Entscheidungsstichwort (Thema)
PKH: Haftung eines GmbH-Geschäftsführers wegen Umsatzsteuern
Leitsatz (NV)
- Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass das FA zur Berechnung der Tilgungsquote auf eine vom Steuerpflichtigen eingereichte, offenbar unvollständige Aufstellung zurückgreift, wenn nach den Umständen davon ausgegangen werden kann, dass bei Vorliegen einer vollständigen Aufstellung die Tilgungsquote höher ausgefallen wäre.
- § 254 BGB ist auf öffentlich-rechtliche Steuerhaftungsansprüche nicht anwendbar. Mitwirkendes Verschulden des FA am Entstehen eines Steuerausfalls kann allerdings die Inanspruchnahme des Haftungsschuldners ermessensfehlerhaft machen, sofern dessen Verschulden gering ist. Des weiteren bedarf es aber einer besonders groben oder sogar vorsätzlichen Pflichtverletzung des FA. Allein das Absehen von Beitreibungsmaßnahmen über einen längeren Zeitraum begründet ein Mitverschulden des FA nicht.
Normenkette
FGO § 142 Abs. 1; ZPO § 114; GmbHG § 35 Abs. 1; AO 1977 § 69; BGB § 254
Tatbestand
I. Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) war alleinige Geschäftsführerin einer GmbH, deren Geschäftsbetrieb eingestellt worden ist. Den gestellten Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens wies das zuständige Amtsgericht mangels Masse ab.
Mit Haftungsbescheid nahm der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) die Antragstellerin wegen verspätet angemeldeter und nicht abgeführter Umsatzsteuern für das Jahr 1992 und die Voranmeldungszeiträume April/1994 bis August/1994 nach den §§ 69 und 34 der Abgabenordnung (AO 1977) als Haftungsschuldner in Anspruch.
Nach erfolglosem Einspruch erhob die Antragstellerin gegen den Haftungsbescheid Anfechtungsklage. Zur Begründung ihrer Klage trägt die Antragstellerin im Wesentlichen vor, dass ihr eine schuldhafte Verletzung der steuerlichen Pflichten nicht vorzuwerfen sei. Das FA habe nicht dargelegt, inwieweit die verspätete Abgabe der Umsatzsteueranmeldungen für den eingetretenen Schaden kausal gewesen sei. Auch habe das FA bestehende Vollstreckungsmöglichkeiten bei der GmbH nicht genutzt.
Der von der Antragstellerin zur Durchführung des Klageverfahrens gestellte Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) ist vom Finanzgericht (FG) mangels hinreichender Erfolgsaussichten abgelehnt worden. Nach der im PKH-Verfahren gebotenen summarischen Prüfung hielt das FG den Haftungsbescheid für rechtmäßig, da die Antragstellerin die ihr als Geschäftsführerin obliegende Pflicht zur ordnungsgemäßen Anmeldung und Abführung der streitbefangenen Steuern zumindest grob fahrlässig und damit schuldhaft i.S. von § 69 AO 1977 verletzt habe. Die Haftungssumme sei nach dem Grundsatz der anteiligen Tilgung zutreffend vom FA unter Heranziehung der von der Antragstellerin mitgeteilten Zahlen ermittelt worden. Zwar seien in diesem Zusammenhang wohl nicht alle Verbindlichkeiten berücksichtigt worden, dies habe sich bei der Haftungsquote aber nur zugunsten der Antragstellerin ausgewirkt. Die unterschiedliche Tilgung ergebe sich auch aus dem Vergleich der absoluten Zahlen. So seien die Steuerverbindlichkeiten in dem Haftungszeitraum angestiegen, während die sonstigen Verbindlichkeiten zurückgeführt worden seien. Die mangelnde Verwertung des noch vorhandenen Warenbestandes stehe der Haftungsinanspruchnahme nicht entgegen, da es auf ein etwaiges Mitverschulden des FA nicht ankomme. Im Übrigen hätte die Antragstellerin ihrerseits den Verkauf der Ware in die Wege leiten können, was erfahrungsgemäß zu einem höheren Verwertungserlös geführt hätte.
Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit der vorliegenden Beschwerde. Das FG gehe bei seiner Entscheidung hinsichtlich der Ermittlung der Tilgungsquote von widersprüchlichen und unzutreffenden Zahlen aus. Auch habe das FG fehlerhaft das Mitverschulden des FA nicht berücksichtigt.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde gegen die Versagung der PKH ist nicht begründet. Die Klage bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 142 Abs. 1 der Finanzgerichtsordung; § 114 der Zivilprozessordung). Das FG hat deshalb den Antrag auf Gewährung von PKH zu Recht abgelehnt.
Eine beabsichtigte Rechtsverfolgung verspricht hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Antragstellers aufgrund dessen Sachdarstellung und der vorhandenen Unterlagen zumindest für vertretbar hält, in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist und deshalb bei summarischer Prüfung für einen Eintritt des angestrebten Erfolges eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 16. Dezember 1986 VIII B 115/86, BFHE 148, 215, BStBl II 1987, 217, und vom 2. Juni 1987 VII B 20/87, BFH/NV 1988, 261). Nach Auffassung des Senats sind diese Voraussetzungen im Streitfall nicht gegeben.
Bei der im PKH-Verfahren gebotenen summarischen Prüfung ist es nicht zu beanstanden, dass das FG davon ausgegangen ist, dass die Antragstellerin den Haftungstatbestand des § 69 AO 1977 zumindest grob fahrlässig erfüllt hat.
1. Als alleinvertretungsberechtigte Geschäftsführerin oblag der Antragstellerin nach § 35 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung i.V.m. § 18 Abs. 1 und 3 des Umsatzsteuergesetzes sowohl die fristgerechte Abgabe der Umsatzsteuer-Voranmeldungen und der Umsatzsteuer-Jahreserklärung als auch die fristgerechte Entrichtung der angemeldeten Steuern. Zutreffend hat das FG in der verspäteten Abgabe der Voranmeldungen und der Jahressteuererklärung sowie der Nichtzahlung der Steuern eine schuldhafte Pflichtverletzung der Antragstellerin gesehen und damit das Vorliegen der Haftungsvoraussetzungen des § 69 Satz 1 1. Alternative AO 1977 (nicht rechtzeitig festgesetzt) und des § 69 Satz 1 2. Alternative AO 1977 (nicht erfüllt) bejaht. Ebenso zutreffend hat das FG entsprechend dem vom BFH aufgestellten Grundsatz der anteiligen Tilgung die Haftungsquote ermittelt. Die dabei vom FG herangezogenen Beträge sind anders als die Antragstellerin meint nicht zu beanstanden. Die Steuerverbindlichkeiten, wie sie das FG zugrunde gelegt hat, ergeben sich aus den in den Akten befindlichen Kontoauszügen. Bei den von dem FG in den Gründen zu I. des PKH-Beschlusses angeführten Steuerverbindlichkeiten handelt es sich lediglich um eine Wiedergabe des Vorbringens der Antragstellerin im Verwaltungsverfahren. Keinesfalls ist darin eine verbindliche Tatsachenfeststellung zu sehen. Einen Widerspruch vermag der Senat daher nicht zu erkennen. Es ist ebenfalls nicht zu beanstanden, dass das FA und ihm folgend das FG zur Ermittlung der Tilgungsquote auf die von der Antragstellerin beim FA am 7. März 1997 eingereichte Aufstellung zu der Entwicklung der Verbindlichkeiten in der Zeit vom 31. Dezember 1993 bis 31. Dezember 1995 zurückgegriffen hat. Diese Aufstellung ist zwar insoweit unvollständig, als ein laufender Zu- und Abgang von Verbindlichkeiten in ihr nicht erfasst worden ist und die Berechnung der Tilgungsquote daher nur sehr ungenau möglich ist. Das FG weist aber zu Recht darauf hin, dass bei einer zusätzlichen Berücksichtigung weiterer Verbindlichkeiten, von deren Tilgung dann auszugehen wäre, die Tilgungsquote und damit zwangsläufig auch die Haftungssumme höher ausfallen würde. Soweit die Antragstellerin unter Hinweis auf das Gutachten der Sequesterin vom 2. Oktober 1995 die Ermittlung der Tilgungsquote angreift, kann sie damit mangels hinreichender Substantiierung im vorliegenden Verfahren keinen Erfolg haben. Insoweit muss sie sich entgegenhalten lassen, dass sie die von ihr persönlich gefertigte Aufstellung zu einem Zeitpunkt erstellt hat, als ihr das Gutachten vorgelegen haben musste. Das FG konnte daher stillschweigend davon ausgehen, dass die sonstigen Verbindlichkeiten entsprechend der Aufstellungen der Antragstellerin abgebaut worden waren. Da die Antragstellerin keinerlei nachvollziehbare Begründung abgegeben hat, wie die Abweichung zu erklären ist, muss sie sich jedenfalls im vorliegenden summarischen Verfahren an ihrer schriftlichen Aufstellung festhalten lassen. Allein der Hinweis auf die höhere Sachkompetenz der Sequesterin genügt dem Substantiierungsgebot nicht.
Schließlich hat das FG zutreffend entschieden, dass ein etwaiges Mitverschulden des FA der Inanspruchnahme der Antragstellerin nicht entgegensteht. Nach der Rechtsprechung des beschließenden Senats ist auf öffentlich-rechtliche Steuerhaftungsansprüche § 254 des Bürgerlichen Gesetzbuchs nicht (entsprechend) anwendbar; anders als bei zivilrechtlichen Ersatzleistungen spielt also ein Mitverschulden des Leistungsberechtigten ―hier des FA― für das Entstehen bzw. den Umfang eines Steuerhaftungsanspruchs keine Rolle (vgl. u.a. Senatsurteil vom 26. Februar 1991 VII R 77-78/87, BFH/NV 1992, 87). Mitwirkendes Verschulden des FA am Entstehen eines Steuerausfalls kann allerdings nach der Rechtsprechung des Senats die Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners ermessensfehlerhaft machen, sofern dessen eigenes Verschulden gering ist (vgl. schon Urteil des BFH vom 26. Januar 1961 IV 140/60, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Reichsabgabenordnung, § 109, Rechtsspruch 14; Beschlüsse des Senats vom 19. März 1999 VII B 158/98, BFH/NV 1999, 1304; vom 11. Mai 2000 VII B 217/99, BFH/NV 2000, 1442). Voraussetzung dafür ist jedoch, dass dem FA eine besonders grobe oder sogar vorsätzliche Pflichtverletzung zur Last fällt (Senatsurteil vom 22. Juli 1986 VII R 191/83, BFH/NV 1987, 140). Dabei hat der BFH in ständiger Rechtsprechung ein Mitverschulden des FA, welches bei der Ermessensentscheidung nach § 191 Abs. 1 AO 1977 der Haftungsinanspruchnahme entgegenstehen könnte, dann verneint, wenn das FA lediglich über einen längeren Zeitraum hin von seinen Befugnissen zur Beitreibung ausstehender Steuern keinen Gebrauch gemacht hat (Senatsbeschluss vom 28. Augst 1990 VII S 9/90, BFH/NV 1991, 290). Ausgehend von diesen Grundsätzen vermag der Senat unter Berücksichtigung des Vorbringens der Antragstellerin und der Aktenlage einen Ermessensfehler des FA nicht zu erkennen.
Fundstellen
Haufe-Index 644725 |
BFH/NV 2002, 4 |