Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsätzliche Bedeutung; Auslegung einer Empfangsvollmacht
Leitsatz (NV)
Hat das FG zur Frage nach dem richtigen Bekanntgabeempfänger eines Änderungsbescheides auf die Auslegung einer konkreten Empfangsvollmacht abgestellt, so wird die grundsätzliche Bedeutung des Rechtsstreits nicht allein durch den Hinweis dargelegt, daß die Einschränkbarkeit einer einmal erteilten Prozeßvollmacht klärungsbedürftig sei.
Normenkette
FGO §§ 68, 115 Abs. 2 Nr. 1
Tatbestand
I. Die Beteiligten streiten darüber, ob ein geänderter Steuerbescheid der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) wirksam bekanntgegeben und hierdurch die Frist des § 68 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) in Lauf gesetzt worden ist.
Die Klägerin erhob beim Finanzgericht (FG) eine Klage gegen mehrere Steuerbescheide. Sie wurde hierbei von den Rechtsanwälten K und Partner (nachfolgend: Prozeßbevollmächtigte) vertreten, die während des Klageverfahrens eine vom 1. Juni 1995 datierende Prozeßvollmacht vorlegten. Die Vollmacht erstreckte sich auf die "Prozeßführung (u.a. nach §§ 81 ff. ZPO)" und insbesondere darauf, Zustellungen zu bewirken und entgegenzunehmen.
Im Anschluß an eine Erörterung vor dem FG änderte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) die angefochtenen Bescheide. Die Änderungsbescheide enthalten jeweils den Hinweis, daß sie gemäß § 68 FGO binnen eines Monats zum Gegenstand des finanzgerichtlichen Verfahrens gemacht werden können. Sie wurden an die Prozeßbevollmächtigten der Klägerin adressiert, am 2. Juni 1998 zur Post gegeben und gingen am 3. Juni 1998 bei den Prozeßbevollmächtigten ein.
Mit einem am selben Tag beim FG eingegangenen Schriftsatz vom 15. Juli 1998 beantragten die Prozeßbevollmächtigten, die Änderungsbescheide zum Gegenstand des Klageverfahrens zu machen. Zur Frage der Fristwahrung trugen sie vor, daß die Klägerin im Jahr 1997 dem Steuerberater G eine Empfangsvollmacht für Steuerbescheide erteilt habe und daß die Änderungsbescheide deshalb gegenüber G hätten bekanntgegeben werden müssen. G habe die Bescheide am 19. Juli 1998 erhalten. Erst hierdurch sei die Frist für den Antrag nach § 68 FGO in Lauf gesetzt worden, die deshalb gewahrt sei. Außerdem beantragten die Bevollmächtigten vorsorglich eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
Das FG wies die Klage ab. Zur Begründung führte es im wesentlichen aus, daß der Antrag nach § 68 FGO nicht rechtzeitig gestellt worden sei. Die Revision gegen sein Urteil ließ es nicht zu. Hiergegen richtet sich die auf grundsätzliche Bedeutung und auf Divergenz gestützte Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin.
Entscheidungsgründe
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig. Die Klägerin hat die von ihr in Anspruch genommenen Gründe für eine Zulassung der Revision nicht in hinreichender Form geltend gemacht:
1. Nach § 115 Abs. 2 FGO ist die Revision gegen das Urteil eines FG u.a. dann zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr. 1) oder wenn das angefochtene Urteil von einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr. 2). Wird die Zulassung der Revision mit der Nichtzulassungsbeschwerde erstrebt, so muß in der Beschwerdeschrift die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Divergenzentscheidung bezeichnet werden (§ 115 Abs. 3 Satz 3 FGO). Fehlt es an einer ordnungsgemäßen Darlegung bzw. Bezeichnung des Zulassungsgrundes, so ist die Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.
2. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache dann, wenn sich in ihr eine Rechtsfrage stellt, deren Beantwortung das Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 115 Rz. 7, m.w.N.) und die außerdem im konkreten Fall klärungsfähig ist (BFH-Beschluß vom 26. Februar 1998 III B 5/97, BFH/NV 1998, 1260; Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz. 8, m.w.N.). Die von § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO verlangte "Darlegung" der grundsätzlichen Bedeutung muß sich deshalb grundsätzlich auf diese Merkmale erstrecken. Der Beschwerdeführer muß also zunächst eine konkrete Rechtsfrage formulieren, auf die sich der geltend gemachte Klärungsbedarf beziehen soll (BFH-Beschluß vom 8. Februar 1999 VII B 284/98, BFH/NV 1999, 1217). Sodann muß er auf das Interesse der Allgemeinheit an der Klärung dieser Rechtsfrage sowie auf die Problematik der Klärungsfähigkeit eingehen. Der nicht näher substantiierte Vortrag, eine Rechtssache sei von allgemeiner Bedeutung oder für eine Vielzahl von Verfahren von Interesse, genügt dem Erfordernis des § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO jedenfalls nicht (BFH-Beschlüsse vom 30. Juli 1998 VII B 73/98, BFH/NV 1999, 204; vom 22. Oktober 1998 VIII B 47/98, BFH/NV 1999, 353; Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz. 61, m.w.N.).
Im Streitfall hat das FG sein Urteil im wesentlichen auf die Rechtsprechung des BFH gestützt, nach der bei Änderung eines klagebefangenen Steuerbescheids der Änderungsbescheid grundsätzlich dem im Klageverfahren bestellten Prozeßbevollmächtigten bekanntgegeben werden muß (BFH-Urteil vom 5. Mai 1994 VI R 98/93, BFHE 174, 208, BStBl II 1994, 806). Die Klägerin macht nicht geltend, daß diese Rechtsprechung einer erneuten Überprüfung bedürfe und daß deshalb insoweit ein Klärungsbedarf bestehe. Unter diesem Gesichtspunkt hat sie mithin eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht dargelegt.
Vielmehr beruft sie sich allein darauf, daß der Umfang einer einmal erteilten Prozeßvollmacht nachträglich eingeschränkt werden könne, daß dabei speziell die Entgegennahme von Änderungsbescheiden aus der Bevollmächtigung ausgeklammert werden könne und daß dies im Streitfall geschehen sei. Sie hat jedoch nicht dargestellt, daß und inwieweit es sich hierbei um eine im allgemeinen Interesse klärungsbedürftige und im Streitfall klärungsfähige Rechtsfrage handelt. Dessen hätte es nicht zuletzt bedurft, weil das FG seine Entscheidung im wesentlichen auf eine individuelle Würdigung der dem G erteilten Zustellungsvollmacht gestützt hat: Es hat angenommen, daß diese Vollmacht ihrem Wortlaut nach nicht die klagebefangenen Steuerbescheide umfasse und daß durch sie folglich der Umfang der zuvor erteilten Prozeßvollmacht nicht berührt worden sei. Die hiervon zu unterscheidende Frage, ob eine Prozeßvollmacht überhaupt in bezug auf die Bekanntgabe von Änderungsbescheiden eingeschränkt werden kann und welche Folgerungen sich hieraus ggf. für die Anwendung des § 68 Satz 2 FGO ergeben, hat es demgegenüber ausdrücklich offen gelassen. Vor diesem Hintergrund ist nicht erkennbar, welche über den Einzelfall hinaus bedeutsame Rechtsfrage die Klägerin in dem angestrebten Revisionsverfahren überhaupt geklärt wissen will. Dies in der Beschwerdeschrift aufzuzeigen, wäre aber nach § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO erforderlich gewesen.
Stattdessen hat die Klägerin sich im wesentlichen auf Ausführungen dazu beschränkt, daß sich die dem G erteilte Zustellungsvollmacht ―entgegen der Annahme des FG― auch auf die mit der Klage angefochtenen Bescheide erstreckt habe. Damit macht sie letztlich nur geltend, daß das FG die Vollmacht unzutreffend gewürdigt und den Rechtsstreit falsch entschieden habe. Die schlichte Unrichtigkeit einer finanzgerichtlichen Entscheidung ist jedoch kein Grund für eine Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO. Abgesehen davon enthält die Beschwerdeschrift keinerlei Ausführungen zur Klärungsfähigkeit einer ggf. klärungsbedürftigen Rechtsfrage. Damit wird sie den Anforderungen, die an die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zu stellen sind, nicht gerecht.
3. Eine Abweichung des angefochtenen Urteils von der Rechtsprechung des BFH hat die Klägerin ebenfalls nicht innerhalb der Beschwerdefrist in der gebotenen Form (vgl. hierzu Gräber/ Ruban, a.a.O., § 115 Rz. 63) dargelegt. Von weiteren Ausführungen hierzu wird gemäß Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs abgesehen.
Fundstellen
Haufe-Index 424926 |
BFH/NV 2000, 717 |