Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtliches Gehör; Fehlen von Entscheidungsgründen; Übersehen einer Rechtsfrage begründet keine Revisionszulassung wegen Divergenz
Leitsatz (NV)
1. Der Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtet das Gericht, wesentliches Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Er bedeutet jedoch nicht, dass sich das Gericht mit allen ihren Ausführungen in den Entscheidungsgründen detailliert befassen muss.
2. Das Fehlen von Entscheidungsgründen i. S. des § 119 Nr. 6 FGO liegt nur vor, wenn den Beteiligten die Möglichkeit entzogen ist, die getroffene Entscheidung auf ihre Richtigkeit und Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen. Das ist z.B. der Fall, wenn nicht erkennbar ist, welcher Sachverhalt der Entscheidung zugrunde liegt bzw. auf welche rechtlichen Erwägungen sich die Entscheidung stützt.
3. Die Revision ist nicht wegen einer Abweichung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO zuzulassen, wenn das FG eine Rechtsfrage nicht entschieden, sondern übersehen hat.
Normenkette
FGO § 105 Abs. 2 Nr. 5, § 115 Abs. 2 Nrn. 2-3, § 119 Nr. 6, § 96 Abs. 1 S. 1, Abs. 2; GG Art. 103 Abs. 1
Verfahrensgang
FG Köln (Urteil vom 10.11.2004; Aktenzeichen 4 K 4755/01) |
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die gerügten Verfahrensmängel rechtfertigen keine Zulassung der Revision. Eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechsprechung erforderlich.
1. Die Rüge der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger), das Finanzgericht (FG) habe ihren in Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) geregelten Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt und seine Überzeugung nicht aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnen (§ 96 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--), rechtfertigt im Streitfall nicht die Zulassung der Revision.
a) Der Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtet das Gericht, wesentliches Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Er bedeutet jedoch nicht, dass sich das Gericht mit allen ihren Ausführungen in den Entscheidungsgründen detailliert befassen muss. Erst recht verlangt er nicht, dass das Gericht dem Vortrag der Beteiligten die von ihnen zugedachte Bedeutung beimessen müsste (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 119 Anm. 16).
b) Genau darin erschöpft sich aber das Vorbringen der Kläger, wenn sie bemängeln, das FG sei auf ihre Einlassung nicht eingegangen, dass einkommensteuerrechtlich ein Vermögensübergabevertrag des sog. Typus 2 vorliege und deshalb die Versorgungsleistungen nach der Übergangsregelung für Altfälle (Tz. 74 des Schreibens des Bundesministeriums der Finanzen --BMF-- vom 16. September 2004 IV C 3 -S 2255- 354/04, BStBl I 2004, 922) bei der Ermittlung der Einkommensteuer der Kläger für das Streitjahr 1999 als dauernde Last abziehbar seien. Im Übrigen hat das FG in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des BFH erkannt, dass im Streitfall keine Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen vorliegt. Mit den als dauernde Last abziehbaren Versorgungsleistungen wird dem Übergeber sein Anteil an den vom Übernehmer erwirtschafteten Erträgen zugeführt. Diese Ausnahmeregelung greift aber dann nicht ein, wenn der neue Eigentümer deswegen keine Erträge erzielt, weil sich der alte Eigentümer insgesamt die Nutzungsbefugnis und damit die Vermögenserträge vorbehalten hat (vgl. Senatsurteil vom 25. März 1992 X R 196/87, BFHE 167, 408, BStBl II 1992, 1012). Da die Übertragung von Vermögen ausschließlich unter Vorbehalt eines Nutzungsrechts keine Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen ist, hatte das FG keine Veranlassung zu prüfen, ob im Streitfall die Voraussetzungen des sog. Typus 2 vorliegen und die Übergangsregelung gemäß dem BMF-Schreiben in BStBl I 2004, 922 greift.
2. Auch der weitere Einwand der Kläger, das FG-Urteil sei nicht mit Gründen versehen, geht fehl.
Die nach § 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO vorgeschriebene Wiedergabe der Entscheidungsgründe dient der Mitteilung der wesentlichen rechtlichen Erwägungen, die aus der Sicht des Gerichts für die getroffene Entscheidung maßgebend waren. Die Entscheidungsgründe fehlen deshalb dann, wenn den Beteiligten die Möglichkeit entzogen ist, das Urteil auf seine Richtigkeit und Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen (vgl. BFH-Urteil vom 23. Januar 1985 I R 292/81, BFHE 143, 325, BStBl II 1985, 417). Das ist insbesondere der Fall, wenn nicht ersichtlich ist, welcher Sachverhalt der Entscheidung zugrunde liegt oder auf welche rechtlichen Erwägungen sich die Entscheidung stützt (BFH-Beschluss vom 28. August 2001 XI R 87/00, BFH/NV 2002, 201). Die Entscheidungsgründe fehlen auch dann, wenn das FG einen selbständigen prozessualen Anspruch oder ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel mit Stillschweigen übergangen hat (vgl. BFH-Urteil vom 12. Juni 2001 VII R 67/00, BFH/NV 2002, 80; BFH-Beschluss vom 19. Oktober 2001 V B 48/01, BFH/NV 2002, 369, jeweils m.w.N.). Dabei sind unter selbständigen Ansprüchen und selbständigen Angriffs- und Verteidigungsmitteln nur die eigenständigen Klagegründe und solche Angriffs- und Verteidigungsmittel zu verstehen, die den vollständigen Tatbestand einer mit selbständiger Wirkung ausgestalteten Rechtsnorm bilden (BFH-Urteile in BFH/NV 2002, 80, und vom 2. Oktober 2001 IX R 25/99, BFH/NV 2002, 363, jeweils m.w.N.). Die Kläger haben nicht dargetan, dass das angefochtene Urteil an derartigen Mängeln leidet, die zum Fehlen von Entscheidungsgründen führen würden.
Das FG hat in dem angefochtenen Urteil im Tatbestand das Vorbringen der Kläger hinreichend wiedergegeben und in den Rechtsausführungen auf die ständige BFH-Rechtsprechung hingewiesen, wonach der Nutzungswert der Wohnung, die vom Übergeber aufgrund eines vorbehaltenen Nutzungsrechts zu eigenen Wohnzwecken genutzt wird, nicht zu den Erträgen des übergebenen Vermögens beim Übernehmer gehört und der "Nutzungsnachteil", das übergebene Vermögen nicht nutzen zu können, keine "Aufwendung" i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 1 a des Einkommensteuergesetzes (EStG) begründet (vgl. z.B. Senatsurteil vom 26. Juli 1995 X R 91/92, BFHE 178, 339, BStBl II 1995, 836). Eine Auseinandersetzung mit dem sog. "Typus 2" bzw. der Altfallregelung in Tz. 74 des BMF-Schreibens in BStBl I 2004, 922 war nicht veranlasst, da sich die Eltern der Klägerin mittels Nießbrauchs alle Erträge des übergebenen Vermögens vorbehalten haben und deshalb keine Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen vorliegt.
3. Auch § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO (Erfordernis einer Entscheidung des BFH zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung) rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision. Zum einen haben die Kläger dem angeführten abstrakten Rechtssatz der BFH-Entscheidung vom 23. Januar 1992 XI R 6/87 (BFHE 167, 86, BStBl II 1992, 526) keinen abweichenden abstrakten Rechtssatz des FG gegenübergestellt. Die Beschwerdebegründung bezieht sich vielmehr (allein) auf den konkreten Streitfall und rügt, das FG habe nicht geprüft, ob die Voraussetzungen des sog. "Typus 2" vorlägen. Die Zulassung der Revision wegen einer Abweichung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO kommt jedoch dann nicht in Betracht, wenn das FG eine Rechtsfrage nicht entschieden, sondern --zu Recht-- nicht geprüft hat (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 27. Februar 1998 IX B 29/96, BFH/NV 1998, 1064). Zum anderen könnte eine Abweichung des FG-Urteils von der BFH-Entscheidung in BFHE 167, 86, BStBl II 1992, 526 die Zulassung der Revision auch deshalb nicht rechtfertigen, weil dieses Urteil durch den Beschluss des Großen Senats des BFH vom 12. Mai 2003 GrS 1/00 (BFHE 202, 464, BStBl II 2004, 95) überholt ist (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz. 51, m.w.N. aus der Rechtsprechung). Dass die Eltern der Klägerin das Grundstückseigentum bereits im Jahr 1999 übertragen haben, ändert hieran nichts.
4. Das angefochtene FG-Urteil verletzt die Kläger auch nicht in ihrem Grundrecht auf Gleichbehandlung (Art. 3 GG) bzw. in ihrem durch das Rechtsstaatsprinzip geschützten Vertrauen in die bisherige Rechtsprechung und Verwaltungspraxis, da auch im Zeitpunkt der Übertragung des Grundstückseigentums auf die Klägerin nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung die Voraussetzungen einer Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen dann nicht gegeben waren, wenn sich der Übergeber sämtliche Erträge des übergebenen Vermögens vorbehalten hat (vgl. Senatsurteil in BFHE 167, 408, BStBl II 1992, 1012).
5. Die gegen die Entscheidung des FG erhobenen Einwände der Kläger stellen sich im Kern als Einwendungen gegen die materiell-rechtliche Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung dar. Diese können im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde nicht zum Erfolg führen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 8. Januar 2003 X B 23/02, BFH/NV 2003, 504, und vom 22. Juli 2003 X B 97/02, BFH/NV 2004, 52).
Fundstellen
Haufe-Index 1444465 |
BFH/NV 2005, 2236 |