs. 4 Satz 1 EStG des BfF nachgewiesen worden wäre (§ 50d Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 EStG). Fehlt - wie im Streitfall - diese Bescheinigung, kann die Steuerbefreiung nur im Wege des Steuererstattungsverfahrens nach § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG erreicht werden.
Dies widerspricht entgegen der Auffassung der Antragstellerin nicht dem DBA-Österreich. § 50d EStG schränkt die sich aus dem DBA ergebende Steuerbefreiung der Antragstellerin nicht ein. Er regelt lediglich das innerstaatliche Verfahren zur Durchsetzung der Steuerbefreiung (s. Krabbe in Blümich, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, 14. Aufl., § 50d EStG Rz. 19f.; Kumpf in Hermann/Heuer/ Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, 20. Aufl., § 50d EStG Anm. 44; Vogel, Doppelbesteuerungsabkommen, Kommentar, 2. Aufl. 1990, Vor Art. 10 bis 12 Rz. 35).
Fundstellen
Haufe-Index 419636 |
BFH/NV 1994, 549 |