Entscheidungsstichwort (Thema)
Schriftform bestimmender Schriftsätze; Keine Wiedereinsetzung, wenn Organisationsmangel in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten nicht auszuschließen ist
Leitsatz (NV)
- Die Nichtzulassungsbeschwerde ist als bestimmender Schriftsatz schriftlich einzulegen. Dieses Erfordernis ist regelmäßig nur dann erfüllt, wenn die Beschwerdeschrift handschriftlich unterzeichnet ist.
- Für die Wiedereinsetzung ist bei Bevollmächtigten, die die Rechtsberatung berufsmäßig ausüben, die Schilderung der Fristenkontrolle sowie der Postausgangskontrolle nach Art und Umfang erforderlich und durch Vorlage des Fristenkontrollbuchs und des Postausgangsbuchs glaubhaft zu machen.
Normenkette
FGO §§ 56, 116
Tatbestand
I. Dem Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war das klagabweisende Urteil des Finanzgerichts (FG) am 22. Juni 2001 zugestellt worden. Sein Prozessbevollmächtigter erhob mit Schriftsatz vom 19. Juli 2001 ―beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangen am 23. Juli 2001― Nichtzulassungsbeschwerde. Der Schriftsatz war nicht unterschrieben.
Am 16. August 2001 ging beim BFH ein weiterer Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten vom gleichen Tage ein, mit dem dieser namens des Klägers erneut Nichtzulassungsbeschwerde einlegte und außerdem Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragte.
Zur Begründung seines Wiedereinsetzungsantrags trägt der Prozessbevollmächtigte im Wesentlichen Folgendes vor:
Das FG-Urteil sei mit Schriftsatz vom 19. Juli 2001 angefochten worden. Das ordnungsgemäß unterschriebene Schriftstück sei am selben Tag von einer Kanzleimitarbeiterin einkuvertiert, frankiert und bei der Deutschen Post AG Bremen eingeliefert worden. Nach den üblichen Postlaufzeiten hätte der Schriftsatz spätestens am 23. Juli 2001 beim BFH eingehen müssen. Da noch immer keine Eingangsbestätigung des BFH mit der Angabe des Aktenzeichens vorliege, sei nicht auszuschließen, dass die Sendung verloren gegangen sei. Deshalb beantrage er vorsorglich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
Zur Glaubhaftmachung der zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags vorgetragenen Tatsachen legte der Prozessbevollmächtigte eine eidesstattliche Versicherung seiner Mitarbeiterin, einer studentischen Hilfskraft, vor.
Auf den Hinweis des Senatsvorsitzenden vom 3. September 2001, dass die Beschwerdeschrift vom 19. Juli 2001 nicht unterzeichnet und die rechtzeitige Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde deshalb zweifelhaft sei, verwies der Prozessbevollmächtigte auf den Beschluss des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 30. April 1979 GmS-OGB 1/78 (Neue Juristische Wochenschrift ―NJW― 1980, 172). Zudem sei der Fehler durch den Schriftsatz vom 16. August 2001 behoben worden. Der Wiedereinsetzungsgrund sei durch die eidesstattliche Versicherung seiner Mitarbeiterin glaubhaft gemacht worden. Ergänzend dazu könne er erklären, dass bestimmende Schriftsätze in seiner Kanzlei unterschrieben und zusammen mit zwei nicht unterzeichneten Kopien versendet werden. Offenbar sei im Streitfall die unterzeichnete Kopie verloren gegangen.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unzulässig.
1. Die Nichtzulassung der Revision kann innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils angefochten werden (§ 116 Abs. 2 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung ―FGO― i.d.F. des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze ―2.FGOÄndG― vom 19. Dezember 2000, BGBl I 2000, 1757). Diese Frist war im Streitfall am 23. Juli 2001 abgelaufen. Die am 16. August 2001 eingereichte unterschriebene Beschwerdeschrift war sonach verspätet. Die am 23. Juli 2001 rechtzeitig eingereichte, nicht unterschriebene Beschwerdeschrift genügte nicht dem Erfordernis der Schriftlichkeit.
Eine Nichtzulassungsbeschwerde ist schriftlich einzulegen (allgemeine Meinung, u.a. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., 2002, § 116 Rz. 11). Das ergibt sich zwar für die Nichtzulassungsbeschwerde ―anders als für die Revision (§ 120 Abs. 1 FGO) und für die Beschwerde nach § 128 FGO (§ 129 Abs. 1 FGO)― nicht unmittelbar aus dem Gesetz, aber aus dem Umstand, dass es sich um einen bestimmenden Schriftsatz handelt (dazu: Gräber, a.a.O., § 64 Rz. 4., m.w.N.) und wird bestätigt durch die Anordnung in § 116 Abs. 2 Satz 3 FGO, dass der Beschwerdeschrift eine Ausfertigung oder Abschrift des angefochtenen Urteils beigefügt werden soll.
Dem Erfordernis der Schriftlichkeit eines bestimmenden Schriftsatzes ist regelmäßig nur dann genügt, wenn dieser unterschrieben, d.h. handschriftlich unterzeichnet ist (Beschlüsse des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes in NJW 1980, 172, und vom 5. April 2000 GmS-OGB 1/98, NJW 2000, 2340, 2341, sowie des BFH vom 5. November 1973 GrS 2/72, BFHE 111, 278, 285, BStBl II 1974, 242; Klein/Ruban, Der Zugang zum Bundesfinanzhof, 1986, Anm. 146). Die Unterschrift soll die einwandfreie Durchführung des Rechtsstreits zwischen den Beteiligten sicherstellen. Der Große Senat des BFH hat es in der o.a. Entscheidung allerdings für vertretbar gehalten, einen bestimmenden Schriftsatz (Revisionsbegründung) noch als schriftlich begründet anzusehen, wenn zwar nicht der Schriftsatz, aber ein Anschreiben handschriftlich unterzeichnet wird. Ein derartiger Ausnahmesachverhalt ist hier nicht gegeben. Sonstige Umstände, die auf eine Billigung des Schriftsatzes vom 19. Juli 2001 durch den Prozessbevollmächtigten schließen ließen, sind nicht ersichtlich. Sie können weder der Verwendung eines Briefkopfes des Prozessbevollmächtigten noch der Anführung des Diktierzeichens des Prozessbevollmächtigten entnommen werden. Vielmehr ist nicht auszuschließen, dass dieses Schriftstück zunächst nur ein Entwurf sein sollte. Erst die (verspätete) Nachholung der Unterschrift am 16. August 2001 stellte klar, dass der Prozessbevollmächtigte den Inhalt des Schriftsatzes billigte.
Aus der Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes in NJW 1980, 172 lässt sich nichts anderes ableiten. Danach ist das Schriftlichkeitserfordernis als gewahrt anzusehen, wenn der bestimmende Schriftsatz mit einem Beglaubigungsvermerk versehen und der Name des die Verantwortung Tragenden nur in Maschinenschrift wiedergegeben ist, da durch den Beglaubigungsvermerk ausreichend sichergestellt ist, dass das Schriftstück dem Willen des Verantwortlichen entspreche und es mit dessen Willen in den Verkehr gelangt ist. Dieser Beschluss betrifft aber nur Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts oder Behörden, die unmittelbar zur Einreichung bestimmender Schriftsätze bei Gericht befugt sind. Zudem gibt der Schriftsatz vom 19. Juli 2001 den Namen des Prozessbevollmächtigten auch nicht in Maschinenschrift wieder; er ist auch nicht beglaubigt.
2. Die Fristversäumnis kann nicht nach § 56 FGO geheilt werden. Wiedereinsetzung nach dieser Vorschrift würde u.a. voraussetzen, dass der Kläger bzw. der Prozessbevollmächtigte (Gräber, a.a.O., § 56 Rz. 6 ff.) ohne Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten, und die hierfür erheblichen Tatsachen gemäß § 56 Abs. 2 Sätze 1 und 2 FGO spätestens innerhalb von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses substantiiert und in sich schlüssig dargetan hätte (ständige Rechtsprechung, s. z.B. BFH-Beschlüsse vom 25. Februar 1999 X R 102/98, BFH/NV 1999, 1221 und vom 23. Juni 1999 IV B 150/98, BFH/NV 1999, 1614; Gräber, a.a.O., § 56 Rz. 36, m.w.N.). Das ist hier nicht geschehen.
Bei Bevollmächtigten, die die Rechtsberatung berufsmäßig ausüben, ist die Schilderung der Fristenkontrolle sowie der Postausgangskontrolle nach Art und Umfang erforderlich und diese durch Vorlage des Fristenkontrollbuchs und des Postausgangsbuchs glaubhaft zu machen. Denn zu den in Betracht kommenden objektiven präsenten Beweismitteln gehört bei Angehörigen der rechtsberatenden Berufe insbesondere die Eintragung der Frist in ein Fristenkontrollbuch, das Festhalten der Absendung fristwahrender Schriftstücke in einem Postausgangsbuch und das Löschen einer Frist auf der Grundlage der Ausgangseintragung im Postausgangsbuch (vgl. BFH-Entscheidungen vom 7. Dezember 1988 X R 80/87, BFHE 155, 275, BStBl II 1989, 266; vom 5. November 1998 I R 90/97, BFH/NV 1999, 512). Diesen Anforderungen entspricht der Wiedereinsetzungsantrag des Prozessbevollmächtigten, der sich auf den Inhalt der eidesstattlichen Versicherung seiner Bürokraft stützt, nicht. Seinem Vortrag ist nicht zu entnehmen, dass in seiner Kanzlei die Fristenkontrolle und der Postausgang fristgebundener Schriftstücke so organisiert ist, dass er den Ausgang anhand der Eintragung im Postausgangsbuch oder der Löschung im Fristenkontrollbuch nachvollziehen kann (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 1999, 512) und auch im Falle der Einzelanweisung an eine Bürokraft anhand der Eintragungen in den genannten Unterlagen davon ausgehen kann, dass das Schriftstück weisungsgemäß befördert worden ist (BFH-Beschluss in BFH/NV 1999, 512).
Auf den Hinweis des Senatsvorsitzenden, dass der Schriftsatz vom 19. Juli 2001 nicht unterzeichnet sei, hat er lediglich mitgeteilt, die unterzeichnete Beschwerdeschrift sei offenbar verloren gegangen, während er im vorsorglich gestellten Wiedereinsetzungsantrag vom 16. August 2001 darauf hinwies, am 19. Juli 2001 sei die ordnungsgemäß unterschriebene Beschwerdeschrift von seiner Mitarbeiterin ―die diesen Sachverhalt auch an Eides statt versicherte― einkuvertiert, frankiert und zur Post gebracht worden.
Unter diesen Umständen kann ein Organisationsmangel nicht ausgeschlossen werden. Dies muss sich der Kläger zurechnen lassen.
3. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 116 Abs. 5 Satz 2 FGO n.F.).
Fundstellen
Haufe-Index 707450 |
BFH/NV 2002, 669 |