Entscheidungsstichwort (Thema)
Außerordentliche Beschwerde: Ermessen bei der Auswahl des in Anspruch zu nehmenden Steuerschuldners
Leitsatz (NV)
Will das FA bei der Ausübung des Auswahlermessens nach § 13 Nr. 1 GrEStG 1983 darauf Rücksicht nehmen, wer im Innenverhältnis der Vertragsparteien die GrESt zu tragen hat, darf es danach fragen, ob die vertragliche Zuweisung der Steuerlast auf den Veräußerer eine Geschäftsgrundlage hatte, die inzwischen weggefallen ist.
Normenkette
GrEStG 1983 § 13 Nr. 1
Tatbestand
I. Einer der beiden Gesellschafter der Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin), einer GbR, erwarb zunächst mehrere Grundstücke als Einzelperson. Im Grundstückskaufvertrag war bestimmt, dass die Grunderwerbsteuer vom Veräußerer getragen werden solle. Demgemäß setzte der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) die Steuer gegen den Veräußerer bestandskräftig fest. Etwa zwei Monate später hoben die Vertragsparteien den Kaufvertrag auf. Unmittelbar anschließend verkaufte der Veräußerer die Grundstücke unter den gleichen Bedingungen an die Gesellschafter der Antragstellerin zur gesamten Hand. Wegen dieses zweiten Erwerbs setzte das FA die Grunderwerbsteuer gegen die Antragstellerin fest. Dagegen wandte sich die Antragstellerin mit der Begründung, das FA habe sein Auswahlermessen gemäß § 13 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) 1983 fehlerhaft ausgeübt; durch die Bezugnahme auf den früheren Vertragstext habe der Veräußerer auch in dem Vertrag über den erneuten Verkauf der Grundstücke die Grunderwerbsteuer übernommen.
Nach erfolglosem Einspruch erhob die Antragstellerin Anfechtungsklage zum Finanzgericht (FG) und beantragte zugleich die Aussetzung der Vollziehung (AdV) des angefochtenen Bescheides. Das FA hatte eine Verlängerung der zunächst gewährten AdV abgelehnt.
Das FG wies den Antrag auf AdV ebenfalls zurück. Zur Begründung führte es aus, es sei zweifelhaft, ob die Verweisung auf den ersten Vertragstext dahin zu verstehen sei, dass der Veräußerer die Grunderwerbsteuer ein zweites Mal zu tragen habe. Offenbar seien die Parteien beim Abschluss des zweiten Vertrages davon ausgegangen, dass insgesamt nur einmal Grunderwerbsteuer entrichtet werden müsse. Außerdem sprächen die Umstände dafür, dass die Gründe für die Aufhebung des ersten Vertrages nicht in der Sphäre des Veräußerers, sondern in derjenigen des Ersterwerbers und damit eines der Gesellschafter der Antragstellerin gelegen hätten. Eine Beschwerde gegen seinen Beschluss ließ das FG ausdrücklich nicht zu. Es erklärte vielmehr seinen Beschluss für unanfechtbar.
Am 19. Tag nach Aufgabe des nicht förmlich zugestellten Beschlusses zur Post und am 15. Tag nach Eingang des Beschlusses bei ihrem Bevollmächtigten hat die Antragstellerin außerordentliche Beschwerde erhoben, mit der sie geltend macht, das FG habe in grober Weise gegen die §§ 133 und 157 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) sowie gegen § 9 des Beurkundungsgesetzes (BeurkG) und § 13 GrEStG 1983 verstoßen, indem es die Bezugnahme im Vertrag mit der Antragstellerin auf die Regelung im Vertrag mit dem Ersterwerber, wonach der Veräußerer die Grunderwerbsteuer trage, nicht wörtlich genommen und für auslegungsfähig gehalten habe.
Entscheidungsgründe
II. Die außerordentliche Beschwerde ist unzulässig.
Ungeachtet der grundsätzlichen Bedenken gegen die Statthaftigkeit einer außerordentlichen Beschwerde (vgl. dazu Ruban in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl. 1997, § 128 Anm. 3 a) ist sie vorliegend zumindest deshalb unzulässig, weil sie ―ihre Statthaftigkeit vorausgesetzt― die an eine solche Beschwerde zu stellenden sachlichen Anforderungen nicht erfüllt.
1. Wird eine außerordentliche Beschwerde auch in den Fällen für statthaft gehalten, in denen die reguläre Beschwerde gemäß § 128 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) nach Maßgabe des Abs. 3 der Vorschrift nicht zugelassen worden ist, muss sie innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 129 Abs. 1 FGO eingelegt worden sein (so Beschluss des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 7. Januar 2000 VII B 292/99, BFH/NV 2000, 481). Ob dies, angesichts der Tatsache, dass § 53 Abs. 1 FGO für Entscheidungen, die eine Frist in Lauf setzen, eine förmliche Zustellung vorschreibt, auch bei einer Übersendung der angegriffenen Entscheidung mit einfachem Brief gilt und ob in derartigen Fällen § 9 Abs. 1 des Verwaltungszustellungsgesetzes anzuwenden ist, kann im Streitfall auf sich beruhen, da die materiellen Voraussetzungen einer derartigen Beschwerde nicht erfüllt sind.
2. Soweit die in der FGO nicht vorgesehene außerordentliche Beschwerde für statthaft gehalten wird, wird verlangt, dass die angegriffene Entscheidung unter schwerwiegender Verletzung von Verfahrensvorschriften zustande gekommen ist oder auf einer Gesetzesauslegung beruht, die offensichtlich dem Wortlaut und dem Zweck des Gesetzes widerspricht und die eine Gesetzesanwendung zur Folge hat, die durch das Gesetz ersichtlich ausgeschlossen werden sollte (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2000, 481). Keine dieser Voraussetzungen ist im Streitfall erfüllt. Insbesondere hat das FG die von der Antragstellerin genannten Vorschriften nicht gegen ihren Wortlaut und Zweck ausgelegt und in einer Weise angewandt, die durch diese Vorschriften ersichtlich ausgeschlossen sein sollte. Die vom FG im Zusammenhang mit § 13 Nr. 1 GrEStG 1983 angestellten Ermessenserwägungen sind nicht so neben der Sache liegend, dass sie den von der Antragstellerin genannten gesetzlichen Regelungen offensichtlich widersprechen. Will ein Rechtsanwender bei der Ausübung des Auswahlermessens nach § 13 Nr. 1 GrEStG 1983 darauf Rücksicht nehmen, wer im Innenverhältnis der Vertragsparteien die Grunderwerbsteuer zu tragen hat, dann darf er unter den Umständen des Streitfalls danach fragen, ob die vertragliche Zuweisung der Steuerlast auf den Veräußerer zur Geschäftsgrundlage hatte, dass die Steuer nur einmal anfällt und nicht aus Gründen, die er nach Ansicht des Rechtsanwenders nicht zu vertreten hat, zweimal festgesetzt wird. Bei dieser Frage geht es nicht darum, ob eine einzelne Vertragsbestimmung auslegungsfähig ist oder nicht und ob eine Verweisung auf andere Urkunden den Vorschriften des BeurkG entspricht, sondern darum, ob einer bestimmten Regelung die Geschäftsgrundlage, von der die Parteien auch noch bei Abschluss des Vertrages über die zweite Veräußerung der Grundstücke ausgegangen sind, entzogen worden ist.
Soweit sich das FG nicht auf die Prüfung der Ermessensentscheidung des FA beschränkt (§ 102 FGO), sondern eigene Ermessenserwägungen angestellt hat, läge auch darin keine schwerwiegende, eine außerordentliche Beschwerde eröffnende Rechtsverletzung. Im Streitfall kommt hinzu, dass die vom FA getroffene Auswahlentscheidung auf Erwägungen zurückgeht, die das FG in dem bereits abgeschlossenen und dieselben Veräußerungsverträge betreffenden Verfahren … selbst angestoßen und in dem vorliegenden Verfahren nur näher konkretisiert hat.
Fundstellen
Haufe-Index 713616 |
BFH/NV 2002, 811 |