Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulassung der Revision im FG-Urteil; keine Hemmung der Revisionsfrist durch Antrag auf Tatbestandsberichtigung oder Ergänzung des Urteils; keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Umzugs
Leitsatz (NV)
1. Enthält das Urteil des FG keinen ausdrücklichen Ausspruch über die Zulassung der Revision, so ist die Revision nicht zugelassen worden.
2. Ein Antrag auf Tatbestandsberichtigung oder auf Ergänzung des Urteils hemmt nicht den Beginn der Revisions- oder Beschwerdefrist.
3. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Begründungsfrist kommt nicht in Betracht, weil die Kläger nicht ohne Verschulden verhindert waren, die Frist einzuhalten. Ein Umzug ist kein vorhersehbares Ereignis und damit kein Grund, der eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigen könnte.
Normenkette
FGO § 56 Abs. 1, §§ 108-109, 115 Abs. 1
Verfahrensgang
FG Köln (Urteil vom 15.10.2003; Aktenzeichen 14 K 7950/99) |
Tatbestand
I. Die Beteiligten streiten, ob ein übereinstimmend für erledigt erklärtes Verfahren fortzusetzen ist. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 14. Oktober 1997 wurde das Verfahren X wegen Einkommensteuer 1989 übereinstimmend für erledigt erklärt.
Mit der Klage vom 14. Juni 1999 haben die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) Klage erhoben mit dem Antrag, das Verfahren X wieder aufzunehmen. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Der Rechtsstreit sei in der Hauptsache erledigt. Gründe für eine Wiederaufnahme des Verfahrens seien nicht gegeben. Das Urteil des FG wurde am 12. Dezember 2003 zugestellt. Die auf Zulassung der Revision gerichtete Beschwerdebegründung ging am 2. März 2004 beim Bundesfinanzhof (BFH) ein. Einen Antrag auf Tatbestandsberichtigung (Ergänzung des Urteils um einen Ausspruch über die Revisionszulassung) wies das FG mit Beschluss vom 4. Februar 2004 zurück.
Mit der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision machen die Kläger geltend:
1. Die Frist zur Begründung der Beschwerde sei eingehalten worden, da das vollständige Urteil erst mit der Zustellung des Beschlusses zur Tatbestandsberichtigung vom 4. Februar 2004 vorgelegen habe. Das den Klägern am 12. Dezember 2003 zugestellte Urteil sei nicht geeignet gewesen, die Rechtsmittelfrist in Gang zu setzen, da es nicht vollständig gewesen sei. Über den auch im Tatbestand wiedergegebenen Antrag auf Zulassung der Revision sei nicht entschieden worden. Das abgesetzte Urteil sei damit in wesentlichen Teilen unvollständig. Der Tenor sei unvollständig gewesen, die Darstellung des Tatbestandes unzutreffend, weil schon der Streitgegenstand falsch beschrieben worden sei. Auch die Entscheidungsgründe seien unvollständig und unzutreffend. Stark mangelhafte Urteile seien zu ergänzen und zu berichtigen. Erst nach der Ergänzung und Berichtigung sei für den Steuerbürger klargestellt, gegen was er sich ggf. mit welchem Rechtsmittel wenden könne. Wollte man die Rechtsmittelfrist auch bei solch offenkundig unrichtigen und unvollständigen Urteilen anlaufen lassen, würde man dem Steuerbürger Kostenrisiken aufbürden, die nicht zu rechtfertigen seien. Würde seinem Berichtigungsantrag stattgegeben und die Revision zugelassen, dann entfiele die vorsorglich eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde.
Die Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Urteils sei nicht klar, eindeutig und zutreffend. Sie stelle die einzelnen Alternativen gegenüber, ohne einen Hinweis darauf zu geben, welche der beiden Alternativen im konkreten Fall zum Zuge komme. Dem nicht beratenen Rechtssuchenden sei nicht mehr zuzumuten, bei dieser Situation auch noch in eine Interpretation des Urteils einzutreten.
2. Die Kläger hätten, um die gebotene Klarheit für das weitere Vorgehen herzustellen, beantragt, das Urteil zu ergänzen und zu berichtigen. Am 9. Januar 2004 habe die Entscheidung noch ausgestanden; vorsorglich hätten die Kläger Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision erhoben. Die Beschwerde sei vorab am 9. Januar 2004 per Fax übermittelt worden. Unter dem 4. Februar 2004 habe das FG den Antrag zurückgewiesen; die Entscheidung sei am 5. Februar 2004 zugestellt worden. Erst von diesem Zeitpunkt an liege eine ordnungsgemäße Rechtsmittelbelehrung vor. Die Beschwerdebegründungsfrist könne frühestens von diesem Zeitpunkt anlaufen. Die Beschwerde sei innerhalb dieser Frist begründet worden.
3. Hilfsweise werde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Die Kläger seien Ende 2003 nach … umgezogen; der Umzug habe sich chaotisch gestaltet. Am 14. Januar und Anfang Februar 2004 sei Wasser in den Keller eingedrungen; die als Zwischenlager dienenden Kellerräume seien überflutet worden. Erst am Nachmittag des 18. Februar 2004 hätten die das Beschwerdeverfahren betreffenden Ordner unversehrt geborgen werden können. Nach der Bergung sei die Bearbeitung der Beschwerde unverzüglich aufgenommen worden.
4. Die Beschwerde sei auch begründet. Dazu tragen die Kläger insbesondere vor:
a) Das FG habe das Klagebegehren falsch wiedergegeben. Streitgegenstand sei nicht die Erfüllung der in der mündlichen Verhandlung vom 14. Oktober 1997 von dem Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) übernommenen Verpflichtungen, sondern die Fortsetzung des Verfahrens.
b) Die Erklärung des FA, dass in dem Verfahren X keine für das Verfahren bedeutsamen Belege vorgelegen hätten, sei objektiv falsch. Der Kläger habe sich ausweislich des Protokolls vom 15. Oktober 2003 nur deshalb auf die tatsächliche Verständigung eingelassen, weil nach Erklärung des FA-Vertreters keine Belege mehr vorhanden gewesen seien. Bei Irreführung durch die Finanzbehörde könne ausnahmsweise ein Verfahren fortgesetzt werden. Das FG habe diesen Ausnahmetatbestand nicht geprüft, sondern allein die Voraussetzungen einer Restitutionsklage. Das sei ein schwerer Rechtsanwendungsmangel.
c) Die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung zu Fragen der tatsächlichen Verständigung, zur Frage des Vorliegens der Gewinnerzielungsabsicht bei selbständiger Arbeit und zur Frage der Voraussetzungen des Übergangs wirtschaftlichen Eigentums.
Die Kläger beantragen, die Revision zuzulassen.
Das FA beantragt, die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen:
1. Die Beschwerde sei verspätet eingelegt worden, ausweislich des Eingangsstempels erst am 13. Januar 2004. Auch die Beschwerdebegründung sei verspätet eingegangen; die nach § 116 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) vorgeschriebene Begründungsfrist sei am 12. Februar 2004 abgelaufen, die Beschwerdebegründung sei jedoch erst am 2. März 2004 beim BFH, also verspätet, eingegangen.
2. Die Frist zur Einlegung und die zur Begründung der Beschwerde seien nicht durch den Antrag auf Urteilsergänzung bzw. Tatbestandsberichtigung erst zu einem späteren Zeitpunkt in Gang gesetzt worden. Treffe das FG keine Aussage zur Zulassung der Revision, so sei diese versagt. Der Antrag auf Ergänzung eines Urteils habe keinen Einfluss auf den Lauf der Frist.
3. Wiedereinsetzung komme nicht in Betracht. Der Umzug der Kläger sei bereits im Oktober 2003 erfolgt. Der Vorfall vom 14. Januar 2004 habe sich nach Ablauf der Beschwerdefrist ereignet. Die Kläger hätten zudem einen Antrag auf Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist stellen können.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist nicht zulässig. Die Beschwerdebegründung ist verspätet eingereicht worden.
a) Die Frist zur Begründung lief gemäß § 116 Abs. 3 Satz 1 FGO am 12. Februar 2004 ab; die Begründung ging aber erst am 2. März 2004 beim BFH ein.
b) Entgegen der Auffassung der Kläger begann die Frist gemäß § 116 Abs. 2 Satz 1 FGO mit der Zustellung des Urteils am 12. Dezember 2003. Das Urteil des FG war vollständig i.S. des § 105 Abs. 2 FGO; alle dort aufgeführten Bestandteile sind in dem Urteil enthalten.
Enthält das Urteil des FG keinen Ausspruch über die Zulassung der Revision, so ist, da die Zulassung ausdrücklich erfolgen muss, die Revision nicht zugelassen worden (BFH-Beschluss vom 23. Oktober 1986 IX R 186/85, BFH/NV 1988, 108). Bringt das FG weder im Tenor des Urteils noch in den Urteilsgründen zum Ausdruck, dass es die Revision zulassen will, so fehlt es an dem Erfordernis des § 115 Abs. 1 FGO, dass "das Finanzgericht die Revision zugelassen hat" (BFH-Beschluss vom 28. Juli 1977 IV R 127/76, BFHE 123, 117, BStBl II 1977, 819). Dementsprechend ist das Urteil auch hinsichtlich einer Entscheidung über die Zulassung der Revision vollständig.
Die Rechtsmittelbelehrung ist hinreichend klar, so dass auch insoweit die Frist zur Einlegung und Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde nicht gehemmt war. Für den Fall, dass die Revision nicht zugelassen ist, wird im FG-Urteil in der Rechtsmittelbelehrung unter 2. auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde hingewiesen. Dementsprechend haben die Kläger fristgerecht Beschwerde erhoben; allein die Frist zu deren Begründung wurde versäumt.
c) Ein Antrag auf Tatbestandsberichtigung (§ 108 FGO) oder auf Ergänzung des Urteils (§ 109 FGO) hemmt nicht den Fristbeginn. Die Entscheidung des FG, mit der es den Antrag auf Ergänzung seines Urteils ablehnte, ist ohne Einfluss auf den Lauf der Revisions- oder Beschwerdefrist (vgl. BFH-Beschluss vom 24. Januar 1979 II R 108/77, BFHE 127, 133, BStBl II 1979, 373). Selbst eine nachträgliche Berichtigung der ursprünglichen Urteilsfassung hätte auf den Lauf der Rechtsmittelfrist grundsätzlich keinen Einfluss (BFH-Beschluss vom 18. Juni 1986 V S 5/86, BFH/NV 1986, 621).
d) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Begründungsfrist kommt nicht in Betracht, weil die Kläger nicht ohne Verschulden verhindert waren, die Frist einzuhalten (§ 56 Abs. 1 FGO). Ein Umzug ist kein unvorhersehbares Ereignis und damit regelmäßig kein Grund, der eine verspätete Begründung entschuldigen könnte (vgl. Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., 2002, § 56 Rz. 20 "Unvorhersehbare Ereignisse"). Zudem hätten die Kläger, die bereits bei Einlegung der Beschwerde durch einen Bevollmächtigten i.S. des § 62a FGO vertreten waren, gemäß § 116 Abs. 3 Satz 4 FGO beantragen können, die Begründungsfrist zu verlängern.
Fundstellen
Haufe-Index 1412444 |
BFH/NV 2005, 1856 |