Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei plötzlich aufgetretener Erkrankung des Prozessbevollmächtigen
Leitsatz (NV)
1. Bei Versäumung der Revisionsbegründungsfrist ist keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn der Prozessbevollmächtigte zwar eine plötzlich aufgetretene Erkrankung (im Streitfall eine Grippe und Herzrhythmusstörungen) durch ein ärztliches Attest glaubhaft gemacht hat, zugleich aber substantiierte Ausführungen dazu fehlen, welche büroorganisatorischen Vorkehrungen er getroffen hat, um auch für einen solchen Fall eine Fristversäumnis zu vermeiden.
2. Als geeignete Vorsorgemaßnahmen kommen für den Eintritt einer unvorhersehbaren Erkrankung die Anweisung einer angestellten Bürokraft oder die Einschaltung eines Vertreters zur Fristenkontrolle in Betracht, um zumindest die Stellung eines Fristverlängerungsantrages sicherzustellen.
Normenkette
FGO § 56 Abs. 1, 2 S. 1, § 116 Abs. 7, § 120 Abs. 2, § 155; ZPO § 85 Abs. 2
Verfahrensgang
FG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 26.02.2003; Aktenzeichen 3 K 1201/01) |
Tatbestand
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) ab.
Der Senatsbeschluss, in dem auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers hin die Revision zugelassen wurde, ist am 4. Februar 2004 zugestellt worden. Die vom Prozessbevollmächtigten des Klägers gefertigte Revisionsbegründung ist am 8. März 2004 beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangen. Zugleich begehrt der Prozessbevollmächtigte des Klägers wegen der abgelaufenen Revisionsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 der Finanzgerichtsordnung (FGO) unter Hinweis auf seine durch ein beigefügtes Attest belegte Erkrankung. Er führe seine Rechtsanwaltspraxis allein. In dem ärztlichen Attest heißt es, der Patient sei aufgrund einer Grippe in der Zeit vom 26. Februar 2004 bis zum 6. März 2004 bettlägerig gewesen. Die Erkrankung sei durch Herzrhythmusstörungen kompliziert worden. Mit Schreiben vom 10. März 2004 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers ergänzend eine Kopie aus seinem Fristenkontrollbuch vorgelegt, in dem sich unter dem 1. März 2004 die handschriftliche Eintragung "Revisionsbegründungsfristablauf" und darunter der Vermerk "ab am 8.3.04" befinden. Es werde anwaltlich versichert, dass die Eintragung sogleich nach Zulassung der Revision erfolgt sei. Auf Anforderung könne das Buch auch im Original vorgelegt werden.
Der Kläger beantragt, unter Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Revisionsbegründungsfrist das Urteil des FG aufzuheben und die angefochtenen Einkommensteuerbescheide 1994, 1995 und 1997 in der Fassung der Einspruchsentscheidung dahin gehend zu ändern, dass weitere negative Einkünfte für 1994 in Höhe von 11 827 DM, für 1995 von 11 453 DM und für 1997 von 8 529 DM berücksichtigt werden, hilfsweise, das Urteil des FG aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise, als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unzulässig und deshalb durch Beschluss zu verwerfen (§§ 124 Abs. 1 Satz 2, 126 Abs. 1 FGO).
1. Nach § 120 Abs. 2 Satz 1 2. Halbsatz FGO i.V.m. § 116 Abs. 7 FGO ist die Revision innerhalb von einem Monat nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Revision zu begründen. Im Streitfall ist diese Frist für den am 4. Februar 2004 zugestellten Beschluss am 4. März 2004 abgelaufen. Die erst am 8. März 2004 beim BFH eingegangene Revisionsbegründung des Klägers war mithin verspätet, da die Revisionsbegründungsfrist nicht verlängert worden war (§ 120 Abs. 2 Satz 3 FGO).
2. Die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 FGO wegen der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist kann nicht gewährt werden.
a) Wiedereinsetzung ist zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden an der Einhaltung der gesetzlichen Frist gehindert war (§ 56 Abs. 1 FGO). Dies setzt in formeller Hinsicht voraus, dass innerhalb einer Frist von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses die versäumte Rechtshandlung nachgeholt und diejenigen Tatsachen vorgetragen und im Verfahren über den Antrag glaubhaft gemacht werden, aus denen sich die schuldlose Verhinderung ergeben soll (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.d.F. bis 31. August 2004). Die Tatsachen, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen können, sind innerhalb dieser Frist vollständig, substantiiert und in sich schlüssig darzulegen (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschlüsse vom 24. Juli 2002 VII B 150/02, BFH/NV 2002, 1489, und vom 25. Juni 2003 XI B 186/02, BFH/NV 2003, 1589). Hiernach schließt jedes Verschulden --also auch einfache Fahrlässigkeit-- die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus. Der Beteiligte muss sich ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen (§ 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 der Zivilprozessordnung --ZPO--).
Ein Verschulden i.S. des § 56 FGO ist, jedenfalls wenn es sich um die Fristversäumnis eines Rechtsanwalts handelt, nur dann zu verneinen, wenn dieser die äußerste, den Umständen des Falles angemessene und vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt angewendet hat. Der Prozessbevollmächtigte einer Partei muss daher alles ihm Zumutbare tun, damit die Frist zur Einlegung oder Begründung eines Rechtsmittels gewahrt wird. Dementsprechend hat er die nach den jeweiligen Umständen gebotene Vorsorge für den Fall zu treffen, dass er unvorhergesehen an der Wahrnehmung seiner Aufgaben, insbesondere an der Wahrung gesetzlicher Pflichten, gehindert wird. Er muss sicherstellen, dass entweder ein Vertreter vorhanden ist oder das Kanzleipersonal sich an einen solchen wenden kann. Dazu gehört zum Beispiel, die für die Überwachung des Fristenkalenders verantwortliche Bürokraft zu beauftragen, nicht nur auf den drohenden Fristablauf zu achten, sondern bei Abwesenheit oder Erkrankung des Rechtsanwalts oder Steuerberaters auch Fristsachen daraufhin zu überprüfen, ob die Schriftsätze rechtzeitig herausgegangen oder Maßnahmen zur Fristverlängerung getroffen worden sind (vgl. BFH-Beschlüsse vom 7. Februar 2002 III R 12/01, BFH/NV 2002, 794, und vom 20. Januar 2004 V R 40/03, BFH/NV 2004, 657, m.w.N.).
Die im anhängigen Verfahren geltend gemachte und durch die Vorlage eines ärztlichen Attestes glaubhaft gemachte Erkrankung des Prozessbevollmächtigten ist nach ständiger Rechtsprechung nur dann als schuldlose Verhinderung i.S. von § 56 Abs. 1 FGO zu werten, wenn sie plötzlich und unvorhersehbar auftritt und so schwer ist, dass es für den Prozessbevollmächtigten unzumutbar ist, die Frist einzuhalten oder rechtzeitig einen Vertreter zu bestellen (vgl. dazu BFH-Beschluss vom 27. August 2003 I B 113/03, BFH/NV 2004, 68, m.w.N.) oder --wie hier gemäß § 120 Abs. 2 Satz 3 FGO möglich-- vor Ablauf der Frist Fristverlängerung zu beantragen.
Demgemäss ist es für die schlüssige Begründung eines Wiedereinsetzungsantrags nicht ausreichend, allein den Umstand der Erkrankung darzulegen; erforderlich sind vielmehr substantiierte Ausführungen dazu, welche Vorkehrungen (Büroorganisation, Bestellung eines Vertreters) der Prozessbevollmächtigte getroffen hat, um eine Fristversäumnis zu vermeiden, oder aus welchen Gründen (z.B. plötzlicher Ausbruch der Krankheit) der Prozessvertreter Maßnahmen dieser Art nicht habe ergreifen können bzw. dass die Frist wegen des überraschenden Eintritts der Erkrankung auch bei geeigneter Vorsorge versäumt worden wäre (vgl. BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2002, 794, und in BFH/NV 2004, 657).
b) Dem Vortrag des Prozessvertreters des Klägers ist zu entnehmen, dass er an einer Grippe sowie Herzrhythmusstörungen erkrankt und in ärztlicher Behandlung war. Es lässt sich aber nicht erkennen, inwiefern ihn diese Erkrankung gehindert hat, rechtzeitige Maßnahmen gegen die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist zu ergreifen. Es wäre angezeigt gewesen, Vorsorgemaßnahmen für den Fall einer unvorhergesehenen Erkrankung zu ergreifen, um zumindest die Stellung eines Fristverlängerungsantrags bei drohendem Ablauf einer Rechtsmittelfrist sicherzustellen. Der Umstand, dass er laut ärztlicher Bescheinigung vom 26. Februar bis zum 6. März 2004 bettlägerig war, reicht zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags somit nicht aus. Denn es ist nicht erkennbar, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers in einer Weise erkrankt war, die es ihm unmöglich gemacht hätte, den Fristablauf zu bemerken und die für die Fristwahrung notwendigen Maßnahmen (Benachrichtigung eines Vertreters, Fristverlängerungsantrag) zu treffen.
Fundstellen