Entscheidungsstichwort (Thema)
Einbeziehung der Wohnräume von Arbeitnehmern als Betriebsstätte in die Zerlegung
Leitsatz (NV)
Es ist nicht ernstlich zweifelhaft, daß Räume der Wohnung eines Arbeitnehmers, die aufgrund arbeitsvertraglicher Vereinbarungen für die gewerbliche Tätigkeit des Arbeitgebers genutzt werden und von ihm mit den dafür erforderlichen Einrichtungen ausgestattet worden sind, dann keine Betriebsstätten sind, wenn die jederzeitige Verfügungsmacht des Arbeitgebers für die Räume nicht unbestritten ist.
Normenkette
AO 1977 § 12; GewStG § 28 Abs. 1 S. 1; FGO § 69
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) ist ein pharmazeutisches Unternehmen. In den Erhebungszeiträumen 1989 und 1990 (Streitjahre) war sie gewerbesteuerrechtlich Organträgerin der P-GmbH, der sie ab 1. Oktober 1989 ihren Außendienst übertragen hatte. Der Außendienst war in den Streitjahren dezentral organisiert. Es bestanden mehrere Regionalbüros mit jeweils einem Gebietsleiter und ihm unterstellten jeweils 10 bis 12 Pharmareferenten. Die Gebietsleiter und Pharmareferenten waren Angestellte der Antragstellerin bzw. der P-GmbH. Die für die Regionalbüros benötigten Büro- und Lagerräume wurden nicht von der Antragstellerin bzw. der P-GmbH angemietet. Vielmehr stellten die Gebietsleiter aufgrund einer entsprechenden Verpflichtung in ihren Anstellungsverträgen diese Räume, die zum Teil Bestandteil ihrer Wohnungen waren, der Antragstellerin bzw. der P-GmbH für die Dauer des Arbeitsvertrages zur Verfügung. Die Antragstellerin bzw. P- GmbH stattete die Räume u.a. mit EDV- und Kommunikationseinrichtungen aus. Für die Überlassung der Büroräume erhielten die Gebietsleiter keine gesonderten Vergütungen. Die Aufwendungen für die Lagerräume erstattete die Antragstellerin bzw. die P- GmbH den Gebietsleitern. Gewerbesteuerrechtlich behandelte die Antragstellerin die Regionalbüros als ihre Betriebsstätten. Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) vertrat dagegen nach einer Außenprüfung die Auffassung, die Regionalbüros seien keine Betriebsstätten der Antragstellerin. Er erließ für die Streitjahre Bescheide über die Zerlegung der einheitlichen Gewerbesteuermeßbeträge (Zerlegungsbescheide vom 13. Juli 1995), denen diese Rechtsauffassung zugrunde liegt. Die Einsprüche der Antragstellerin und mehrerer Gemeinden gegen die Bescheide waren erfolglos. Im Dezember 1996 erhob die Antragstellerin deshalb form- und fristgerecht beim zuständigen Finanzgericht (FG) Klage. Das Klageverfahren (sog. Hauptsacheverfahren) wird beim FG unter dem Aktenzeichen ... geführt.
Am 19. März 1997 beantragte die Antragstellerin beim FG die Aussetzung der Vollziehung der Zerlegungsbescheide, nachdem das FA zuvor einen entsprechenden Antrag abgelehnt hatte. Auch der beim FG gestellte Antrag war erfolglos. Die Entscheidung des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 1997, 1482 veröffentlicht. Die Beschwerde ließ das FG zu.
Die Antragstellerin hat Beschwerde eingelegt. Sie beantragt sinngemäß, den Beschluß des FG aufzuheben und die Vollziehung der Zerlegungsbescheide für 1989 und 1990 vom 13. Juli 1995 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28. November 1996 ab einen Monat nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung bis einen Monat nach Zustellung der Entscheidung im Hauptsacheverfahren insoweit auszusetzen, als die festgesetzten Zerlegungsanteile darauf beruhen, daß die Regionalbüros bei den Zerlegungen nicht als Betriebsstätten berücksichtigt worden sind.
Das FA beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist zwar zulässig (§69 Abs. 4 und §128 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --), aber nicht begründet. Sie war daher zurückzuweisen.
1. Gemäß §69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die Vollziehung eines angefochtenen Steuerbescheids u.a. dann aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids bestehen. Die gleiche Befugnis steht dem Bundesfinanzhof (BFH) als Beschwerdeinstanz zu (§132 FGO i.V.m. §126 Abs. 3 Nr. 1 FGO analog; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl. 1997, §132 Rz. 10).
Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Steuerbescheids bestehen, wenn bei summarischer Prüfung anhand des Akteninhalts gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von entscheidungserheblichen Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken und die dazu führen können, daß sich bei abschließender Klärung dieser Fragen der Bescheid als rechtswidrig erweist (s. BFH-Entscheidungen vom 17. Mai 1978 I R 50/77, BFHE 125, 423, 426, BStBl II 1978, 579; vom 20. September 1995 I B 197/94, BFH/NV 1996, 366; Gräber/Koch, a.a.O., §69 Anm. 77; Gosch in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, §69 FGO Rz. 123f., 170f., m.w.N.).
2. Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der von der Antragstellerin im Hauptsacheverfahren angefochtenen Zerlegungsbescheide. Der beschließende Senat ist aufgrund summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage der Auffassung, daß die Regionalbüros bei der Zerlegung der einheitlichen Gewerbesteuermeßbeträge nicht gemäß §28 Abs. 1 Satz 1 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) i.V.m. §12 der Abgabenordnung (AO 1977) und §2 Abs. 2 Satz 2 GewStG als Betriebsstätten der Antragstellerin zu berücksichtigen sind.
a) Zutreffend gehen die Beteiligten davon aus, daß die von den Gebietsleitern für Zwecke der Antragstellerin bzw. der P- GmbH genutzten Büro- und Lagerräume der Regionalbüros feste Einrichtungen waren, die unmittelbar und nicht nur vorübergehend der gewerblichen Tätigkeit der Antragstellerin bzw. der P-GmbH dienten. Streitig ist lediglich die Rechtsfrage, ob die Räume Betriebsstätten der Antragstellerin waren, obwohl die Verfügungsmacht der Antragstellerin bzw. der P-GmbH über sie in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht dadurch eingeschränkt war, daß sie nur aufgrund der arbeitsvertraglichen Verpflichtungen der Gebietsleiter für Zwecke der Antragstellerin bzw. der P-GmbH genutzt werden konnten und die Büroräume und zum Teil auch die Lagerräume Bestandteile der Wohnungen der Gebietsleiter waren.
b) Nach ständiger BFH-Rechtsprechung ist eine feste der Tätigkeit eines Unternehmens dienende Einrichtung dann eine Betriebsstätte i.S. des §12 Abs. 1 AO 1977, wenn der Unternehmer über die Einrichtung eine nicht nur vorübergehende Verfügungsmacht hat (s. BFH-Urteile vom 11. Oktober 1989 I R 77/88, BFHE 158, 499, BStBl II 1990, 166; vom 3. Februar 1993 I R 80-81/91, BFHE 170, 263, BStBl II 1993, 462). Eine solche Verfügungsmacht besteht stets dann, wenn der Unternehmer hinsichtlich der Nutzungsmöglichkeit bestimmter Räume eine Rechtsposition innehat, die ihm nicht ohne weiteres entzogen oder die ohne seine Mitwirkung nicht ohne weiteres verändert werden kann (s. BFH-Urteil vom 17. März 1982 I R 189/79, BFHE 136, 120, BStBl II 1982, 624). Im Urteil in BFHE 170, 263, BStBl II 1993, 462 hat der beschließende Senat diese Rechtsprechung fortentwickelt und ausgeführt: Für die Annahme einer Betriebsstätte sei letztlich entscheidend, daß eine bestimmte unternehmerische Tätigkeit durch eine Geschäftseinrichtung mit fester örtlicher Bindung ausgeübt werde und sich in der Bindung eine gewisse "Verwurzelung" des Unternehmens mit dem Ort der Ausübung der unternehmerischen Tätigkeit ausdrücke. Aus dem Begriff der Betriebsstätte könne nicht abgeleitet werden, daß diese Verwurzelung notwendigerweise rechtlich abgesichert sein müsse. Im Einzelfall könne es genügen, wenn aus tatsächlichen Gründen anzunehmen sei, daß dem Steuerpflichtigen ein bestimmter Raum zur ständigen Nutzung zur Verfügung gestellt und seine Verfügungsmacht darüber nicht bestritten werden wird.
c) Im Streitfall waren die Gebietsleiter zwar arbeitsvertraglich verpflichtet, der Antragstellerin (bzw. der P-GmbH) bestimmte Räume nicht nur vorübergehend für die gewerbliche Benutzung als Regionalbüros zur Verfügung zu stellen. Die Gebietsleiter kamen dieser Verpflichtung auch nach. Aufgrund der Lage und Nutzungsmöglichkeiten der Räume ist aber nicht davon auszugehen, daß die Verfügungsmacht der Antragstellerin (bzw. der P-GmbH) über diese Räume unbestritten war. Die Räume waren überwiegend Teile der Wohnungen der Gebietsleiter. Die zu den Wohnungen gehörenden Räume und die Lagerräume konnten von den Gebietsleitern auch für private Zwecke genutzt werden, wenn auch nach Angabe der Antragstellerin aus tatsächlichen Gründen nur in geringem Umfang. Aufgrund dieser tatsächlichen Umstände ist der Schluß gerechtfertigt, daß die Gebietsleiter anderen Mitarbeitern der Antragstellerin (bzw. der P-GmbH) nicht den jederzeitigen uneingeschränkten Zutritt zu den Räumen gestattet hätten. Ob sie tatsächlich einmal unter Hinweis auf ihr Hausrecht anderen Mitarbeitern der Antragstellerin (bzw. der P-GmbH) den Zutritt verweigerten, ist ohne Bedeutung. Nach Angabe der Antragstellerin bestand dafür kein Anlaß, da bei Ausfall eines Gebietsleiters ein anderer Gebietsleiter von seinem Regionalbüro aus die Vertretung übernehmen konnte.
d) Die Entscheidung des beschließenden Senats steht mit der herrschenden Meinung im Schrifttum in Einklang (s. z.B. Buciek in Beermann, a.a.O., §12 AO 1977 Rz. 13; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., Stand August 1998, §12 AO 1977 Tz. 14; Birk in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung- Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., Stand Juli 1996, §12 AO 1977 Rz. 17).
Fundstellen
Haufe-Index 154164 |
BFH/NV 1999, 665 |