Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Organisationsfehler
Leitsatz (NV)
- Ein Organisationsfehler liegt nicht vor, wenn der Prozessbevollmächtigte alle Vorkehrungen dafür getroffen hat, die nach vernünftigem Ermessen die Nichtbeachtung von Fristen auszuschließen geeignet sind, und durch regelmäßige Belehrung und Überwachung seiner Bürokräfte für die Einhaltung seiner Anordnungen Sorge getragen hat.
- Insbesondere müssen organisatorische Vorkehrungen dagegen getroffen sein, dass eine mündliche Anweisung an eine Fachangestellte, eine Frist in einer Sache einzutragen, nicht in Vergessenheit gerät und die Eintragung der Frist unterbleibt.
- Ein Organisationsfehler ist insbesondere dann nicht ausgeschlossen, wenn sich erst nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist herausstellt, dass es sich bei der der Fachangestellten zur Fristeintragung übergebenen Sache um den Beschluss handelt, durch den die Revision zugelassen worden war.
- Ein eigenes Verschulden des Prozessbevollmächtigten kann auch nicht wegen der Hektik vor Weihnachten ausgeschlossen werden, wenn der Zulassungsbeschluss am 17. Dezember eingegangen ist, er die Kanzlei aber am 19. Dezember bis zum Ende des Jahres schließt.
Normenkette
FGO §§ 56, 116
Verfahrensgang
Nachgehend
Tatbestand
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage der Kläger und Revisionskläger (Kläger) wegen Einkommensteuer 1991 bis 1994 ab, ohne die Revision zuzulassen. Durch Beschluss vom 28. November 2002 ―dem Prozessbevollmächtigten der Kläger lt. Postzustellungsurkunde zugestellt am 17. Dezember 2002― ließ der Senat die Revision zu.
Die Revisionsbegründungsschrift ging beim Bundesfinanzhof (BFH) per Telefax am 4. Februar 2003 ein. Zugleich beantragten die Kläger unter Beifügung von Kopien aus dem Fristenkontrollbuch des Prozessbevollmächtigten und einer eidesstattlichen Versicherung seiner Mitarbeiterin K, ihnen wegen der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Säumnis beruhe auf einem Büroversehen. Alle Fristensachen würden im Büro des Prozessbevollmächtigten in ein gebundenes Fristenkontrollbuch handschriftlich eingetragen. Es werde seit ca. 10 Jahren von einer äußerst erfahrenen und zuverlässigen Mitarbeiterin geführt. Trotzdem sei in der Hektik der Vorweihnachtszeit die Eintragung des Beschlusses und der Revisionsbegründungsfrist unterblieben.
Der Mitarbeiterin, die die Fünfzig überschritten habe sowie den Zahlungsverkehr und die Buchhaltung der Praxis des Prozessbevollmächtigten erledige, sei seit 1992 kein einziger nennenswerter Fehler unterlaufen, so dass kein Anlass bestanden habe, sie permanent zu überwachen. Deshalb sei der Prozessbevollmächtigte auch der Eintragung des Zulassungsbeschlusses nicht nachgegangen. Das Versehen sei erst durch den Zugang des Schreibens des BFH vom 21. Januar 2003 ―zugestellt am 23. Januar 2003― aufgefallen.
In ihrer eidesstattlichen Versicherung vom 3. Februar 2003 gibt die Mitarbeiterin, Frau K an, dass ihr der Prozessbevollmächtigte der Kläger am 17. oder 18. Dezember 2002 zusammen mit dem Fristenkontrollbuch eine Reihe von Unterlagen mit der Bemerkung übergeben habe, darunter befände sich auch eine Sache, für die eine Frist eingetragen werden müsse. Da die Kanzlei am 19. Dezember 2002 bis zum Ende des Jahres geschlossen werden sollte, habe sie wegen der großen Hektik die Unterlagen erst einmal beiseite gelegt, um sie in Ruhe sichten zu können. Dabei sei der Hinweis, eine Frist zu notieren, vollkommen in Vergessenheit geraten. Dass es sich dabei um den Zulassungsbeschluss gehandelt habe, habe sich erst sehr viel später herausgestellt.
Anfang Januar habe sie die betreffenden Unterlagen in der Meinung, dass sie sich erledigt hätten, in die allgemeine Ablage gegeben, ohne sie weiter durchzusehen. Da keine weiteren Fristsachen eingegangen seien, habe sie auch nicht mehr an die Frist gedacht.
Mit Schriftsatz vom selben Tage haben die Kläger die Revision auch begründet.
Sie beantragen, das Urteil des FG aufzuheben und die angefochtenen Einkommensteuerbescheide 1991 bis 1994 dahin zu ändern, dass die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft für 1991 um … DM, für 1992 um … DM, für 1993 um … DM und für 1994 um … DM herabgesetzt werden.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Das FA meint, die Revision sei bereits unzulässig; im Übrigen aber auch unbegründet.
In ihrer Replik auf die Ausführungen des FA tragen die Kläger u.a. noch vor, ihr Prozessbevollmächtigter habe seiner Mitarbeiterin den Beschluss des BFH körperlich ausgehändigt und mündlich noch hinzugefügt, dass eine Frist zu notieren sei. Das sei das bei ihrem Prozessbevollmächtigten übliche Verfahren, zumal dessen Mitarbeiterin die einzutragenden Fristen aufgrund ihrer jahrelangen Erfahrungen in der Regel selbst ermittle. Im Übrigen nehme der Bevollmächtigte die Fristen sehr ernst; das Fristenkontrollbuch habe zur laufenden Kontrolle einen festen Platz auf seinem Schreibtisch.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unzulässig und daher durch Beschluss zu verwerfen (§ 124 Abs. 1, § 126 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―). Die Kläger haben die Revisionsbegründung nicht fristgerecht eingereicht; Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nicht zu gewähren.
Nach § 120 Abs. 2 Satz 1, 1. Halbsatz FGO ist die Revision innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen; im Fall der Stattgabe einer Nichtzulassungsbeschwerde (§ 116 Abs. 7 FGO) beträgt die Begründungsfrist für den Beschwerdeführer einen Monat nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Revision (§ 120 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbsatz FGO).
Die Kläger haben die Revisionsbegründung aber erst am 4. Februar 2003 und damit verspätet eingereicht. Denn der Beschluss über die Zulassung der Revision wurde dem Prozessbevollmächtigten der Kläger lt. Postzustellungsurkunde bereits am 17. Dezember 2002 zugestellt.
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nach § 56 Abs. 1 FGO auf Antrag zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden an der Einhaltung einer gesetzlichen Frist gehindert war. Dabei muss sich der Beteiligte ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen (§ 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 der Zivilprozessordnung ―ZPO―).
Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand setzt in formeller Hinsicht voraus, dass innerhalb einer Frist von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses die versäumte Rechtshandlung nachgeholt und diejenigen Tatsachen vorgetragen und im Verfahren über den Antrag durch präsente Beweismittel glaubhaft gemacht werden, aus denen sich die schuldlose Verhinderung ergeben soll (§ 56 Abs. 2 FGO; ständige Rechtsprechung; s. z.B. BFH-Urteil vom 27. März 1985 II R 118/83, BFHE 144, 1, BStBl II 1985, 586, sowie Senatsbeschluss vom 28. Juni 2002 IV R 40/01, BFH/NV 2002, 1597). Weiter schließt jedes Verschulden ―also auch eine einfache Fahrlässigkeit― die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus (BFH-Beschluss vom 6. November 1997 VII R 113/97, BFH/NV 1998, 709).
Beruft sich ein durch einen Prozessbevollmächtigten vertretener Beteiligter ―wie im Streitfall die Kläger― auf ein (nicht zu vertretendes) Büroversehen, so muss dargelegt werden, dass kein Organisationsfehler vorliegt, d.h. dass der Prozessbevollmächtigte alle Vorkehrungen dafür getroffen hat, die nach vernünftigem Ermessen die Nichtbeachtung von Fristen auszuschließen geeignet sind, und dass er durch regelmäßige Belehrung und Überwachung seiner Bürokräfte für die Einhaltung seiner Anordnungen Sorge getragen hat (vgl. BFH-Beschluss vom 25. Februar 1999 X R 102/98, BFH/NV 1999, 1221, m.w.N., sowie Senatsbeschluss in BFH/NV 2002, 1597). Auch müssen organisatorische Vorkehrungen dagegen getroffen worden sein, dass eine mündliche Anweisung an eine Fachangestellte, eine Frist in einer Sache einzutragen, nicht in Vergessenheit gerät und die Fristeintragung unterbleibt (Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 4. November 2003 VI ZB 50/03, Neue Juristische Wochenschrift ―NJW― 2004, 688). Insoweit muss vorgetragen werden, durch welche Maßnahmen der Prozessbevollmächtigte gewährleistet hat, dass in seinem Büro die Fristen entsprechend seinen Anweisungen notiert und kontrolliert werden, wann und wie er seine Bürokräfte entsprechend belehrt und wie er die Einhaltung dieser Belehrungen überwacht hat (BFH-Beschluss vom 24. Juli 2002 VII B 150/02, BFH/NV 2002, 1489, m.w.N.).
Im Streitfall kann ein Organisationsfehler nach den Darlegungen der Kläger nicht ausgeschlossen werden. Insbesondere ist ihr Vortrag auch nicht widerspruchsfrei. Nach den ergänzenden Ausführungen im Schriftsatz vom 15. April 2003 soll ihr Prozessbevollmächtigter den Beschluss des BFH seiner Mitarbeiterin K "zusammen mit dem Fristenkontrollbuch körperlich ausgehändigt" haben. In ihrer eidesstattlichen Versicherung teilt Frau K aber mit, der Prozessbevollmächtigte habe ihr ―am 17. oder 18. Dezember 2002― eine Reihe von Unterlagen übergeben, unter denen sich auch eine Sache befunden habe, wegen der eine Frist eingetragen werden musste. Dass es sich dabei um den Zulassungsbeschluss in der Sache der Kläger gehandelt habe, habe sich erst wesentlich später herausgestellt. Damit ist aber jedenfalls offen, ob dem Beschluss die nötige Aufmerksamkeit gewidmet wurde. Zudem lässt die Mitarbeiterin in ihrer Versicherung offen, an welchem Tag ihr der Prozessbevollmächtigte die Unterlagen übergeben hat, am 17. oder am 18. Dezember. Schließlich kann auch dem Prozessbevollmächtigten die in derselben Urkunde von Frau K angesprochene Hektik nicht verborgen geblieben sein. Gerade im Hinblick darauf hätte er sich spätestens am 19. Dezember, dem Tag, an dem die Kanzlei für den Rest des Jahres geschlossen wurde, noch einmal nach der Notierung der Frist erkundigen müssen. Das ist offensichtlich nicht geschehen.
Damit haben die Kläger weder dargelegt noch glaubhaft gemacht, dass ihr Prozessbevollmächtigter bei der Organisation seiner Praxis die notwendigen Vorkehrungen getroffen hatte, um die Eintragung der Frist in das Fristenkontrollbuch zu sichern. Unabhängig davon ist dem Prozessbevollmächtigten vor dem 17. Januar 2003 offenbar auch nicht (mehr) aufgefallen, dass das Fristenkontrollbuch, das nach seinen Angaben von ihm laufend kontrolliert wurde, sich entweder ―entgegen dem eigenen Vortrag― nicht auf seinem Schreibtisch befand, oder aber ―jedenfalls ausweislich der übersandten Kopien― in der Sache der Kläger für den Monat Dezember keine Eintragung enthielt, obwohl für jeden Monat nur wenige Fristsachen einzutragen waren.
Fundstellen