Entscheidungsstichwort (Thema)
Rüge des FA wegen unterlassener Beweiserhebung bei Feststellungslast des Klägers
Leitsatz (NV)
- Macht das Finanzamt eine Verletzung des § 76 Abs. 1 FGO mit der Begründung geltend, das FG hätte zu der von ihm substantiiert bestrittenen betrieblichen Veranlassung von Aufwendungen Beweis erheben müssen, so muss es nicht zugleich darlegen, dass es vor dem FG eine Beweiserhebung beantragt hat.
- § 76 Abs. 1 FGO ist verletzt, wenn das FA die betriebliche Veranlassung steuerlich geltend gemachter Aufwendungen substantiiert bestritten hat, das FG aber die betriebliche Veranlassung ohne eine nach Sachlage mögliche Beweiserhebung aufgrund bloßer Wahrscheinlichkeitserwägungen bejaht.
- Seit dem 1.1.2001 kann der BFH im Verfahren über die Nichtzulassung der Revision auch bei einem Verfahrensfehler nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO a.F. im Beschlussverfahren das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit an das FG zurückverweisen.
Normenkette
FGO § 116 Abs. 6, § 76 Abs. 1, § 115 Abs. 2 Nr. 3
Gründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten und Beschwerdeführers (Finanzamt ―FA―) ist begründet. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) wird aufgehoben und der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen (§ 116 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung ―FGO― in der seit 1. Januar 2001 geltenden Fassung).
Der vom FA geltend gemachte Verfahrensmangel (Verletzung der Sachaufklärungspflicht nach § 76 FGO) liegt vor. Die Entscheidung kann darauf beruhen (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO a.F.).
1. Das FA hat den Verfahrensfehler ordnungsgemäß gerügt.
a) Nach § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO a.F. muss, wenn die Nichtzulassungsbeschwerde sich auf einen Verfahrensmangel stützt, dieser "bezeichnet" werden. Diese außer Kraft getretene Fassung des § 115 Abs. 3 FGO ist im Streitfall noch anzuwenden. Nach Art. 4 des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze (2.FGOÄndG) vom 19. Dezember 2000 (BGBl I 2000, 1757) richtet sich nämlich die Zulässigkeit eines Rechtsmittels gegen eine gerichtliche Entscheidung nach den bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Vorschriften, wenn die angefochtene Entscheidung vor dem 1. Januar 2001 verkündet oder von Amts wegen anstelle einer Verkündung zugestellt worden ist.
b) Das FA hat dargelegt, dass es im Klageverfahren die Behauptung des Klägers und Beschwerdegegners (Kläger), die streitigen Aufwendungen seien betrieblich veranlasst, substantiiert bestritten habe und sich daher dem FG eine Beweisaufnahme habe aufdrängen müssen. Ferner hat es vorgetragen, dass es die unterlassene Beweiserhebung nicht habe rügen können, da das Urteil ―aufgrund übereinstimmender Erklärungen der Beteiligten― im schriftlichen Verfahren ergangen sei.
c) Für die ordnungsgemäße Verfahrensrüge ist im Streitfall nicht vorauszusetzen, dass das FA darlegt, beim FG Beweisanträge gestellt zu haben. Wird mit der Rüge mangelnder Sachaufklärung geltend gemacht, das FG habe Beweisanträge übergangen, so ist zwar nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) für eine ordnungsgemäße Bezeichnung des Verfahrensmangels u.a. darzulegen, dass Beweismittel angeboten bzw. Beweisanträge gestellt wurden (vgl. z.B. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 120 Rdnr. 40, m.w.N.). Die Pflicht gemäß § 76 Abs. 1 Satz 2 FGO, Beweismittel anzubieten bzw. Beweisanträge zu stellen, betrifft jedoch in erster Linie den Verfahrensbeteiligten, der hieraus eine für sich steuerlich günstige Rechtsfolge ableiten möchte. Bestreitet das FA substantiiert die betriebliche Veranlassung geltend gemachter Aufwendungen, ist es daher Angelegenheit des Steuerpflichtigen, die betriebliche Veranlassung nachzuweisen (vgl. zur Feststellungslast z.B. Gräber/von Groll, a.a.O., § 96 Rdnr. 23, m.w.N.). Dementsprechend ist es nicht Sache des FA, Beweis dafür anzubieten, dass geltend gemachte Aufwendungen nicht betrieblich veranlasst gewesen seien.
2. Die Rüge mangelnder Sachaufklärung ist auch begründet.
Gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen. Die Aufklärung muss so vollständig wie möglich sein. Wahrscheinlichkeitserwägungen genügen grundsätzlich nicht (vgl. Gräber/von Groll, a.a.O., § 76 Rdnrn. 10, 11). Nach Sachlage musste sich dem FG im Streitfall eine Beweiserhebung aufdrängen (vgl. hierzu z.B. BFH-Beschlüsse vom 15. Dezember 1998 VIII R 52/97, BFH/NV 1999, 943; vom 17. Februar 2000 V B 117/99, BFH/NV 2000, 973).
Das FA hat die Behauptungen des Klägers, die streitgegenständlichen Aufwendungen seien betrieblich veranlasst, substantiiert bestritten. So hat es darauf hingewiesen, dass die streitige Rechnung von einem Schweizer Betrieb stamme, dessen Sitz rd. 350 km entfernt vom Praxissitz des Klägers gelegen und dass die damalige Ehefrau des Klägers in erheblich geringerer Entfernung in der Schweiz gewohnt habe. Der Rechnung lasse sich nicht entnehmen, wo die Arbeiten ausgeführt worden seien, außerdem seien An- und Abfahrt nicht berechnet worden. Ferner ergibt sich aus dem Urteil des FG, dass der Kläger im Klageverfahren zusätzlich Aufwendungen für einen in der Schweiz ansässigen Handwerksbetriebes sowie ein Architekturbüro betrieblich geltend gemacht hat, ohne hierfür ausreichende Belege vorlegen zu können. Vor diesem Hintergrund mussten sich für das FG Zweifel an der Darstellung des Klägers ergeben, so dass es den Sachverhalt weiter hätte aufklären müssen (vgl. z.B. Gräber/von Groll, a.a.O., § 76 Rdnr. 16).
Unerheblich ist der Vortrag des Klägers, seine Nachforschungen hätten ergeben, dass der Inhaber des Handwerksbetriebes mittlerweile verstorben und der Betrieb aufgelöst worden sei. Es kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger hierauf bereits in der mündlichen Verhandlung am 1. Dezember 1999 hingewiesen hat. Das Sitzungsprotokoll enthält hierzu jedenfalls keine Angaben. Selbst wenn der frühere Inhaber des Betriebes nicht vernommen werden könnte, bleibt zu prüfen, ob anderweitig Zeugen zum Nachweis der betrieblichen Veranlassung der Aufwendungen zur Verfügung stehen. Nach Aktenlage kommen als Zeugen beispielsweise die damaligen Vermieter der Praxisräume in Betracht, an die die Räume kurze Zeit später übergeben wurden. Auch ist anzunehmen, dass der Kläger in seiner Praxis Angestellte beschäftigt hat. Da der Kläger die objektive Feststellungslast trägt, ist er ggf. nach § 76 Abs. 1 Satz 2 FGO zudem verpflichtet, beim Auffinden möglicher weiterer Zeugen mitzuwirken.
3. Die Aufhebung der Vorentscheidung und die Zurückverweisung an das FG im Beschlussverfahren stützt sich auf § 116 Abs. 6 FGO in der ab 1. Januar 2001 geltenden Fassung. Die Überleitungsvorschrift des Art. 4 2.FGOÄndG betrifft nur die Zulässigkeit eines Rechtsbehelfs gegen vor dem 1. Januar 2001 verkündete oder zugestellte Entscheidungen. Im Übrigen aber ist das 2.FGOÄndG und damit auch § 116 Abs. 6 FGO am 1. Januar 2001 in Kraft getreten.
Die Entscheidung ergeht nach § 116 Abs. 5 FGO n.F. mit Kurzbegründung.
Fundstellen
Haufe-Index 614047 |
BFH/NV 2001, 1420 |