Entscheidungsstichwort (Thema)
Außerordentliche Beschwerde und Gehörsrüge
Leitsatz (NV)
1. Eine Beschwerde wegen Nichtzulassung der Beschwerde kommt in den Fällen des §128 Abs. 3 FGO nicht in Betracht.
2. Die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs eröffnet für sich keine weitere Instanz, es sei denn, es liegt ausnahmsweise ein Fall vor, in dem eine außerordentliche Beschwerde in Betracht kommt, deren Voraussetzungen substantiiert dargelegt werden.
3. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs des Antragstellers in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes liegt nicht vor, wenn das FG in den Tatbestand seiner negativen Entscheidung über den Antrag in einem nicht ausgetauschten Schriftsatz des Antragsgegners enthaltenen Tatsachenvortrag hat einfließen lassen, der für die getroffene Entscheidung ersichtlich unerheblich war.
Normenkette
GG Art. 103 Abs. 1; AO 1977 § 258; FGO §§ 69, 114, 115 Abs. 2, § 128 Abs. 3
Tatbestand
Mit dem angefochtenen Beschluß hat das Finanzgericht (FG) den Antrag des Antragstellers und Beschwerdeführers (Antragsteller) auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wegen Fehlens der gesetzlichen Voraussetzungen abgelehnt.
Das FG befand, eine Aussetzung der Vollziehung des beim Amtsgericht gestellten Antrags des Antragsgegners und Beschwerdegegners (Finanzamt -- FA --) auf Beitritt zu einem von einem Drittgläubiger gegen den Antragsteller betriebenen Zwangsversteigerungsverfahren komme nicht in Betracht, da ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der konkreten Vollstreckungsmaßnahme "Beitritt zum Zwangsversteigerungsverfahren" nicht bestünden (§69 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). Mit seinen Einwendungen gegen die zugrundeliegenden Steuerbescheide könne der Antragsteller im Vollstreckungsverfahren nicht gehört werden (§256 der Abgabenordnung -- AO 1977 --). Soweit sich der Antragsteller auf die Nichtigkeit des Umsatzsteuer-Haftungsbescheids berufe, habe er nicht vorgetragen, warum dieser Bescheid schwerwiegende Mängel aufweisen solle.
Für den darüber hinausgehenden Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung auf einstweilige Einstellung oder Beschränkung der Zwangsvollstreckung aus Billigkeitsgründen (§258 AO 1977) sei ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht worden. Insbesondere habe der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht, daß die vom FA angeforderte Einkommensteuer vom FA alsbald wieder wegen durchzuführender Verlustrückträge zurückzuerstatten wäre. Die bloße dahingehende Behauptung, daß die Voraussetzungen für einen Verlustrücktrag erfüllt seien, reiche nicht aus. Soweit der Antragsteller Nichtigkeit des Umsatzsteuer-Haftungsbescheids einwende, fehlten auch hier konkrete Angaben darüber, weshalb der Bescheid schwerwiegende Fehler aufweise. Für eine baldige Aufhebung der zugrundeliegenden Bescheide gebe es keine Anhaltspunkte. Auch die Voraussetzungen für einen Erlaß der Säumniszuschläge (§227 AO 1977) seien nicht schlüssig dargelegt worden.
Mit getrennten Schriftsätzen hat der Antragsteller durch seinen Prozeßbevollmächtigten Nichtzulassungsbeschwerde beim FG eingelegt, dort einen Antrag auf Akteneinsicht gestellt und unmittelbar beim Bundesfinanzhof (BFH) Beschwerde gegen die Entscheidung des FG eingelegt. Mit der auf §118 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. §115 Abs. 2 FGO gestützten Nichtzulassungsbeschwerde rügt der Antragsteller eine Verletzung seines Rechts auf Gehör durch das FG. Dieses habe bei seiner Entscheidung eine Reihe von in den Steuerakten befindlichen Beweismitteln unberücksichtigt gelassen, auf die er in seinem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes im allgemeinen und im besonderen hingewiesen habe. Die vom FG vermißte schlüssige Darlegung ergebe sich aus seinen Steuerakten; diese hätte das FG zur Beschlußfassung vollständig beiziehen müssen. Hätte das FG dies getan, hätte das FG eine andere, ihm günstigere Rechtsansicht vertreten müssen.
Die beim BFH eingereichte Beschwerde hält der Antragsteller für zulassungsfrei und stützt sie auf §118 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. §119 Nr. 3 FGO. Es bringt vor, das FG habe ihm das rechtliche Gehör versagt, weil es die Erwiderung des FA auf seinen Vollstreckungsschutzantrag nicht ausgetauscht habe, aus dem Schriftsatz des FA aber Angaben in seine Entscheidung übernommen habe, zu denen er sich folglich nicht habe äußern können. Im übrigen wiederholt der Antragsteller das Vorbringen aus seiner Nichtzulassungsbeschwerde.
Entscheidungsgründe
Der Senat sieht die Eingaben des Antragstellers als einheitliches Rechtsmittel der Beschwerde an. Die Beschwerde ist jedoch unter keinem rechtlichen Aspekt zulässig.
1. Nach §128 Abs. 3 Satz 1 FGO steht den Beteiligten gegen die Entscheidung des FG über die Aussetzung der Vollziehung nach §69 Abs. 3 FGO sowie über eine einstweilige Anordnung nach §114 Abs. 1 FGO die Beschwerde nur zu, wenn sie in der Entscheidung zugelassen worden ist. Das FG hat die Beschwerde in der angefochtenen Entscheidung nicht zugelassen, vielmehr seinen Beschluß in der Rechtsmittelbelehrung unter Verweis auf §128 Abs. 3 FGO ausdrücklich für unanfechtbar erklärt. Mithin ist die Beschwerde bereits nicht statthaft.
2. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist eine Zulassung der Beschwerde gemäß §115 Abs. 3 FGO durch den BFH nicht möglich. §128 Abs. 3 Satz 2 FGO sieht hinsichtlich der Zulassung lediglich die entsprechende Anwendung des §115 Abs. 2 FGO vor. Hiernach entscheidet allein das FG, ob eine Zulassung der Beschwerde aus einem der dort genannten Gründe in Betracht kommt. Eine Beschwerde wegen Nichtzulassung der Beschwerde ist in den Fällen des §128 Abs. 3 FGO nicht statthaft (vgl. z. B. BFH-Beschlüsse vom 14. Dezember 1994 VI B 149/94, BFH/NV 1995, 628, und vom 18. Juni 1996 VIII B 43/96, BFH/NV 1996, 846).
3. Entgegen der Auffassung des Antragstellers eröffnet die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs für sich keine weitere Instanz (vgl. Senatsbeschluß vom 20. September 1995 VII B 150/95, BFH/NV 1996, 245, unter Hinweis auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 8. November 1994 XI ZR 35/94, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1995, 544). Fehl geht in diesem Zusammenhang der Hinweis des Antragstellers auf §118 Abs. 1 i. V. m. §119 Nr. 3 FGO bzw. §118 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. §115 Abs. 2 FGO, weil diese Vorschriften lediglich Aussagen zu Revisionsgründen treffen, keineswegs aber die Frage der Statthaftigkeit von Revision oder Beschwerde regeln.
4. Auch eine außerordentliche Beschwerde ist im Streitfall nicht gegeben.
a) Eine solche Beschwerde ist zwar in der FGO nicht vorgesehen, wird ausnahmsweise aber in Fällen, in denen ein Beschluß kraft Gesetzes unanfechtbar wird, dann für zulässig erachtet, wenn der Beschluß unter schwerwiegender Verletzung von Verfahrensvorschriften zustande gekommen ist oder auf einer Gesetzesauslegung beruht, die offensichtlich dem Wortlaut und dem Zweck des Gesetzes widerspricht und die eine Gesetzesanwendung zur Folge hat, die durch das Gesetz ersichtlich ausgeschlossen werden sollte (vgl. Senatsbeschluß vom 22. November 1994 VII B 144/94, BFH/NV 1995, 791, m. w. N.).
Der Senat kann im Streitfall dahingestellt sein lassen, ob eine solche "außerordentliche" Beschwerde auch für Fälle in Betracht kommt, in denen die Voraussetzungen für eine Beschwerde nach §128 Abs. 3 FGO nicht gegeben sind, und ob eine solche Prüfung vom Beschwerdegericht auch dann vorzunehmen ist, wenn sich der rechtskundig vertretene Antragsteller nicht ausdrücklich auf diesen Gesichtspunkt der außerordentlichen Beschwerde beruft. Denn die Voraussetzungen, unter denen eine solche Beschwerde ausnahmsweise zulässig sein könnte, sind im Streitfall nicht schlüssig dargelegt.
b) Die Rüge des Antragstellers, das FG habe sein Recht auf Gehör in mehrfacher Weise verletzt, ist nicht schlüssig. Soweit der Antragsteller geltend macht, das FG habe sein Vorbringen nicht zur Kenntnis genommen, weil es sich nicht um ein ausreichendes Studium der Steuerakten bemüht, diese nicht von sich aus beigezogen habe und folglich den darin genannten Beweismitteln, auf die er verwiesen habe, nicht nachgegangen sei, verkennt er, daß es im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gegen eine Vollstreckungsmaßnahme des FA nicht Aufgabe des FG ist, von Amts wegen die vollständigen Steuerakten (auch soweit sie sich nicht auf die Vollstreckung beziehen) beizuziehen und in diesen nachzuforschen, ob sich daraus das Rechtsschutzbegehren schlüssig ergibt. Es gilt hier im summarischen Verfahren vielmehr weitgehend der Beibringungs- und Darlegungsgrundsatz. Hinsichtlich des Prozeßstoffs findet eine Beschränkung auf die dem Gericht vorgelegten Unterlagen, die sog. präsenten Beweismittel, statt. Es ist Sache der Beteiligten, die entscheidungserheblichen Tatsachen schriftsätzlich darzulegen und vor allem durch Beibringung von Beweismitteln glaubhaft zu machen (vgl. Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl. 1997, §69 Rz. 104--106). Das gilt im wesentlichen auch für das Verfahren nach §114 FGO (vgl. §114 Abs. 3 FGO i. V. m. §920 Abs. 1 und 2 der Zivilprozeßordnung; Gräber/Koch, a. a. O., §114 FGO Rz. 55-- 60). Das FG war somit im Streitfall nicht verpflichtet, den pauschalen Bezugnahmen des Antragstellers auf "den im Vorverfahren geführten Schriftverkehr sowie auf den Inhalt der Steuerakte" und auf einzelne in den Steuerakten (außerhalb der Vollstreckungsakten) befindliche Schreiben und Bescheide nachzugehen.
Das Recht des Antragstellers auf Gehör, das auch im summarischen Verfahren besteht (Senatsurteil vom 22. Dezember 1981 VII R 104/80, BFHE 135, 149, BStBl II 1982, 356), ist auch nicht dadurch verletzt worden, daß das FG die Antragserwiderung des FA nicht ausgetauscht, jedoch den wesentlichen Inhalt dieser Erwiderung in den Tatbestand des Beschlusses aufgenommen hat. Ein solches Vorgehen kann dann zu einer Verletzung des rechtlichen Gehörs des Antragstellers führen, wenn das FG den Tatsachenvortrag des FA zum Nachteil des Antragstellers verwertet, ohne diesem zuvor die Möglichkeit einer Stellungnahme zu geben. Im Streitfall besteht aber die Besonderheit, daß sich die im Beschlußtatbestand zusammengefaßte Erwiderung des FA im wesentlichen auf die Wiedergabe von Rechtsansichten beschränkt. Als neue Tatsache ist lediglich das Vorbringen des FA zu werten, daß sich die persönlichen Ansprüche des FA inzwischen auf etwa 65 000 DM erhöht hätten. Es ist aber nicht ersichtlich, inwiefern das FG bei seiner Entscheidung von dieser Tatsache Gebrauch gemacht haben könnte, zumal, wie das FG selbst ausgeführt hat, im Vollstreckungsverfahren Einwendungen aus den zugrundeliegenden Steuerbescheiden (persönliche Ansprüche des FA) nicht berücksichtigt werden können (§256 AO 1977). Demnach war für die Entscheidung des FG die Tatsache oder vermeintliche Tatsache, daß sich die persönlichen Steuerschulden des Antragstellers in der Zwischenzeit erhöht hatten, unerheblich.
Dies gilt auch im Hinblick auf den Billigkeitsantrag des Antragstellers auf einstweilige Einstellung oder Beschränkung der Zwangsvollstreckung, weil die vom FG gegebene Begründung für die Ablehnung des Antrags insoweit nicht auf die Höhe der Steuerrückstände abgestellt ist. Allenfalls eine etwa mitgeteilte Verminderung der Steuerrückstände hätte unter diesen Umständen gegebenenfalls Einfluß auf die Entscheidung des FG haben können. Insoweit dürfen für das summarische Beschlußverfahren vor dem FG an die Gewährung des rechtlichen Gehörs keine strengeren Anforderungen gestellt werden als für das Urteilsverfahren. Für dieses Verfahren ist nämlich anerkannt, daß die Versagung des rechtlichen Gehörs bei einer einzelnen tatsächlichen Feststellung unschädlich ist, wenn es unter revisionsrechtlicher Betrachtung auf diese Feststellung materiell-rechtlich unter keinem denkbaren Gesichtspunkt ankommen kann (vgl. §126 Abs. 4 FGO; Senatsurteil vom 12. August 1986 VII R 138/83, BFH/NV 1987, 219; Gräber/Ruban, a. a. O., §119 Rz. 11).
Entsprechend fehlt es auch an der Darlegung durch den Antragsteller, daß die Entscheidung des FG, seine Anträge abzulehnen, gerade darauf beruht oder zumindest beruhen könnte, daß das FG die vom FA mitgeteilte Tatsache der Erhöhung der zugrundeliegenden Steuerforderungen, wozu er nach seinem Vortrag nicht gehört worden ist, bei seiner Entscheidung berücksichtigt haben könnte. Dies wäre aber für eine schlüssige Darlegung der Verletzung des Rechts auf Gehör (vgl. Gräber/Ruban, a. a. O., §119 Rz. 14, m. w. N.) und damit für eine etwaige Statthaftigkeit der außerordentlichen Beschwerde erforderlich gewesen.
5. Die vom Antragsteller erbetene Einsicht in die beim BFH vorliegenden finanzgerichtlichen Akten brauchte nicht gewährt zu werden. Da das eingelegte Rechtsmittel -- die Beschwerde -- unzulässig ist, wäre eine Einsichtnahme in die Akten unter keinem Gesichtspunkt geeignet gewesen, der Verwirklichung des Rechtsschutzes zu dienen (vgl. z. B. Senatsbeschluß vom 29. März 1994 VII B 58/94, BFH/NV 1995, 58).
Fundstellen
Haufe-Index 66631 |
BFH/NV 1998, 714 |