Entscheidungsstichwort (Thema)
Neue Tatsachen im Revisionsverfahren ‐ Kontrolle von Prüfungsentscheidungen
Leitsatz (NV)
1) Neues tatsächliches Vorbringen des Revisionsbeklagten ist auch dann nicht zu berücksichtigen, wenn es ihm ungünstig ist. Es ist nicht Aufgabe des Revisionsverfahrens, einer vom FG als unbegründet abgewiesenen Klage aufgrund damals weder von den Beteiligten noch vom FG bemerkter Tatsachen doch noch zum Erfolg zu verhelfen.
2) Es bestehen Zweifel, ob ein verwaltungsinternes Kontrollverfahren, in dem nur Erstprüfer und Vorsitzender anhand der Einwendungen des Prüflings die Bewertung der Prüfungsleistung überdenken, obwohl der Zweitprüfer nicht verhindert ist, sich ebenfalls mit den Einwendungen auseinanderzusetzen, dem Rechtsschutzanspruch des Prüflings genügt.
3) In einer Steuerberaterprüfung dürfen Kriterien wie die Systematik und Präzision der Darstellung, Problembewußtsein bei der Anwendung nicht völlig eindeutiger Rechtsvorschriften, Argumentationsvermögen des Prüflings odgl. als Bewertungsmaßstäbe berücksichtigt werden.
4) Zur Feststellung des Sachverhalts gehört die Ermittlung dessen, was bei der Lösung der Prüfungsaufgaben falsch oder richtig war, welches Gewicht die Prüfer einzelnen Teilen der Aufgabe zumessen durften, wie die schriftlichen Darlegungen des Prüflings zu verstehen sind, welche Vorzüge oder Mängel die Leistung des Prüflings im einzelnen aufweist und welches Gewicht denselben für die Gesamtbewertung der Prüfungsleistung von den Prüfern beigelegt werden durfte. Das Revisionsgericht kann die diesbezügliche Beurteilung des Tatrichters nur eingeschränkt überprüfen.
Normenkette
FGO § 118 Abs. 2; StBerG § 37a
Tatbestand
Der Antragsteller hat die Steuerberaterprüfung 1995 aufgrund der schlechten Beurteilung seiner Leistungen im schriftlichen Teil der Prüfung nicht bestanden. Seine Aufsichtsarbeiten erhielten folgende Noten:
Verfahrensrecht und andere
Steuerrechtsgebiete 5,5
Ertragsteuerrecht 5,0
Buchführung und Bilanzwesen 3,5
Das verwaltungsinterne Kontrollverfahren hat nicht zu einer Änderung der Bewertungen geführt. Die vom Antragsteller erhobene Klage hat das Finanzgericht (FG) abgewiesen, jedoch die Revision zugelassen, die der Antragsteller eingelegt hat. Der Antragsteller begehrt Prozeßkostenhilfe (PKH) für das Revisionsverfahren. Er hat seine Revision und seinen PKH-Antrag im wesentlichen wie folgt begründet:
Das FG habe hinsichtlich mehrerer Rügen den dem Antragsteller zustehenden Antwortspielraum verkannt. So sei es eine fachwissenschaftliche Frage, ob es vertretbar und richtig sei, daß der Antragsteller bei § 69 der Abgabenordnung (AO 1977) nur auf die einschlägige Schuldform eingegangen sei. Die Unterscheidung zwischen fachwissenschaftlicher Richtigkeit und prüfungsspezifischer Wertung sei zwar kaum umsetzbar. Im Zweifel müsse jedoch dem Prüfling ein Antwortspielraum zuerkannt werden. Das FG habe dies nicht getan, sondern die Punktvergabe nur auf ihre Rechtmäßigkeit hin untersucht. Das gelte entsprechend für den Teil III Einheitsbewertung-Bilanzpositionen und die übrigen erstinstanzlich gerügten Bewertungen fachspezifischer Fragen. Insgesamt stünden dem Antragsteller, wie im erstinstanzlichen Verfahren vorgetragen, elf Mehrpunkte zu.
Die Entscheidung des FG beruhe ferner auf folgenden Verfahrensfehlern:
Das FG habe den Sachverhalt nicht vollständig aufgeklärt. Denn es sei auf die vom Antragsteller in den Schriftsätzen vom 8. Oktober 1996 und vom 15. Mai 1997 zu Teil II Umsatzsteuer, Sachverhalt 1 Buchst. b erhobene Rüge, er habe die nach der Musterlösung erforderlichen Antworten gegeben und daher zwei Wertpunkte erhalten müssen, nicht eingegangen. Das FG habe sich auch nicht hinreichend mit den Bemerkungen des Erstprüfers hierzu im Überdenkungsverfahren auseinandergesetzt. Nach dieser Stellungnahme seien die Prüfer allem Anschein nach davon ausgegangen, daß an dieser Stelle die Vergabe lediglich eines Wertpunktes vorgesehen sei. Das sei ein Verfahrensfehler bei der Bewertung.
Das FG sei ferner nicht der in den vorgenannten Schriftsätzen erhobenen Rüge zum Teil III Einheitsbewertung-Allgemeines nachgegangen. Der Antragsteller habe nur 1,5 von 3 in der Musterlösung vorgesehenen Wertpunkten trotz richtiger Lösung erhalten. Im Überdenkungsverfahren hätten zudem Erst- und Zweitprüfer eingeräumt -der Zweitprüfer unter Hinweis auf bestimmte Lösungsaspekte-, daß hier die Vergabe weiterer Wertpunkte möglich gewesen wäre. Der Antragsteller habe dargelegt, daß er auf die von den Prüfern angeführten Aspekte in seiner Klausur eingegangen sei, ohne jedoch die Punkte zu erhalten, insbesondere auf Vermögensverschiebungen, auf die einheitliche und gesonderte Feststellung und auf § 107 des Bewertungsgesetzes (BewG). Das FG habe dazu Stellung nehmen müssen, ob die Bewertung der Prüfer, besonders die des Zweitprüfers, vertretbar sei; zumindest habe es aufklären müssen, warum die von diesen selbst für vertretbar gehaltenen Punkte nicht auch tatsächlich vergeben worden seien.
Ein Verstoß gegen §§ 76, 96 der Finanzgerichtsordnung (FGO) liege ferner darin, daß das FG die Ordnungsgemäßheit des Überdenkungsverfahrens nicht überprüft habe. Das dort abgegebene Zweitgutachten entspreche nicht den inhaltlichen Anforderungen an eine verwaltungsinterne Kontrolle von Prüfungsentscheidungen. Es lasse eine Auseinandersetzung mit den Einwänden des Antragstellers vermissen. Der Zweitprüfer lege nur pauschal seine Bewertungsmaßstäbe dar, ohne auf ihre Anwendung im Einzelfall einzugehen.
Schließlich trägt die Revision vor, die Konzeption der Klausuren und Musterlösungen sei dem Antwort-Wahlverfahren angenähert. Wertpunkte würden von der Musterlösung nicht für Gründlichkeit der Sachverhaltsuntersuchung oder Überzeugungskraft der Argumente vergeben. Wenn aber weder die Notwendigkeit noch die Möglichkeit bestanden habe, Antworten auf die Prüfungsfragen zu begründen, könnten Überzeugungskraft, Systematik oder der Gesamteindruck kein zulässiges Bewertungskriterium darstellen. Vielmehr habe sich der Anspruch des Antragstellers infolge der Nennung bestimmter in der Lösungsskizze vorgesehener Fakten oder der Wiedergabe von Gesetzeswortlauten auf die Vergabe der eingeklagten Wertpunkte verdichtet.
Das Ministerium trägt vor, in den dem FG übergebenen Unterlagen über das Überdenkungsverfahren seien Teile der Stellungnahme des Erstprüfers versehentlich als Stellungnahme des Zweitprüfers gekennzeichnet worden. Seine Beteiligung am Überdenkungsverfahren sei nicht erfolgt, aber auch entbehrlich gewesen, da er im Rahmen der erstmaligen Prüfung keine abweichende Stellungnahme abgegeben habe. Es genüge dann dem Zweck des Überdenkungsverfahrens, wenn der Erstprüfer den Überdenkensvermerk anfertige und der Vorsitzende ihm zustimme. Ein förmliches Zusammentreten des Prüfungsausschusses sei nicht erforderlich.
Entscheidungsgründe
Der Antrag bleibt ohne Erfolg. Anspruch auf PKH hat nach § 142 FGO i.V.m. § 114 der Zivilprozeßordnung (ZPO) nur derjenige, der eine Rechtsverfolgung beabsichtigt, die hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Daran fehlt es hier. PKH für das Revisionsverfahren ist mangels hinreichender Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung nicht zu gewähren.
1. Das FG hat ohne Rechtsverstoß erkannt, daß die angegriffene Prüfungsentscheidung nicht aus formell-rechtlichen Gründen zu beanstanden ist.
In der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts -BVerwG- (vgl. z.B. Urteile vom 24. Februar 1993 6 C 35.92, BVerwGE 92, 132, und vom 30. Juni 1994 6 C 4.93, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, 421.0 Prüfungswesen Nr. 334) sowie des erkennenden Senats (u.a. dem Urteil vom 11. November 1997 VII R 66/97, BFHE 184, 157, BStBl II 1998, 218) ist geklärt, daß eine Prüfungsentscheidung aufgrund entsprechend substantiierter Einwendungen des Prüflings von denjenigen Prüfern zu überdenken ist, die an der angegriffenen, ursprünglichen Bewertung beteiligt waren. Denn nur diese sind imstande, ihre eigenen Erwägungen durch Überdenken der dagegen gerichteten Einwendungen in Frage zu stellen (Urteil des BVerwG in Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 334). Aus dieser Rechtsprechung ergeben sich Zweifel an der Richtigkeit der Ansicht des Ministeriums, ein Verfahren, in dem nur Erstprüfer und Vorsitzender anhand der Einwendungen des Prüflings die Bewertung der betreffenden Prüfungsleistung überdenken, obwohl der Zweitprüfer nicht verhindert ist, sich ebenfalls mit den Einwendungen auseinanderzusetzen, genüge dem Rechtsschutzanspruch des Prüflings.
Das bedarf indes hier keiner abschließenden Erörterung. Denn nach dem vom FG seiner Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalt, von dem der Bundesfinanzhof (BFH) im Revisionsverfahren gemäß § 118 Abs. 2 FGO grundsätzlich ausgehen muß, ist im Streitfall das Überdenkungsverfahren, das aufgrund der vom Antragsteller gegen die Beurteilung seiner Prüfungsleistungen erhobenen Einwände durchzuführen war, fehlerfrei durchgeführt worden. Die vom Ministerium jetzt vorgetragene Tatsache, daß der Zweitprüfer am Überdenkungsverfahren nicht beteiligt worden ist, hat das FG nicht festgestellt. Sie kann folglich von dem erkennenden Senat nicht berücksichtigt werden.
Der aus der Funktion des Revisionsverfahrens und dem § 118 Abs. 2 FGO abgeleitete Rechtsgrundsatz, daß neues tatsächliches Vorbringen zu den materiell-rechtlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Rechts im Revisionsverfahren nicht berücksichtigt werden kann, muß auch auf Vorbringen des Revisionsbeklagten angewandt werden, das ihm ungünstig ist. Der Grundsatz kennt zwar Durchbrechungen. Insbesondere können neue Tatsachen berücksichtigt werden, wenn ein Restitutionsgrund nach § 134 FGO i.V.m. § 580 Nr. 7 b ZPO gegeben ist (BFH-Urteil vom 3. Juni 1987 III R 209/83, BFHE 150, 418, BStBl II 1988, 277). Die Revisionserwiderung des Ministeriums ist aber eine im Sinne dieser Vorschriften aufgefundene Urkunde schon deshalb nicht, weil sie überhaupt erst nach Schluß der Tatsacheninstanz errichtet worden ist. Auch die Vorlage des Originals der Stellungnahme des Erstprüfers, aus dem sich die vom Ministerium dort eingeräumte Tatsache ergeben dürfte, wäre kein Restitutionsgrund, weil der Antragsteller nicht "außer Stande" war, diese bereits im Verfahren vor dem FG zu benutzen; er hat sich vielmehr mit der unwahren Behauptung des Ministeriums begnügt, die -nicht unterzeichneten- Anlagen zu dessen Schriftsatz vom 20. Januar 1997 enthielten eine Abschrift (auch) der Stellungnahme des Zweitprüfers im Überdenkungsverfahren, ohne daß er dem kritisch nachgegangen ist und beantragt hat, daß dem FG die betreffenden Akten, zumindest (Foto-)Kopien der Stellungnahmen oder dergleichen vorgelegt werden, was ohne weiteres möglich gewesen wäre. Auch wenn dieses prozessuale Verhalten angesichts der von einem Ministerium zu erwartenden Sorgfalt bei der Wahrnehmung seiner prozessualen Obliegenheiten mehr als verständlich ist, könnte die Enttäuschung der Gutgläubigkeit des Antragstellers eine Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 134 FGO, § 580 ZPO nicht rechtfertigen.
Die unterlassene Beteiligung des Zweitprüfers am Überdenkungsverfahren würde auch nicht deshalb im Revisionsverfahren berücksichtigt werden können, weil diese Tatsache unstreitig ist. Denn es ist nicht Aufgabe des Revisionsverfahrens vor dem BFH, einer nach dem vom FG festgestellten Sachverhalt zu Recht als unbegründet abgewiesenen Klage aufgrund damals weder von den Beteiligten noch vom FG bemerkter Tatsachen doch noch zum Erfolg zu verhelfen.
2. Die vom Antragsteller wegen des Inhalts des (vermeintlichen) Zweitgutachtens erhobene Rüge, dieses setze sich nicht mit den vom Antragsteller gegen die Bewertung seiner Leistungen erhobenen Einwänden auseinander, geht fehl. Unbeschadet des von der Rechtsprechung anerkannten und zuletzt in dem Urteil des erkennenden Senats vom 21. Januar 1999 VII R 35/98 (BFH/NV 1999, 1043) näher eingegrenzten Anspruches auf eine Begründung der Prüfungsentscheidung, durch die der Prüfling in der Regel überhaupt erst in die Lage versetzt wird, Einwendungen gegen dieselbe vorzutragen und dadurch seine Rechte zu verteidigen, hat der Prüfling im verwaltungsinternen Kontrollverfahren, das dem Überdenken der Prüfungsentscheidung aufgrund solcher, vom Prüfling vorgetragener substantiierter Einwendungen dient, grundsätzlich keinen Anspruch darauf, daß die Prüfer zu seinen Einwendungen im einzelnen (schriftlich) Stellung nehmen. Jedenfalls kann er von dem Zweitprüfer eine Begründung für das Festhalten an der ursprünglichen Beurteilung insbesondere dann nicht verlangen, wenn dieser bei seiner Bewertung der Prüfungsarbeit keine von den Erwägungen des Erstprüfers abweichende Stellungnahme abgegeben, sondern sich dessen Urteil angeschlossen hatte, wie es hier der Fall ist; denn dann ist im Zweifel davon auszugehen, daß er dabei trotz Überdenkens dieser Entscheidung bleiben und sich auch die ergänzenden Erläuterungen des Erstprüfers zu eigen machen will.
3. Die in diesem Verfahren gebotene summarische Prüfung ergibt ferner, daß das FG zutreffend erkannt hat, daß die angegriffene Prüfungsentscheidung auch einer inhaltlichen Überprüfung standhält. Sie leidet weder an fachlichen Beurteilungsmängeln noch an einer rechtlich zu beanstandenden Überschreitung des der Prüfungskommission zustehenden Bewertungsspielraums.
a) Bei der Bestimmung der gerichtlichen Kontrolldichte in prüfungsrechtlichen Streitverfahren ist zwischen Fachfragen und prüfungsspezifischen Wertungen zu unterscheiden. In bezug auf Fachfragen hat das Gericht (aufgrund hinreichend substantiierter Einwendungen des Prüflings) darüber zu befinden, ob die von dem Prüfer als falsch bewertete Lösung im Gegenteil richtig oder jedenfalls vertretbar ist. Dabei sind unter Fachfragen alle Fragen zu verstehen, die fachwissenschaftlicher Erörterung zugänglich sind. Hingegen ist den Prüfern ein Bewertungsspielraum zuzubilligen, soweit komplexe prüfungsspezifische Bewertungen im Gesamtzusammenhang des Prüfungsverfahrens getroffen werden müssen, welche sich nicht ohne weiteres in einem ggf. nachfolgenden Gerichtsverfahren einzelner Prüflinge isoliert nachvollziehen lassen, wie z.B. die Gewichtung verschiedener Aufgaben untereinander, die Einordnung des Schwierigkeitsgrades der Aufgabenstellung oder die Würdigung der Qualität der "Darstellung" des Prüflings (vgl. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts -BVerfG- vom 17. April 1991 1 BvR 419/81 und 213/83, BVerfGE 84, 34, 50 ff.; BVerwG, Urteil vom 21. Oktober 1993 6 C 12.92, Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 320, S. 307; Urteil vom 16. März 1994 6 C 5.93, Buchholz, a.a.O. Nr. 329, S. 11; Beschluß vom 13. März 1998 6 B 28.98, nicht veröffentlicht). Allerdings pflegen Fachfragen und prüfungsspezifische Wertungen mehr oder weniger eng miteinander verflochten zu sein; in diesem Falle ist es jedoch geboten und auch möglich, bei der gerichtlichen Überprüfung einer Prüferbeurteilung das Fachurteil aus der Bewertung gleichsam herauszufiltern (BVerwG-Beschluß vom 17. Dezember 1997 6 B 55.97, Buchholz, a.a.O., Nr. 385).
b) Es bedarf hier keines Eingehens auf Besonderheiten der gerichtlichen Überprüfung von Prüfungsentscheidungen bei Prüfungen, die ein Antwort-Wahlverfahren (multiple choice) anwenden. Denn die Steuerberaterprüfung, wie sie hier ausgestaltet war, beruht nicht auf einem solchen Verfahren, wenn sie auch -wie es bei der Lösung einfacher, im wesentlichen rechtsdogmatischer Aufgaben die Regel ist- dem Prüfling weniger Antwortspielräume lassen mag als manch andere Prüfung und wenn sie auch im allgemeinen starkes Gewicht auf die Benennung und Anwendung der "richtigen" Rechtsvorschriften legt. Deshalb kann keine Rede davon sein, daß in einer Steuerberaterprüfung nicht Kriterien wie die Systematik und Präzision der Darstellung, Problembewußtsein bei der Anwendung nicht völlig eindeutiger Rechtsvorschriften, Argumentationsvermögen des Prüflings oder dergleichen als Bewertungsmaßstäbe berücksichtigt werden dürften, wie der Antragsteller meint.
c) Die danach anzuwendenden Kontrollmaßstäbe hat das FG seiner Entscheidung zugrunde gelegt. Diese kann im Revisionsverfahren nur daraufhin überprüft werden, ob sie an materiell-rechtlichen Mängeln leidet oder auf einem Verfahrensmangel beruhen kann, der von der Revision ordnungsgemäß (§ 120 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 FGO) gerügt ist (§ 118 Abs. 3 FGO). Hingegen obliegt die Feststellung des Sachverhalts dem FG. Dazu gehört insbesondere auch die Ermittlung dessen, was bei der Lösung der Prüfungsaufgaben -auch solcher, die das Revisionsgericht an sich aufgrund eigener Sachkunde beurteilen könnte- falsch oder richtig war, welches Gewicht die Prüfer einzelnen Teilen der Aufgabe aufgrund ihres prüfungsspezifischen Bewertungsvorrechts zumessen durften, wie die schriftlichen Darlegungen des Prüflings unter Berücksichtigung der Gesamtumstände zu verstehen sind, welche Vorzüge oder Mängel die Leistung des Prüflings im einzelnen aufweist und welches Gewicht denselben für die Gesamtbewertung der Prüfungsleistung von den Prüfern beigelegt werden durfte. Das Revisionsgericht kann die diesbezügliche Beurteilung des Tatrichters nur daraufhin überprüfen, ob dieser dabei von zutreffenden rechtlichen Vorstellungen über die bei der Kontrolle einer Prüfungsentscheidung anzuwendenden Maßstäbe ausgegangen ist und die betreffenden Kontrollmaßstäbe in nachvollziehbarer, mit den Denkgesetzen und allgemeinen Erfahrungssätzen vereinbarer Weise auf den Einzelfall angewandt hat (vgl. Urteil des BVerwG vom 24. Februar 1993 6 C 38.92, Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 314).
Soweit deswegen substantiierte Rügen erhoben werden, erscheinen diese bei der in diesem Verfahren gebotenen summarischen Prüfung ebenso unbegründet wie der erkennende Senat auch sonst weder nach dem Ergebnis des Überdenkungsverfahrens noch den bei den vorliegenden Akten befindlichen Klausuren nebst den dort niedergelegten Prüferbemerkungen Bewertungsfehler zu erkennen vermag, welche das FG bei Beachtung der vorgenannten Prüfungsmaßstäbe nicht unbeanstandet lassen durfte und welche die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Prüfungsentscheidung in Frage zu stellen geeignet sind.
4. Im einzelnen ist zu bemerken:
a) Das FG hat den Antwortspielraum des Antragstellers nicht verkannt. Welche im Ergebnis nicht durchgreifenden rechtlichen Gesichtspunkte in einer vollständigen rechtlichen Begutachtung unerwähnt bleiben können, ist in erster Linie keine Frage des sog. Antwortspielraums des Prüflings, sondern der prüfungsspezifischen Anforderungen an eine systematische und vollständige Bearbeitung der Prüfungsaufgabe, deren Bewertung nur in den eben aufgezeigten engen Grenzen gerichtlich überprüfbar ist. Im übrigen beanstandet das FG mit Recht, daß bei einer Aufgabe wie der in der Verfahrensrechtsklausur Teil I AO, Sachverhalt 1, gestellten nicht erwähnt worden ist, daß § 69 AO 1977 außer durch grob fahrlässiges Handeln auch vorsätzlich verwirklicht werden kann. Denn fachlich richtig war die Aufgabe dahin zu lösen, daß vorsätzliches Handeln vorliegt; die vom Antragsteller erwähnte Schuldform war also entgegen der Ansicht des Antragstellers nicht "einschlägig".
b) Beim Sachverhalt 2 hat der Antragsteller keine fachwissenschaftlich zu beanstandenden Beurteilungsfehler gerügt. Er meint lediglich, zu wenig Punkte erhalten zu haben, insbesondere weil die in seiner Bearbeitung fehlenden Ausführungen (etwa zum Gesetzeswortlaut) "entbehrlich" gewesen seien. Das betrifft im Kern lediglich die Qualität seiner Darstellung, bei deren Bewertung das FG den Prüfern zu Recht einen weiten Bewertungsspielraum eingeräumt hat. Das gleiche gilt bei der Aufgabe zur Umsatzsteuer, Sachverhalt 1.
c) Auch die vom Antragsteller hinsichtlich der Beurteilung seiner Leistungen im Klausurteil Umsatzsteuer sonst erhobenen Rügen hat das FG mit Recht als nicht durchgreifend angesehen. Die im wesentlichen auf dem Gebiet der tatrichterlichen Würdigung liegende und deshalb revisionsrechtlich nicht angreifbare -vom Antragsteller mit substantiierten Darlegungen auch nicht angegriffene-, vom FG sinngemäß dargelegte Ansicht, die Prüfer hätten zutreffend beanstandet, die Klausur des Antragstellers enthalte zum Sachverhalt 2 nicht die durch die Aufgabenstellung geforderte umfassende steuerliche Beratung, läßt keinen Rechtsfehler erkennen. Das FG hat nicht festgestellt, daß die Prüfer davon ausgegangen wären, die Aufgabe verlange eine "Gesamtwürdigung des Sachverhalts" statt einer Beratung der fiktiven Mandantin DD. Der Antragsteller setzt insofern lediglich seine Ansicht über den maßgeblichen Sachverhalt an die Stelle des vom FG festgestellten. Daß die Prüfer beim Sachverhalt 1, Buchstabe b, -zu Unrecht- nur die Vergabe eines einzigen Punktes in Erwägung gezogen haben, wie geltend macht wird, hat das FG ebenfalls nicht festgestellt; deshalb bedarf keiner Erörterung, ob die angebliche Abweichung von der Musterlösung insoweit trotz der plausiblen Begründung der Bewertung seitens der Prüfer einen Rechtsfehler darstellen könnte.
d) Die Bewertung des Abschnitts Einheitsbewertung ist im Überdenkungsverfahren eingehend und nachvollziehbar erläutert worden. Die Bewertung ist von Rechts wegen nicht zu beanstanden, wie das FG in revisionsrechtlich nicht angreifbarer Weise erkannt hat. Der Antragsteller hat -auch in seinem erstinstanzlichen Vorbringen- nicht in einer für den beschließenden Senat nachvollziehbaren, hinreichend klaren Weise geltend gemacht, daß den Prüfern fachliche Fehler unterlaufen sind, daß sie also die fachwissenschaftlich richtige (oder "vertretbare") Beantwortung einer in der Aufgabe enthaltenen Fragestellung oder die richtige Lösung einer sonstigen Aufgabenstellung als falsch angesehen hätten. Das Vorbringen des Antragstellers erschöpft sich vielmehr in Darlegungen dazu, seine Klausurbearbeitung entspreche "in großen Zügen" der Musterlösung, so daß er die dort für einzelne Aufgabenteile vorgesehenen Punkte beanspruchen könne. Es ist indes insbesondere nicht zu beanstanden, wenn die Prüfer zutreffende Ausführungen zu relevanten Einzelpunkten deshalb nicht oder allenfalls als unbedeutende Leistung werten, weil sie nicht sinnvoll geordnet oder nicht prägnant bzw. sogar zusammenhanglos dargestellt oder ohne deutlichen Bezug zur geforderten Fallösung erscheinen. Der Prüfer ist auch nicht verpflichtet, sich selbst verstreute Einzelpunkte aus der Arbeit des Prüflings herauszusuchen und diese ohne Gewichtung und Berücksichtigung der Art und Weise der Gesamtdarstellung gleichsam zu addieren (Urteil des BVerwG in Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 329). Die Ansicht des FG, ein Bewertungsfehler könne nicht durch eine "atomisierte Gegenüberstellung" von Teilen der Musterlösung und der Klausurbearbeitung sowie den Vortrag nachgewiesen werden, Teile der Musterlösung würden an bestimmten Stellen der Klausurbearbeitung "anklingen", ist deshalb zutreffend.
Das Vorbringen des Antragstellers verkennt überdies nicht nur, daß die Musterlösung keine für die Prüfer verbindlichen Vorgaben enthält, sondern es setzt sich vor allem auch über die vom FG mit Recht sinngemäß hervorgehobene Überlegung hinweg, daß die in der Musterlösung vorgeschlagenen Punkte lediglich die Gewichtung einzelner Teile der Aufgabenstellung nach ihrer Bedeutung und Schwierigkeit erleichtern sollen und Punkte für eine Klausurbearbeitung nicht schon, wie der Antragsteller meint, dann "beansprucht" werden können, wenn der einschlägige rechtliche Gesichtspunkt von dem Prüfling nur irgendwie und irgendwo angesprochen worden ist oder sogar nur "im logischen Umkehrschluß" aus seinen Darlegungen entnommen werden kann, daß er ihn erkannt hat. Die Prüfer dürfen vielmehr Klarheit und Systematik der Darstellung sowie Vollständigkeit und Prägnanz der Begründung richtiger Lösungen bei der Zumessung der in der Musterlösung nur in Form von Höchstwerten ausgewiesenen "Wertpunkte" wesentliches Gewicht beimessen, wobei ihre diesbezügliche Beurteilung der Prüfungsleistung im wesentlichen nicht auf fachwissenschaftlichem Gebiet liegt und daher im Rahmen der gerichtlichen Kontrolle der Prüfungsentscheidung nur dann beanstandet werden kann, wenn sie offensichtlich nicht vertretbar ist, insbesondere weil für sie von den Prüfern vernünftige Gründe nicht angeführt werden oder die Prüfer einzelne richtige Teile der Bearbeitung ersichtlich überhaupt nicht bewertet haben.
5. Die Revision dürfte schließlich auch insoweit ohne Erfolg bleiben als sie rügt, das angefochtene Urteil leide an Verfahrensmängeln (§ 118 Abs. 3 Satz 1 FGO). Denn die insofern erhobenen Rügen sind nicht in der erforderlichen Weise (schlüssig) begründet. Insbesondere im Hinblick auf den vermeintlichen Verfahrensmangel unzureichender Sachaufklärung (§ 76 FGO) hätte genau angegeben werden müssen, welche Tatsachen das FG mit welchen Beweismitteln noch hätte aufklären sollen, in welcher Weise dies vom Antragsteller beantragt worden ist oder weshalb es der Aufklärung bedurft hätte, obwohl sie der Antragsteller selbst nicht für notwendig gehalten hat; schließlich, welches genaue Ergebnis die Beweiserhebung hätte erwarten lassen und inwiefern dies zu einer für den Antragsteller günstigeren Entscheidung geführt hätte. An all diesem fehlt es in der Revisionsbegründung. Soweit sie vorträgt, das FG habe zu verschiedenen Rügen des Antragstellers "Stellung nehmen" und auf sie "eingehen" müssen, zielt dies im übrigen in Wahrheit nicht auf eine Verletzung der Aufklärungspflicht durch das FG, sondern enthält sinngemäß den Vorwurf, das FG habe Vorbringen des Antragstellers nicht zur Kenntnis genommen oder jedenfalls bei seiner Entscheidung nicht hinreichend gewürdigt. Ein dahin gehender Mangel des Verfahrens des FG würde indes einen Verstoß gegen den Grundsatz rechtlichen Gehörs darstellen (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO), dessen ordnungsgemäße Rüge Angaben dazu voraussetzt, aus welchen besonderen Umständen sich die Berechtigung eines solchen Vorwurfs ergibt; denn grundsätzlich ist davon auszugehen, daß ein Gericht die von ihm zur Kenntnis genommenen Äußerungen der Beteiligten bei seiner Entscheidungsfindung berücksichtigt und die von ihnen erhobenen Rechtsrügen prüft.
Fundstellen
Haufe-Index 171156 |
BFH/NV 1999, 1133 |