Entscheidungsstichwort (Thema)
Verdeckte Gewinnausschüttung bei Dauerschuldverhältnissen
Leitsatz (NV)
Eine verdeckte Gewinnausschüttung kann anzunehmen sein, wenn sich eine Kapitalgesellschaft trotz zu ihrem Nachteil geänderter Verhältnisse und trotz rechtlich bestehender Möglichkeit nicht von einem Dauerschuldverhältnis (typisch stille Gesellschaft) mit ihrem beherrschenden Gesellschafter löst, sei es durch Kündigung oder durch den Einwand des Wegfalls der Geschäftsgrundlage.
Normenkette
KStG § 6 Abs. 1 S. 2; KStG 1977 § 8 Abs. 3 S. 2
Tatbestand
In dem beim erkennenden Senat unter dem Aktenzeichen I R 48/85 anhängigen Revisionsverfahren (Hauptverfahren) streiten die Antragstellerin, Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine AG, und der Antragsgegner, Beklagte und Revisionsbeklagte (das Fianzamt - FA -) um die steuerrechtliche Anerkennung der Gewinnverteilung zwischen der Klägerin und ihrem (typischen) stillen Gesellschafter.
Beherrschender Gesellschafter der Klägerin ist nach der unstreitigen Feststellung des Finanzgerichts (FG) K.
Die Klägerin ist durch Umwandlungsbeschluß vom 1. Dezember 1959 aus einer GmbH hervorgegangen. Die GmbH war am 9. Februar 1959 mit Wirkung zum 1. Januar 1959 gegründet worden. Das Stammkapital der GmbH von 100 000 DM übernahmen die A-Establishment in Liechtenstein (A) mit 90 000 DM und K mit 10 000 DM. Mit Vertrag vom 1. August 1959 brachte K seine bisherige Einzelfirma mit Wirkung vom 1. Juli 1959 in die GmbH ein.
Als Entgelt war das nach der Übernahmebilanz vom 30. Juni 1959 ermittelte Reinvermögen vereinbart worden, das der GmbH in Höhe von 500 000 DM als typisch stille Einlage und in Höhe des Restbetrages als Darlehen überlassen werden sollte.
Der Vertrag über die stille Gesellschaft vom 6. August 1959, der mit Wirkung ab 1. Juli 1959 vereinbart wurde, war zunächst fest für eine Dauer von drei Jahren geschlossen; danach bestand eine Kündigungsmöglichkeit mit einer Frist von sechs Monaten zum Ende des Geschäftsjahres. Der stille Gesellschafter war am Gewinn und Verlust der GmbH zu 2/3 beteiligt.
Mit Vertrag vom 21./24. August 1959 wurde die stille Beteiligung des K von 500 000 DM geteilt und mit einem Betrag von 200 000 DM auf die P-Establishment in Liechtenstein (P), mit einem Betrag von 195 000 DM auf die F-GmbH in Basel (F) und mit dem restlichen Betrag von 105 000 DM auf die A ,,übertragen".
Am 1. Dezember 1959 beschloß die Gesellschafterversammlung der GmbH, deren Stammkapital auf 400 000 DM zu erhöhen. Die Erhöhung (300 000 DM) wurde durch die F und die A übernommen, die ihre stillen Einlagen gegen die Einzahlungsverpflichtung aufrechneten. Damit bestand nur noch die stille Beteiligung der P mit 200 000 DM. Ebenfalls zum 1. Dezember 1959 war die Umwandlung der GmbH in die Klägerin (AG) mit Wirkung ab 1. Juli 1959 beschlossen worden.
Mit Vertrag vom 12. Januar 1967 übertrug die P ihre stille Beteiligung an K zurück.
Am 9. Januar 1974 wurde der Vertrag vom 6. August 1959 über die stille Gesellschaft mit Wirkung vom 1. Januar 1974 geändert und neu gefaßt. Die Dauer der stillen Gesellschaft wurde bis zum 31. Dezember 1978 fest, danach wieder mit jährlicher Kündigungsmöglichkeit vereinbart. Auch der Gewinn- und Verlustanteil des stillen Gesellschafters wurde wie im Vertrag vom 6. August 1959 mit 2/3 des Bilanzergebnisses vereinbart.
Aufgrund einer im Jahre 1976 durchgeführten Außenprüfung wurde in einem ,,Ergänzungsprotokoll" zum Vertrag über die stille Beteiligung vom 25. November 1976 ,,bestätigt", daß lediglich eine Gewinn- und Verlustbeteiligung von 26,66 % gewollt und seit der Aufteilung der stillen Beteiligung in dem Vertrag vom 21./24. August 1959 durchgeführt worden sei.
Im Streitjahr (1974) errechnete die Klägerin einen Gewinnanteil für den stillen Gesellschafter mit . . . DM (26,66 %).
Bei der Außenprüfung folgerte der Prüfer aus dem Beschluß des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 2. Juli 1975 I B 5/75 (BFHE 116, 348), daß der Gewinnanteil die Kapitaleinlage nicht übersteigen dürfe; den Unterschiedsbetrag von . . . DM wertete er als verdeckte Gewinnausschüttung. Das FA folgte dieser Auffassung und änderte den vorläufigen Körperschaftsteuerbescheid 1974 vom 27. August 1976 entsprechend. Das Einspruchsverfahren gegen den Änderungsbescheid vom 24. Juni 1977 ruhte wegen des erwarteten BFH-Urteils vom 6. Februar 1980 I R 50/76 (BFHE 130, 268, BStBl II 1980, 477). Danach hielt das FA nur noch einen Gewinnanteil von . . . DM (7%) für angemessen und ging in der insoweit verbösernden Einspruchsentscheidung vom 1. Februar 1982 von einer verdeckten Gewinnausschüttung von . . . DM (26,6% ./. 7%) aus.
Die Klage hatte keinen Erfolg. Das FG war im wesentlichen der Auffassung, der Vertrag vom 9. Januar 1974 sei keine ,,klare und ernsthafte Vereinbarung", wie sie zwischen Kapitalgesellschaft und beherrschendem Gesellschafter zu fordern sei. Es sei nicht die vereinbarte Gewinnbeteiligung von 2/3 vollzogen worden, sondern eine Beteiligung von 26,66 %. ,,Fürsorglich" werde darauf hingewiesen, daß die vollzogene Gewinnverteilung nicht angemessen sei. Die Angemessenheitsprüfung des FA auf den Zeitpunkt der Neufassung des Vertrags vom 9. Januar 1974 sei nicht zu beanstanden. Ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter hätte der mit Änderungen zugunsten des stillen Gesellschafters verbundenen Neufassung des Vertrags nicht ohne Anpassung des Gewinnverteilungsschlüssels an die geänderten Umstände zugestimmt.
Gegen das Urteil des FG hat die Klägerin Revision eingelegt.
Nach Einlegung der Revision am 18. Februar 1985 hat die Klägerin am 22. April 1985 beim FG beantragt, die Vollziehung des angefochtenen Körperschaftssteuerbescheids auszusetzen, da das FA einem Antrag auf Verlängerung der bisher gewährten Aussetzung der Vollziehung bis zur Entscheidung des BFH nicht entsprochen habe.
Durch Beschluß vom 21. Juni 1985 hat das FG den Rechtsstreit antragsgemäß an den BFH als Gericht der Hauptsache verwiesen.
Das FA hat mitgeteilt, es habe mit Verfügung vom 12. April 1985 abgelehnt, die Aussetzung der Vollziehung zu verlängern. Die rückständige Körperschaftsteuer 1974 sei am 13. Juni 1985 gezahlt worden. Das FA beantragt, den Antrag abzuweisen.
Entscheidungsgründe
Der Antrag ist nicht begründet.
I. Der Senat geht davon aus, daß die Klägerin die Aufhebung der Vollziehung (§ 69 Abs. 3 Satz 4 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) begehrt, nachdem das FA mit Schriftsatz vom 10. Juli 1985 mitgeteilt hat, die rückständige Körperschaftsteuer sei am 13. Juni 1985 gezahlt worden.
Dieser Antrag ist zulässig. Da die Revision der Klägerin im Hauptverfahren beim erkennenden Senat anhängig ist, ist dieser Gericht der Hauptsache (§ 69 Abs. 3 Satz 1 FGO). Auch die Zugangsvoraussetzungen des Art. 3 § 7 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (VGFGEntlG) vom 31. März 1978 (BGBl I 1978, 446, BStBl I 1978, 174) i. .d .F. des Art. 1 des Gesetzes zur Beschleunigung verwaltungsgerichtlicher und finanzgerichtlicher Verfahren vom 4. Juli 1985 (BGBl I 1985, 1274, BStBl I 1985, 496) sind gegeben. Die Finanzbehörde hat einen Antrag nach § 69 Abs. 2 FGO abgelehnt.
II. Ernstliche Zweifel i. S. des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes im Aussetzungsverfahren neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken (BFH-Beschluß vom 5. März 1979 GrS 5/77, BFHE 127, 140, 145, BStBl II 1979, 570, 573). Ob ernstliche Zweifel vorliegen, richtet sich bei einem - wie hier - schon in der Revisionsinstanz schwebenden Rechtsstreit nach revisionsrechtlichen Grundsätzen. Danach können ernstliche Zweifel am Bestand des angefochtenen Verwaltungsaktes nur dann bestehen, wenn auch unter Beachtung der nur beschränkten Prüfungsmöglichkeiten des Revisionsgerichts ernstlich mit der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Verwaltungsaktes zu rechnen ist. Das bedeutet, daß bei vermutlichem Durcherkennen des BFH die Erfolgsaussichten des Revisionsverfahrens zu prüfen sind, bei vermutlicher Zurückverweisung die Erfolgsaussichten des dann fortgesetzten Klageverfahrens (BFH-Beschluß vom 21. November 1973 I S 8/73, BFHE 110, 498, BStBl II 1974, 114).
Im vorliegenden Verfahren ist bei überschlägiger Prüfung nicht mit einer Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Verwaltungsaktes zu rechnen.
1. Es kann dahinstehen, ob eine verdeckte Gewinnausschüttung anzunehmen wäre, weil die Klägerin und ihr beherrschender Gesellschafter mit dem Vertrag vom 9. Januar 1974 zwar eine klare und eindeutige Vereinbarung getroffen haben, aber bezüglich der Höhe des Gewinnanteils des stillen Gesellschafters nicht der Vereinbarung gemäß verfahren worden ist (vgl. BFH-Urteile vom 2. Mai 1974 I R 194/72, BFHE 112, 476, BStBl II 1974, 585; vom 30. Juli 1975 I R 110/72, BFHE 117, 36, BStBl II 1976, 74; vom 21. Juli 1976 I R 223/74, BFHE 119, 453, BStBl II 1976, 734), weil statt des vereinbarten Gewinnanteils von 2/3 lediglich ein Gewinnanteil von 26,66 % vergütet wurde. Denn FA und - in den ,,fürsorglichen" Erwägungen - FG konnten das Vorliegen einer verdeckten Gewinnausschüttung in der in der Einspruchsentscheidung angenommenen Höhe ohne Rechtsverstoß aus der vorgenommenen Angemessenheitsprüfung der Gewinnverteilung folgern. Damit kann auch dahinstehen, ob und inwieweit die Regeln über den beherrschenden Gesellschafter bei einem Mehrheitsaktionär eingreifen (vgl. BFH-Urteile vom 15. Dezember 1971 I R 76/ 68, BFHE 104, 530, BStBl II 1972, 436; vom 15. Dezember 1971 I R 5/69, BFHE 104, 524, BStBl II 1972, 438). Offenbleiben kann auch, ob einer solchen Gewinnausschüttung eine verdeckte Nutzungseinlage in Höhe eines angemessenen Gewinnanteils gegenüberstünde (vgl. Wassermeyer, Die Aktiengesellschaft 1985, 285, 292).
2. Bei der gebotenen summarischen Prüfung ist es nicht zu beanstanden, wenn FA und FG die Angemessenheit der Gewinnverteilung zu dem Zeitpunkt geprüft haben, in dem der Vertrag vom 9. Januar 1974 in Kraft trat (am 1. Januar 1974).
a) Dabei sieht es der Senat nicht als entscheidend an, ob durch diesen Vertrag das ursprüngliche Schuldverhältnis nur abgeändert wurde oder ob es aufgehoben und durch ein neues Schuldverhältnis ersetzt wurde (vgl. Staudinger/Löwisch, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 12. Aufl., 1979, § 305 Anm. 43). Ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter im Sinne der Definition der verdeckten Gewinnausschüttung (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 21. Juli 1982 I R 56/82, BFHE 136, 386, BStBl II 1982, 761) hätte die aus der Zeit der Gründung der GmbH herrührende Gewinnverteilung nicht ohne erneute Prüfung der Angemessenheit vereinbart oder fortgesetzt.
b) Bei Dauerschuldverhältnissen, zu denen auch Gesellschaften gehören (vgl. Kramer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Bd. 2, 2. Aufl., 1985, Einleitung vor § 241 Anm. 84), kann die dem Vertragsabschluß folgende Entwicklung der Verhältnisse nicht außer Betracht bleiben. Hier kann eine verdeckte Gewinnausschüttung anzunehmen sein, wenn sich die Kapitalgesellschaft trotz rechtlich bestehender Möglichkeit nicht von dem Vertragsverhältnis löst (vgl. BFH-Urteil vom 9. April 1975 I R 166/73, BFHE 115, 381, BStBl II 1975, 617), sei es durch Kündigung (vgl. Döllerer, Verdeckte Gewinnausschüttungen und verdeckte Einlagen bei Kapitalgesellschaften, 1975, 44) oder durch den Einwand des Wegfalls der Geschäftsgrundlage (vgl. BFH-Urteil vom 13. Oktober 1983 I R 4/81, BFHE 139, 393, BStBl II 1984, 65).
Im Streitfall hätte ein gedachter ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter (vgl. BFH-Urteil vom 23. Mai 1984 I R 294/81, BFHE 141, 266, BStBl II 1984, 673) spätestens den Vertragsabschluß vom 9. Januar 1974 zum Anlaß genommen, die aus dem Jahre 1959 herrührende Gewinnverteilung zu überprüfen und auf eine Berücksichtigung des nach den unstreitigen Berechnungen in der Einspruchsentscheidung erheblich gestiegenen Wertbeitrags der Klägerin in der stillen Gesellschaft hinzuwirken.
3. Entgegen der Auffassung der Klägerin war das FA nicht durch § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 der Abgabenordnung (AO 1977) gehindert, die Grundsätze des Urteils in BFHE 130, 268, BStBl II 1980, 477 hinsichtlich der Bewertung der Kapitaleinsätze in der stillen Gesellschaft zu berücksichtigen. Der Änderung (Verböserung) der Steuerfestsetzung liegt keine geänderte Rechtsprechung zugrunde. Bereits das BFH-Urteil vom 9. Juli 1969 I R 188/67 (BFHE 96, 397, BStBl II 1969, 690) führt aus, der Kapitaleinsatz sei ein bedeutender Umstand bei der steuerrechtlich maßgebenden Gewinnverteilung. Auch soweit die Entscheidung in BFHE 130, 268, BStBl II 1980, 477 Grundsätze zur Ermittlung des Kapitaleinsatzes der Kapitalgesellschaft aufstellt, liegt keine Abweichung von einer früheren Rechtsprechung vor.
Fundstellen
Haufe-Index 414399 |
BFH/NV 1986, 563 |