Entscheidungsstichwort (Thema)
Schlüssige Darlegung von Verfahrensmängeln
Leitsatz (NV)
1. Zur schlüssigen Darlegung des Verfahrensmangels eines vom FG übergangenen Beweisantrags gehört u.a. der Vortrag, dass die Nichterhebung des angebotenen Beweises in der mündlichen Verhandlung gerügt wurde oder weshalb diese Rüge nicht möglich war.
2. Ob sich dem FG die Aufklärung bestimmter Tatsachen hätte aufdrängen müssen, obwohl der Beteiligte selbst keinen entsprechenden Beweisantrag gestellt hat, ist unter Berücksichtigung der Tatsachenwürdigung des FG und seines Rechtsstandpunktes zu beurteilen.
Normenkette
AO 1977 §§ 47, 218 Abs. 2; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 116 Abs. 3 S. 3
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches FG (Urteil vom 23.02.2005; Aktenzeichen 2 K 291/98) |
Tatbestand
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) war Eigentümerin eines größeren, aus mehreren Flurstücken bestehenden Geländes, welches sie in den Jahren 1981/1982 teilweise an die Stadt W zu veräußern beabsichtigte. Nachdem dieser Plan wegen Nichtigkeit der Verträge fehlgeschlagen war, beantragte die Klägerin beim Innenminister des Landes Schleswig-Holstein als Enteignungsbehörde die Übernahme der betreffenden Flurstücke durch die Stadt W gegen Entschädigung gemäß § 40 Abs. 2 des Baugesetzbuches (BauGB). Der daraufhin ergangene Beschluss der Enteignungsbehörde wurde sowohl von der Klägerin als auch der Stadt W vor dem Landgericht, Kammer für Baulandsachen, durch Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 217 BauGB angefochten.
In der Zwischenzeit war es für die Jahre 1983 bis 1985 zu Steuerfestsetzungen (Körperschaft- und Vermögensteuer) gegen die Klägerin gekommen, die vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) nicht beigetrieben werden konnten, weshalb im Jahr 1992 zwei Sicherungshypotheken auf den Grundstücken der Klägerin eingetragen worden waren.
Im Verlauf des Verfahrens vor der Kammer für Baulandsachen kam es zu Vergleichsverhandlungen, an denen sich auch das Land Schleswig-Holstein beteiligte. Am 11. Juni 1993 schlossen die Parteien einen gerichtlichen Vergleich, der nicht wirksam wurde, weil von dem aufgenommenen Widerrufsvorbehalt Gebrauch gemacht wurde. Am 7. Februar 1994 schlossen die Parteien erneut einen gerichtlichen Vergleich. Danach verpflichtete sich die Stadt W zur Übernahme mehrerer Flurstücke gegen Entschädigung. Hinsichtlich der Grundpfandrechte sollten das Land Schleswig-Holstein und die Stadt W Löschungsbewilligungen erteilen und hinsichtlich des hinterlegten Entschädigungsbetrags erklären, dass sie insoweit keine Ansprüche geltend machen. Das FA erteilte die Löschungsbewilligungen.
Im März 1997 beantragte die Klägerin beim FA einen Abrechnungsbescheid des Inhalts, dass die Steuerforderungen erloschen seien. Das FA erteilte jedoch einen Abrechnungsbescheid, der offene Steuerschulden der Klägerin in Höhe von … DM auswies, und vertrat die Ansicht, dass der Verzicht auf die Grundpfandrechte keine Auswirkungen auf den Bestand der Steuerforderungen gehabt habe. Der Einspruch der Klägerin blieb ohne Erfolg.
Mit ihrer hiergegen erhobenen Klage machte die Klägerin geltend, dass es im Verlauf der damaligen Verhandlungen zu einer Verständigung am 18. Januar 1993 gekommen sei, wonach die von ihrer Seite verlangte Entschädigung, welche die Stadt W in dieser Höhe nicht habe leisten wollen, unter Verrechnung mit Steuerforderungen sowohl der Stadt W als auch des FA erheblich niedriger festgesetzt worden sei. Der gesamte offene Steuerbetrag sei damals in die Verhandlungen über die Entschädigungszahlung einbezogen worden. Auf der Grundlage dieser Verständigung vom 18. Januar 1993 sei dann der gerichtliche Vergleich vom 11. Juni 1993 geschlossen worden, den sie allerdings widerrufen habe, weil das FA die zuvor vorgenommene Verrechnung mit Steuerschulden nicht mehr habe akzeptieren wollen. In den folgenden Verhandlungen habe letztlich das Kieler Kabinett am 25. Januar 1994 beschlossen, die Verständigung vom 18. Januar 1993 zu reaktivieren. Bei der Vorbereitung des neuen gerichtlichen Vergleichs vom 7. Februar 1994 sei wiederum beabsichtigt gewesen, die offenen Steuerforderungen zu verrechnen, um eine möglichst niedrige Netto-Entschädigung zu zahlen. Mit der Verständigung vom 18. Januar 1993 seien daher die Steuerforderungen des FA erloschen. Ein Vermerk hierüber sei nur deshalb nicht in den gerichtlichen Vergleich vom 7. Februar 1994 aufgenommen worden, weil das Land Schleswig-Holstein nicht Partei des gerichtlichen Verfahrens gewesen sei.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab und urteilte, dass der Abrechnungsbescheid rechtmäßig sei. Die Steuerforderungen des FA seien nicht erloschen, da keiner der in § 47 der Abgabenordnung (AO 1977) aufgeführten Erlöschenstatbestände gegeben sei. Die Forderungen seien nicht durch Zahlung erloschen, denn das FA habe aus dem Hinterlegungsbetrag keine Zahlung erhalten. Mit dem Erteilen der Löschungsbewilligung und der Erklärung, hinsichtlich des Hinterlegungsbetrags keine Ansprüche zu stellen, habe das FA nur auf eine Vollstreckungsmöglichkeit verzichtet, was aber nicht zum Erlöschen der Forderung führe. Auch seien die Schulden nicht erlassen worden. Dem Vergleich vom 7. Februar 1994 lasse sich kein Erlass entnehmen. Es sei nicht konkret vorgetragen worden, zu welchem Zeitpunkt und durch welchen zuständigen Amtsträger ein Erlass ausgesprochen worden sei. Die Steuerschulden seien auch nicht durch Aufrechnung erloschen. Es gebe keine Anhaltspunkte, dass es sich bei dem Vergleich vom 7. Februar 1994 um einen sog. Nettovergleich gehandelt habe und hierbei gegenüber dem Bruttovergleich Steuerschulden der Klägerin berücksichtigt gewesen seien. Auch hinsichtlich dieser Behauptung der Klägerin habe sie nicht konkret dargelegt, welche Person in welchem Zusammenhang und wem gegenüber eine derartige verbindliche Erklärung abgegeben habe. Eine Substantiierung des Vortrags wäre aber insbesondere angezeigt gewesen, weil der Vergleich vom 11. Juni 1993 von Seiten der Klägerin widerrufen worden sei. Es sei nicht dargelegt, inwieweit nach diesem Zeitpunkt konkrete Zusagen des Landes Schleswig-Holstein gemacht worden seien. Die von der Klägerin benannten Zeugen gehörten nicht der Finanzverwaltung an. Auch aus dem Kabinettsbeschluss ergebe sich kein Hinweis auf die behauptete Verrechnung.
Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin, welche sie auf den Zulassungsgrund des Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) stützt. Sie macht geltend, dass das FG die ihm obliegende Sachaufklärungspflicht verletzt habe. Sie habe im finanzgerichtlichen Verfahren schriftsätzlich Zeugen für ihr Vorbringen benannt, dass im Verlauf der Verhandlungen über die am 18. Januar 1993 getroffene Verständigung die für das Flurstück X zu zahlende Entschädigung mit den Körperschaftsteuerforderungen des FA und den Steuer- und Abgabenforderungen der Stadt W verrechnet worden sei. Gleichwohl habe das FG diese Zeugen nicht gehört. Auch dem Antrag, das Protokoll zu dem Kabinettsbeschluss vom 25. Januar 1994 beizuziehen, sei das FG nicht gefolgt.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg, weil der geltend gemachte Zulassungsgrund z.T. nicht schlüssig dargelegt ist, wie es § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO verlangt, jedenfalls aber nicht vorliegt.
Zur schlüssigen Darlegung des Verfahrensmangels eines vom FG übergangenen Beweisantrags gehört nach ständiger Rechtsprechung (u.a.) auch der Vortrag, dass die Nichterhebung des angebotenen Beweises in der mündlichen Verhandlung gerügt wurde oder weshalb diese Rüge nicht möglich war (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 20. April 1989 IV R 299/83, BFHE 157, 106, BStBl II 1989, 727, und BFH-Beschluss vom 17. November 1997 VIII B 16/97, BFH/NV 1998, 608). Da der im finanzgerichtlichen Verfahren geltende Untersuchungsgrundsatz eine Verfahrensvorschrift ist, auf deren Einhaltung ein Beteiligter --ausdrücklich oder durch Unterlassen einer Rüge-- verzichten kann (§ 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung), hat die unterlassene rechtzeitige Rüge den endgültigen Rügeverlust zur Folge (Senatsbeschluss vom 17. Dezember 1999 VII B 183/99, BFH/NV 2000, 597). An entsprechenden Darlegungen der Beschwerde fehlt es im Streitfall; auch aus dem Protokoll über die mündliche Verhandlung vor dem FG ergibt sich kein Hinweis, dass die Klägerin Beweisanträge gestellt oder das Übergehen zuvor schriftsätzlich gestellter Beweisanträge gerügt hat. Vielmehr hat sie den Klageantrag gestellt und nach der Erörterung der Sach- und Rechtslage rügelos zur Sache verhandelt.
Die schlüssige Darlegung des Verfahrensmangels einer Verletzung der dem FG von Amts wegen obliegenden Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) erfordert Angaben, welche Tatsachen das FG mit welchen Beweismitteln noch hätte aufklären sollen und weshalb sich dem FG eine Aufklärung unter Berücksichtigung seines --insoweit maßgeblichen-- Rechtsstandpunktes hätte aufdrängen müssen, obwohl der Kläger selbst keinen entsprechenden Beweisantrag gestellt hat; schließlich, welches genaue Ergebnis die Beweiserhebung hätte erwarten lassen und inwiefern dieses zu einer für den Kläger günstigeren Entscheidung hätte führen können (vgl. Senatsurteil vom 5. Oktober 1999 VII R 152/97, BFHE 191, 140, BStBl II 2000, 93).
Ob die Beschwerde diesen Darlegungsanforderungen gerecht wird, kann offen bleiben. Jedenfalls kann --ausgehend von der tatsächlichen und rechtlichen Würdigung durch das FG-- nicht angenommen werden, dass sich dem FG die seitens der Beschwerde für erforderlich gehaltene Beweisaufnahme hätte aufdrängen müssen.
Wie die Entscheidungsgründe zeigen, hat das FG nämlich keine Anhaltspunkte gesehen, dass die Verständigung vom 18. Januar 1993 in den gerichtlichen Vergleich vom 7. Februar 1994 Eingang gefunden hat, da der im Anschluss an diese Verständigung vom 18. Januar 1993 geschlossene gerichtliche Vergleich vom 11. Juni 1993 von der Klägerin widerrufen worden ist, weil --wie die Klägerin selbst vorgetragen hat-- das FA die Verrechnung mit Steuerschulden nicht mehr akzeptieren wollte und sogar die Erteilung von Löschungsbewilligungen ablehnte. Im Hinblick darauf hat das FG einen substantiierten Vortrag der Klägerin als erforderlich angesehen --und vermisst--, dass ihr auch noch nach diesem Zeitpunkt des Widerrufs des ersten Vergleichs konkrete Zusagen über eine Verrechnung der Steuerforderungen gemacht worden seien. Bezüglich der behaupteten Tatsache, dass Gegenstand des gerichtlichen Vergleichs vom 7. Februar 1994 auch eine Verrechnung mit Steuerforderungen des FA gewesen sei, hat das FG mithin den Inhalt der Verständigung vom 18. Januar 1993 erkennbar als nicht erheblich angesehen. Diese tatsächliche Würdigung des Verlaufs der Verhandlungen ist möglich; dem FG musste es sich daher nicht aufdrängen, zu dem Inhalt der Verständigung vom 18. Januar 1993 die von der Klägerin benannten Zeugen zu hören.
Gleiches gilt, soweit die Beschwerde die unterlassene Beiziehung des Protokolls zum Kabinettsbeschluss vom 25. Januar 1994 bemängelt. Das FG hat die Bedeutung dieses Kabinettsbeschlusses für den gerichtlichen Vergleich vom 7. Februar 1994 allein in der erteilten Zustimmung zur Freigabe der Sicherheiten und dem Verzicht auf Ansprüche an die Hinterlegungssumme durch das FA gesehen. Ausgehend von dieser Folgerung, die ebenfalls möglich ist, musste sich dem FG die Beiziehung des Sitzungsprotokolls nicht aufdrängen, zumal sich --so die Feststellung des FG-- Hinweise auf eine in der Sitzung erörterte Verrechnung der Steuerforderungen nicht ergaben und eine Beweiserhebung daher ein unzulässiger Ausforschungsbeweis gewesen wäre.
Soweit die Beschwerde rügt, dass das FG aus dem Umstand, dass die Stadt W ihre Gewerbesteuerforderungen gegen die Klägerin nicht mehr geltend gemacht habe, keine Schlussfolgerungen bezüglich einer beabsichtigten Verrechnung der Steuerforderungen gezogen habe, bezeichnet sie keinen Verfahrensfehler, sondern wendet sich gegen die materielle Richtigkeit der Entscheidung des FG, was jedoch nicht zur Zulassung der Revision führen kann, weil damit kein Zulassungsgrund gemäß § 115 Abs. 2 FGO dargetan wird.
Fundstellen
Haufe-Index 1461771 |
BFH/NV 2006, 350 |