Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist
Leitsatz (NV)
1. Nimmt ein berufsmäßiger Vertreter an, daß die der Gegenseite gewährte Verlängerung der Frist zur Begründung der Revision auch für die eigene Revisionsbegründung gelte, so ist dieser Irrtum nicht unverschuldet und kein Grund für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
2. Eine Wiedereinsetzung wegen Versäumung des Antrags auf Fristverlängerung für die Revisionsbegründung kommt nicht in Betracht.
Normenkette
FGO § 56 Abs. 1, 2 S. 3, § 120 Abs. 1 S. 2
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger), ein akademischer Bildhauer, beanspruchte, im wesentlichen vergeblich, die Anwendung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes für von ihm erbrachte bildhauerische Leistungen. Seiner Klage wurde nur teilweise stattgegeben. Gegen diese Entscheidung legten der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) und der Kläger Revision ein, das FA mit der Bitte, die Revisionsbegründungsfrist um einen Monat zu verlängern. Dieser Bitte des FA wurde entsprochen; dem Kläger wurde die Fristverlängerung (bis 26. August 1996) bei Übersendung der Revision des FA mitgeteilt ("Rechtsstreit FA gegen Kläger", X-Aktenzeichen), ferner Eingang und Aktenzeichen seiner eigenen -- des Klägers -- Revision ("Rechtsstreit Kläger gegen FA", Y-Aktenzeichen). Am 8. August 1996, nach Ablauf der Frist zur Begründung der Revision des Klägers (24. Juli 1996), wurde dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers aus einem Telefonat mit der Geschäftsstelle des Senats bekannt, daß die bewilligte Fristverlängerung nur für die Begründung der Revision in der Sache X (FA gegen Kläger) gegolten hatte. Der Kläger bat darauf seinerseits um Fristverlängerung (bis 26. August 1996) sowie darum, ihm für den verspäteten Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Er führte insoweit unter Bezugnahme auf den dargestellten Ablauf aus, er sei infolge des gleichzeitigen Versands der beiden Benachrichtigungsschreiben davon ausgegangen, daß die Revision des FA unter dem gleichen Aktenzeichen verhandelt werde und daß somit die ausgesprochene Verlängerung auch für die Sache Y (Kläger gegen FA) gelte. Er habe übersehen, daß auf dem zweiten Schreiben ein anderes Aktenzeichen vermerkt gewesen sei und deshalb den ursprünglich geplanten und innerhalb der Monatsfrist auch noch möglichen Antrag nicht gestellt. Zu dem Irrtum hätten die zum Verwechseln ähnlichen Aktenzeichen geführt.
Die vom Kläger erbetene Fristverlängerung wurde gewährt, jedoch unter dem Vorbehalt, daß über den Antrag auf Wiedereinsetzung der Senat zu entscheiden habe. Am 21. August 1996 ging die Revisionsbegründung des Klägers ein.
Der Kläger wendet sich teilweise -- hinsichtlich einzelner von ihm erbrachter Leistungen -- gegen die Vorentscheidung, soweit der Klage nicht entsprochen worden ist, weil, wie er näher darlegt, entgegen der Auffassung der Vorinstanz steuerbegünstigte Originalerzeugnisse der Bildhauerkunst im Sinne des Zolltarifs vorlägen.
Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung insoweit aufzuheben und den angefochtenen Steuerbescheid dahin zu ändern, daß die entsprechenden Umsätze nur dem ermäßigten Umsatzsteuersatz unterworfen werden.
Das FA hat keinen Antrag gestellt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist, worüber durch Beschluß ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden ist (§ 10 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --), unzulässig (§ 124 Abs. 1, § 126 Abs. 1 FGO), weil sie nicht rechtzeitig begründet worden ist (§ 120 Abs. 1 Satz 1 FGO) und dem Kläger die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) nicht gewährt werden kann.
Eine Wiedereinsetzung hinsichtlich eines versäumten Antrags auf Fristverlängerung kommt von vornherein nicht in Betracht (Beschluß des Bundesfinanzhofs vom 1. Dezember 1986 GrS 1/85, BFHE 148, 414, 419, BStBl II 1987, 264); Wiedereinsetzung könnte bei Vorliegen der Voraussetzungen nur wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist bewilligt werden. Auch dies ist jedoch im Streitfall nicht möglich, obgleich die Revisionsbegründung noch, wie erforderlich, innerhalb der Frist nach § 56 Abs. 2 Satz 3 FGO eingereicht worden ist. Einer Wiedereinsetzung steht entgegen, daß der Kläger nicht ohne Verschulden an der Einhaltung der Revisionsbegründungsfrist verhindert war (§ 56 Abs. 1 FGO).
Schon bei einfacher Fahrlässigkeit ist ein Verschulden gegeben; ein Verschulden seines Prozeßbevollmächtigten muß sich der Prozeßbeteiligte zurechnen lassen. Ein solches liegt hier vor. Es kann dahingestellt bleiben, ob der dargestellte Ablauf -- gleichzeitiger Versand der Benachrichtigungsschreiben unter verschiedenen, indes ähnlichen Aktenzeichen -- für sich gesehen den Irrtum des Klägers hätte entschuldigen können. Im Hinblick auf die von einem Revisionskläger zu beachtende Regelung in § 120 Abs. 1 Satz 2 FGO scheidet eine Entschuldigung jedenfalls aus. Die Verlängerung der Frist zur Begründung der Revision setzt einen entsprechenden Antrag voraus. Eine Fristverlängerung von Amts wegen ist nicht vorgesehen. Die Verlängerung wirkt bei mehreren Revisionsklägern nur für den, der sie beantragt hat (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl. 1993, § 120 Anm. 26; Bundesverwaltungsgericht, Beschluß vom 28. März 1956 II C 63.55, BVerwGE 3, 233). Ein Irrtum eines berufsmäßigen Vertreters hierüber kann nicht als unverschuldet gelten, denn dieser Vertreter muß grundsätzlich das (Verfahrens-)Recht kennen (Senat, Beschluß vom 20. Februar 1990 VII R 125/89, BFHE 159, 573, 576 a. E., BStBl II 1990, 546). Weder die Annahme, eine Fristverlängerung könne ohne Antrag ausgesprochen werden, noch die Deutung, eine auf Antrag eines anderen Revisionsklägers -- diesem -- bewilligte Verlängerung wirke auch für die eigene Revisionsbegründung, vermag den Beteiligten zu entlasten. Eine solche Auswirkung kann im übrigen schon deshalb nicht angenommen werden, weil es sich nach dem individuell verschiedenen Interesse bestimmt, ob und in welchem Umfang eine Fristverlängerung erforderlich erscheint. Die Erwartung, daß über mehrere gegen ein Urteil eingelegte Revisionen gemeinsam entschieden werde, ist nicht geeignet, eine andere Beurteilung zu rechtfertigen. Auch bei einer Verbindung der Sachen -- hier nicht erfolgt -- verbleibt es dabei, daß es sich um mehrere selbständige Verfahren handelt.
Da dem Wiedereinsetzungsantrag hiernach nicht entsprochen werden kann, ist die nur vorbehaltlich erfolgte Verlängerung der Frist zur Begründung der Revision des Klägers -- einer Frist, die ohnehin durch die aus § 56 Abs. 2 FGO begrenzt war (BFHE 148, 414, 418) -- gegenstandslos.Ü
ber die Revision des FA wird gesondert zu entscheiden sein.
Fundstellen
Haufe-Index 421892 |
BFH/NV 1997, 251 |