Entscheidungsstichwort (Thema)
Schlüssige Darlegung eines Wiedereinsetzungsgrundes; Büroversehen
Leitsatz (NV)
1. Beruft sich der Prozeßbevollmächtigte auf ein (von ihm nicht zu vertretendes) Büroversehen, so muß er darlegen, daß kein Organisationsfehler vorliegt, d. h., daß er alle Vorkehrungen dafür getroffen hat, die nach vernünftigem Ermessen die Nicht beachtung von Fristen auszuschließen geeignet sind, und daß er durch regelmäßige Belehrung und Überwachung seiner Bürokräfte für die Einhaltung seiner Anordnungen Sorge getragen hat (vgl. BFH-Beschluß vom 30. März 1994 II R 56/93, BFH/NV 1995, 38, m. w. N.).
2. Nach diesen Grundsätzen reicht es zur schlüssigen Darlegung eines Wiedereinsetzungsgrundes insoweit nicht aus, wenn nur vorgetragen wird, daß eine Mitteilung der Eintragung der Revisionsbegründungsfrist in das vom Prozeßbevollmächtigten ohne nähere Erläuterung so bezeichnete Fristenkontrollbuch an den zuständigen Sachbearbeiter versehentlich nicht erfolgt sei. Damit wird bereits nicht hinreichend deutlich, wem dieses Versehen anzulasten ist, dem Prozeßbevollmächtigten selbst oder einem Mitarbeiter, gegebenenfalls ob hinsichtlich der Auswahl, Belehrung und Überwachung dieser Bürokraft den Anforderungen entsprochen wurde. Nicht hinreichend substantiiert vorgetragen wird damit auch, ob das vom Prozeßbevollmächtigten so bezeichnete Fristenkontrollbuch den an ein solches zu stellenden organisationsmäßigen Anforderungen genügt. Notwendig ist in einem derartigen Fall darüber hinaus eine Darlegung darüber, daß eine für eine ordnungsgemäße Büroorganisation unerläßliche Ausgangskontrolle eingerichtet ist.
Normenkette
FGO § 56 Abs. 1, § 155; ZPO § 85 Abs. 2
Tatbestand
A war Eigentümer eines Grundstücks, das zugunsten seiner 1907 geborenen Mutter, M, mit einem Nießbrauch belastet war. Durch notariell beurkundeten Vertrag vom 27. Dezember 1993 schenkte A seinen beiden Kindern, den Klägern und Revisionsklägern (Kläger), je 1/2 Miteigentumsanteil an dem Grundstück. Mit der Annahme der Schenkung bestellten die Kläger ihrer Mutter, B, einen weiteren Nießbrauch an dem Grundstück.
Durch Bescheide vom 30. Juni 1994 setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) Schenkungsteuer in Höhe von je X DM gegen die Kläger fest. Der Nießbrauch zugunsten der B wurde dabei nicht steuermindernd berücksichtigt.
Mit der Klage wurde geltend gemacht, die festgesetzte Schenkungsteuer sei nach § 25 Abs. 1 ErbStG zinslos zu stunden, da der Schenker seiner Ehefrau das Nießbrauchsrecht vorbehalten habe.
Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen. Das FG-Urteil wurde dem Prozeßbevollmächtigten der Kläger am 15. Dezember 1995 zugestellt. Mit beim FG am 28. Dezember 1995 eingegangenen Schriftsatz ihres Prozeßbevollmächtigten legten die Kläger gegen das FG-Urteil Revision ein. Dieser bat gleichzeitig um Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist bis zum 30. April 1996. Durch Schreiben vom 12. Januar 1996 wurde dem Klägervertreter mitgeteilt, daß die Frist zur Begründung der Revision bis zum 30. April 1996 verlängert worden sei. Innerhalb dieser Frist wurde die Revision nicht begründet und auch kein Antrag auf weitere Verlängerung der Frist gestellt. Durch Schreiben vom 29. Mai 1996 wurde der Klägervertreter auf den Ablauf der Frist hingewiesen. Das Schreiben enthielt zugleich einen Hinweis auf § 56 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
Mit Schriftsatz vom 7. Juni 1996, eingegangen beim Bundesfinanzhof (BFH) am 10. Juni 1996, begründete der Prozeßbevollmächtigte die Revision und stellte den Antrag, unter Aufhebung der Vorentscheidung den Schenkungsteuerbescheid dahingehend zu ändern, daß das Nießbrauchsrecht zugunsten von B berücksichtigt werde und die festgesetzte Schenkungsteuer zinslos gestundet werde.
Wegen der abgelaufenen Revisionsbegründungsfrist wurde Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt. Dies wurde wie folgt begründet:
"Zunächst nehme ich Stellung zur abgelaufenen Frist bezüglich der Revisionsbegründung. Diese Frist war von meiner Mitarbeiterin in das Fristenkontrollbuch eingetragen worden, ist dann aber im April 1996 dem zuständigen Sachbearbeiter (angestellter Steuerberater) versehentlich nicht weitergegeben worden. Vom System her werden den Sachbearbeitern spätestens wöchentlich die offenen Bescheide bzw. Urteile handschriftlich aufgelistet; eine entsprechende Kopie des Fristenkontrollbuchs kann auf Anfrage nachgereicht werden. Das Verfahren hat sich bisher als zuverlässig erwiesen. Hier handelt es sich um einen einmaligen Ausnahmefall, wahrscheinlich weil der Eintrag ins Fristenkontrollbuch weiter zurück lag. Insofern bitte ich um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand."
Das FA beantragt, die Revision als unzu lässig zu verwerfen. Hilfsweise wird beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Kläger ist unzulässig, da sie nicht fristgemäß begründet wurde und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden kann.
1. Nach § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO ist die Revision innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen und spätestens innerhalb eines weiteren Monats zu begründen. Nach Satz 2 der Vorschrift kann die Frist für die Revisionsbegründung auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag hin durch den Vorsitzenden des zuständigen Senats des BFH verlängert werden. Im Streitfall wurde die Begründungsfrist bis zum 30. April 1996 verlängert. Die Revisionsbegründung der Kläger ist jedoch erst nach Ablauf dieser Frist und mithin verspätet beim BFH eingegangen.
2. Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist ist nicht zu entsprechen. Nach § 56 Abs. 1 FGO ist demjenigen, der ohne Verschulden an der Einhaltung einer gesetzlichen Frist verhindert war, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Dabei ist ein Verschulden des Prozeßbevollmächtigten den Klägern zuzurechnen (§ 155 FGO i. V. m. § 85 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung -- ZPO --). Nach § 56 Abs. 2 FGO ist der Antrag binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind nach ständiger Rechtsprechung innerhalb der Zweiwochenfrist substantiiert vorzutragen (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 27. März 1985 II R 118/83, BFHE 144, 1, BStBl II 1985, 586, m. w. N.). Das Wiedereinsetzungsgesuch muß dementsprechend eine genaue Darstellung aller innerhalb der versäumten Frist liegenden Umstände enthalten, die für die Frage von Bedeutung sind, auf welche Weise und durch wessen Verschulden es zur Versäumung der Frist gekommen ist.
Beruft sich der Prozeßbevollmächtigte -- wie im Streitfall -- auf ein (von ihm nicht zu vertretendes) Büroversehen, so muß er darlegen, daß kein Organisationsfehler vorliegt, d. h., daß er alle Vorkehrungen dafür getroffen hat, die nach vernünftigem Ermessen die Nichtbeachtung von Fristen auszuschließen geeignet sind, und daß er durch regelmäßige Belehrung und Überwachung seiner Bürokräfte für die Einhaltung seiner Anordnungen Sorge getragen hat (vgl. Senatsbeschluß vom 30. März 1994 II R 56/93, BFH/NV 1995, 38, m. w. N.).
Diesen Anforderungen genügt die Begründung des Wiedereinsetzungsantrags im Streitfall nicht. Die innerhalb der Frist vorgetragenen Tatsachen enthalten keine schlüssige Darlegung eines Wiedereinsetzungsgrundes. Vorgetragen wird insoweit nur, daß eine Mitteilung der Eintragung der Revisionsbegründungsfrist in das -- vom Prozeßbevollmächtigten so bezeichnete -- Fristenkontrollbuch an den zuständigen Sachbearbeiter versehentlich nicht erfolgt sei. Es wird bereits nicht hinreichend deutlich, wem dieses Versehen anzulasten ist, dem Prozeßbevollmächtigten selbst oder einem Mitarbeiter, gegebenenfalls ob hinsichtlich der Auswahl, Belehrung und Überwachung dieser Bürokraft den Anforderungen entsprochen wurde (vgl. BFH- Beschluß vom 10. April 1995 III B 73/92, BFH/NV 1995, 1072). Nicht hinreichend substantiiert vorgetragen wird auch, ob das vom Prozeßbevollmächtigten so bezeichnete Fristenkontrollbuch den an ein solches zu stellenden organisationsmäßigen Anforderungen genügt. Insbesondere fehlt jegliche Darlegung über die -- für eine ordnungsgemäße Büroorganisation unerläßliche -- Einrichtung einer Ausgangskontrolle (vgl. z. B. BFH-Beschlüsse vom 18. Januar 1984 I R 196/83, BFHE 140, 146, BStBl II 1984, 441; vom 19. Juli 1989 V R 4/89, BFH/NV 1991, 42). Ausführungen zum Vorliegen einer wirksamen Ausgangskontrolle wären im Streitfall in besonderem Maße veranlaßt gewesen, da die Nichteinhaltung der Revisionsbegründungsfrist im Streitfall offenbar mehrere Wochen unentdeckt geblieben ist.
Fundstellen
Haufe-Index 421844 |
BFH/NV 1997, 358 |