Entscheidungsstichwort (Thema)
Ungenügend entschuldigtes Ausbleiben eines Zeugen
Leitsatz (NV)
Das Ausbleiben eines ordnungsgemäß geladenen Zeugen ist nicht genügend entschuldigt und rechtfertigt die Festsetzung eines Ordnungsmittels, wenn
- der Prozeßbevollmächtigte des Klägers eine Verlegung des Termins, in dem die Zeugeneinvernahme stattfinden soll, beantragt hat und diesem Antrag im Termin - nach Festsetzung des Ordnungsmittels - stattgegeben wird;
- dem FG zwei amtsärztliche Zeugnisse vorliegen, die sich zwar nicht zu dem gesundheitlichen Zustand des Zeugen am Terminstag äußern, jedoch dessen Verhandlungs- und Reisefähigkeit für die Zeit ab ca. 16 Tagen vor dem Terminstag prognostizieren und für einen ca. 2 Wochen nach dem Terminstag liegenden Tag feststellen.
Normenkette
FGO § 82; ZPO §§ 380-381
Tatbestand
Das Finanzgericht (FG) hat in dem Klageverfahren ... (Kläger) gegen Finanzamt (Beklagter) Beweiserhebung durch Zeugenvernehmung von X (Zeugin, Beschwerdeführerin) zu dem Beweisthema angeordnet: Fahrten des Klägers zwischen Wohnung und Arbeitsstätte 1986. Die Zeugin ist die Lebensgefährtin des Klägers. Nach vergeblichen Ladungsversuchen - die Zeugin hatte sich mehrmals u. a. mit Erkrankung entschuldigt - war die Zeugin wiederum zu dem Termin am 25. Juni 1992 geladen worden.
Am 24. Juni 1992 ging bei dem FG ein Schreiben des Prozeßbevollmächtigten des Klägers ein, der in den Beschwerdeverfahren auch die Zeugin vertritt. Er beantragte, den Termin aufzuheben; er selbst sei seit dem 22. Juni bis zum 5. Juli 1992 nicht reisefähig (Attest); auch die Zeugin sei, wie er erfahren habe, erkrankt; sie werde ein Attest nachreichen. Ein solches Attest ging dem FG am Vormittag des Termintages zu; es besagte, daß die Zeugin vom 22. Juni bis 29. Juni 1992 arbeitsunfähig sei. Der Berichterstatter des FG rief daraufhin bei der Zeugin an. Es meldete sich der Kläger, der mitteilte, die Zeugin liege im Bett und leide an Durchfall. Der Berichterstatter bat den Kläger, der Zeugin auszurichten, daß nur ein amtsärztliches Attest die Zeugin genügend entschuldigen könne. Der Kläger weigerte sich, der Zeugin diese Aufforderung zu übermitteln; es bedürfe einer förmlichen Aufforderung des FG. Das FG übermittelte der Zeugin die Aufforderung sodann noch an demselben Tag mit Telegramm.
In dem Termin am 25. Juni 1992 erschien die Zeugin nicht. Das FG setzte gegen sie eine Ordnungsstrafe von 500 DM, ersatzweise 2 Tage Haft, fest. Es begründete seine Entscheidung in dem angegriffenen Beschluß vom 3. Juli 1992 wie folgt: Das Gericht habe den Eindruck gewonnen, daß die Zeugin die Vernehmung - zumindest vorläufig - vermeiden wolle. Das vorgelegte Attest reiche für eine Entschuldigung nicht aus. Aus ihm gehe nicht einmal hervor, daß sich die Zeugin in ärztlicher Behandlung befinde. Es sei ein Gefälligkeitsattest anzunehmen. Der Zeugin stehe frei, anhand eines amtsärztlichen Zeugnisses ihre Verhinderung glaubhaft zu machen.
Die Zeugin hat Beschwerde eingelegt. Von dem Senatsvorsitzenden auf die Versäumung der Beschwerdefrist hin gewiesen, beantragt sie Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Der Beschwerdeschriftsatz hätte bei normalem Postablauf das FG rechtzeitig bis zum Ablauf der Beschwerdefrist am 24. Juli 1992 erreichen müssen. Der Angestellte Z ihres Prozeßbevollmächtigten habe die Sendung am 23. Juli 1992 um 18.47 Uhr in den Briefkasten vor dem Postamt A ein geworfen (Beweis: eidesstattliche Versicherung Z).
Die Festsetzung einer Ordnungsstrafe sei ermessensfehlerhaft. Da der Prozeßbevollmächtigte verhindert gewesen sei, den Termin wahrzunehmen, hätten Termin und Zeugenvernehmung ohnehin nicht stattfinden können. Im übrigen werde auf den Schriftsatz ihres Prozeßbevollmächtigten vom 1. Juli 1992 verwiesen.
Nachdem ein weiterer Termin zur Zeugenvernehmung auf den 16. September 1992 aufgrund eines amtsärztlichen Zeugnisses vom 15. September 1992 abgesetzt worden war, terminierte das FG erneut auf den 8. Oktober 1992. Auch zu diesem Termin erschien die Zeugin nicht. Am Terminstag war bei dem FG ein ärztliches Attest von Dr. B eingegangen, das der Zeugin Reiseunfähigkeit wegen ihrer hohen Blutdruckwerte bescheinigte. Der Berichterstatter teilte der Zeugin mit Schreiben vom 13. Oktober 1992 mit, im Hinblick auf ,,die Ausführungen des Landgerichtsarztes vom 15. 9. 1992" sehe das Gericht nur eine amtsärztliche Bescheinigung über die Reiseunfähigkeit als ausreichende Entschuldigung an (§ 381 der Zivilprozeßordnung - ZPO -); es werde eine Frist zur Nachreichung eines solchen Zeugnisses bis zum 16. Oktober 1992 gewährt. Die Zeugin wies in einem Schreiben vom 20. Oktober 1992 daraufhin, die ,,Ausführungen des Landgerichtsarztes vom 15. 9. 92" lägen ihr nicht vor; für eine erneute amtsärztliche Untersuchung habe sie erst am 23. Oktober 1992 einen Termin erhalten können.
Das FG setzte mit Beschluß vom 21. Oktober 1992 gegen die Zeugin eine (zweite) Ordnungsstrafe von 600 DM, ersatzweise 2 Tage Haft, fest. Es begründete seine Entscheidung damit: Die hohen Blutdruckwerte hätten nach dem amtsärztlichen Zeugnis vom 15. September 1992, für sich genommen, die Zeugin nicht am Reisen gehindert. Angesichts dieser Sachlage hätte nur eine weitere amtsärztliche Bescheinigung die Frage klären können, ob der hohe Blutdruck der Zeugin ein ausreichender Hinderungsgrund gewesen sei.
Auch gegen diese Festsetzung hat die Zeugin Beschwerde erhoben. Sie macht geltend: Sie habe schon aus zeitlichen Gründen der Aufforderung des Berichterstatters vom 13. Oktober 1992 nicht folgen können. Der Schriftsatz habe sie erst am letzten Tag der gesetzten Frist, der zudem ein Freitag gewesen sei, erreicht. Sie habe einen Termin für eine amtsärztliche Untersuchung erst für den 23. Oktober 1992 erhalten. Das Zeugnis sei dem FG am 27. Oktober 1992 übermittelt worden. Es sei ermessensfehlerhaft, eine Ordnungsstrafe auszusprechen, wenn das angeforderte amtsärztliche Zeugnis entschuldbar verspätet vorgelegt werde. Auch hätte das FG den Inhalt des Zeugnisses, das vor der Aufgabe des Beschlusses zur Post eingegangen sein dürfte, berücksichtigen müssen. Ausweislich der FG-Akte ist das amtsärztliche Zeugnis vom 23. Oktober 1992 am 27. Oktober 1992 beim FG eingegangen.
Entscheidungsgründe
Die Verfahren X B 207/92 und X B 208/92 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden (§ 121 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) i. V. m. § 73 Abs. 1 FGO).
Die Beschwerden sind zulässig. Zwar ist die Beschwerde X B 207/92 erst nach Ablauf der Beschwerdefrist (24. Juli 1992) am 27. Juli 1992 bei dem FG eingegangen. Der Zeugin ist jedoch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil sie ohne Verschulden gehindert war, die Beschwerdefrist einzuhalten (§ 56 Abs. 1 FGO). Nach der glaubhaften eidesstattlichen Versicherung des bei dem Prozeßbevollmächtigten beschäftigten Angestellten Z hat dieser den an das FG gerichteten Beschwerdeschriftsatz am 23. Juli 1992 um 18.47 Uhr in den Briefkasten des Postamts A eingeworfen. Bei normalem Postlauf hätte die Sendung das FG bis zum Ablauf des 24. Juli 1992 erreichen müssen.
Die Beschwerden sind indessen unbegründet.
Nach § 82 FGO i. V. m. §§ 380, 381 ZPO ist gegen einen ordnungsgemäß geladenen Zeugen, der nicht erscheint, ein Ordnungsgeld und für den Fall, daß dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft festzusetzen (§ 380 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Im Falle wiederholten Ausbleibens wird das Ordnungsmittel nochmals festgesetzt (§ 380 Abs. 2 ZPO). Die Festsetzung unterbleibt, wenn der Zeuge sein Ausbleiben genügend entschuldigt (§ 381 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Erfolgt die genügende Entschuldigung nachträglich, so werden die gegen den Zeugen getroffenen Anordnungen wieder aufgehoben (§ 381 Abs. 1 Satz 2 ZPO).
Die Voraussetzungen für die Festsetzung und Beibehaltung der Ordnungsgelder (Ordnungsstrafen) von 500 DM bzw. 600 DM, hilfsweise jeweils 2 Tage Haft, sind gegeben.
Die Zeugin hat gegenüber der Begründung des FG für das erste Ordnungsgeld nichts vorgebracht. Unzutreffend ist ihre Ansicht, wegen der Verhinderung des Prozeßbevollmächtigten des Klägers habe der Termin und die Zeugenvernehmung ohnehin nicht stattfinden können. Zunächst ist festzuhalten, daß der Prozeßbevollmächtigte, der erst im Beschwerdeverfahren von der Zeugin bevollmächtigt wurde, seinerzeit noch nicht für sie sprechen konnte. Es war ihr alleiniges Risiko, wenn sie sich auf Auskünfte des Prozeßbevollmächtigten zum Verfahrensablauf verließ. Ihr Ansprechpartner war ausschließlich das FG (Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10. August 1987 IX B 182/86, BFH/NV 1988, 166). Das FG hatte sie in der Ladung ausdrücklich darauf hingewiesen, daß Hinderungsgründe mit Angabe des Aktenzeichens umgehend darzulegen seien. Solche Darlegungen waren, wie auch einem Laien einsichtig sein muß, allein an das FG zu richten, von dem die Ladung ausgegangen war.
Aus der Sicht der Zeugin war unerheblich, ob der Prozeßbevollmächtigte einen Vertagungsantrag gestellt hatte und dieser erfolgversprechend war. Der Kläger und der Prozeßbevollmächtigte hatten keinen Anspruch auf Vertagung. Selbst wenn sie meinten, erhebliche Gründe für eine Vertagung (§ 227 Abs. 1 ZPO) geltend gemacht zu haben, kam es auf die Entscheidung des FG an. Die Zeugin ist auch nicht nachträglich dadurch entschuldigt, daß das FG dem Vertagungsantrag des Prozeßbevollmächtigten stattgab. Aus dem Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 25. Juni 1992 ergibt sich, daß sich das FG vorweg mit dem Nichterscheinen der Zeugin befaßte, bevor es ,,wegen Erkrankung des Beraters" den Termin aufhob. Es kann nicht davon ausgegangen werden, daß das FG von der Einvernahme der Zeugin abgesehen hätte, wenn diese erschienen wäre. Dem FG stand die Möglichkeit offen, ungeachtet einer Vertagung im übrigen die Beweisaufnahme zu bewirken, soweit dies nach Lage der Sache geschehen konnte (§ 367 Abs. 1 ZPO).
Die Bezugnahme in der Beschwerdeschrift auf einen Schriftsatz des Prozeßbevollmächtigten vom 1. Juli 1992 ist unbeachtlich. Von der Zeugin und ihrem Prozeßbevollmächtigten war zu verlangen, den Inhalt jenes Schriftsatzes darzulegen. Auch die Festsetzung des zweiten Ordnungsgeldes von 600 DM ist nicht zu beanstanden. Es mag sein, daß der Berichterstatter die Frist für die Beibringung eines amtsärztlichen Zeugnisses knapp bemessen hatte. Hierauf kam es indessen nicht an. Auch eine nachträgliche Entschuldigung ist zu beachten (§ 381 Abs. 1 Satz 2 ZPO), sei es noch vom FG, sei es nach Vorlage der Beschwerde vom BFH (BFH-Beschluß vom 10. November 1987 V B 66/85, BFH/NV 1988, 388). Eine Fristsetzung enthob das FG sonach nicht davon, Entschuldigungsgründe, die nach Fristablauf vorgebracht worden waren, noch so lange zu berücksichtigen, wie es mit der Sache befaßt war. Das war bis zur Nichtabhilfeentscheidung des FG vom 20. November 1992. Diese Entscheidung enthält keine Begründung, so daß nicht ersichtlich ist, ob das FG das amtsärztliche Zeugnis vom 23. Oktober 1992 in seine Erwägungen einbezogen hat.
Hierzu ist nunmehr der Senat verpflichtet. Diese Prüfung ergibt, daß das amtsärztliche Zeugnis die Zeugin nicht nachträglich entschuldigen kann. Nach dem Zeugnis war die Zeugin ,,zum jetzigen Zeitpunkt sowohl verhandlungs- als auch reisefähig". Hieraus ergibt sich zwar nicht, daß dieser günstige Befund schon vor und am vorgesehenen Terminstag (8. Oktober 1992) bestand. Es obliegt indessen nicht den Gerichten, dem säumigen Zeugen die Reise- und Verhandlungsfähigkeit nachzuweisen, sondern der Zeuge muß sich seinerseits hinreichend entschuldigen. Dies ist der Zeugin nicht gelungen. Das frühere amtsärztliche Zeugnis vom 15. September 1992 hatte eine Genesung bzw. Wiederherstellung der Reisefähigkeit innerhalb von ,,ca. 7 Tagen" prognostiziert.
Wenn die Zeugin andererseits, wie das zweite amtsärztliche Zeugnis annimmt, am 23. Oktober 1992 ebenfalls verhandlungs- und reisefähig war, ist bis zum Beweis des Gegenteils davon auszugehen, daß sie auch in der Zwischenzeit reise- und verhandlungsfähig war.
Das FG hat sich nicht zur Höhe der Ordnungsgelder geäußert. Hierzu bedurfte es hinsichtlich des ersten Ordnungsgeldes keiner weiteren Ausführungen, da es mit 500 DM noch in dem unteren Festsetzungsrahmen von 5 DM bis 1000 DM lag (BFH-Beschluß vom 1. Juni 1988 X B 41/88, BFHE 153, 310, BStBl II 1988, 838). Das zweite Ordnungsgeld von 600 DM hält sich allerdings bereits in der oberen Hälfte des Rahmens. Aber auch für diesen Fall bedurfte es keiner gesonderten Begründung. Es liegt auf der Hand, daß das FG die Zeugin, die wiederholt unentschuldigt säumig geworden war, mit einem höheren Ordnungsgeld belegen wollte als im ersten Fall, um sie nachdrücklicher zur Erfüllung ihrer Zeugenpflicht anzuhalten. Ein Ermessensfehler ist insoweit nicht erkennbar. Der Beschluß des Senats in BFHE 153, 310, BStBl II 1988, 838, der sich mit der erstmaligen Festsetzung eines Ordnungsgeldes befaßt, steht dem nicht entgegen.
Fundstellen
Haufe-Index 419141 |
BFH/NV 1993, 555 |