Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Leitsatz (NV)
Bei Angehörigen der rechts- und steuerberatenden Berufe ist eine Erkrankung nur dann ein Grund für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wenn sie entweder plötzlich und unvorhersehbar aufgetreten oder so schwer ist, dass weder die Fristwahrung noch die Bestellung eines Vertreters möglich gewesen ist.
Normenkette
FGO §§ 56, 155, 116 Abs. 3 S. 4; ZPO § 85 Abs. 2
Verfahrensgang
Hessisches FG (Entscheidung vom 15.05.2003; Aktenzeichen 8 K 4866/01) |
Tatbestand
Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) hat gegen das am 5. Juni 2003 zugestellte Urteil rechtzeitig am 4. Juli 2003 Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision eingelegt. Sie hat die Beschwerde bis heute nicht begründet. Die Vorsitzende des VIII. Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) hat die Klägerin mit Schreiben vom 7. August 2003, zugestellt am 12. August 2003, auf den Fristablauf und auf § 56 der Finanzgerichtsordnung (FGO) hingewiesen. Mit einem am 23. September 2003 eingegangenen Telefax hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist für die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde begehrt und mit dem Original dieses Schreibens umfangreiche Unterlagen über seine Erkrankung vorgelegt. Daraufhin hat die Vorsitzende dem Prozessbevollmächtigten mitgeteilt, dass eine Erkrankung, um als Wiedereinsetzungsgrund anerkannt zu werden, entweder plötzlich und unvorhersehbar aufgetreten oder so schwer sein müsse, dass weder die Fristwahrung noch die Bestellung eines Vertreters möglich sei. Eine Stellungnahme ist nicht eingegangen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unzulässig.
1. Die Beschwerde ist nicht, wie gemäß § 116 Abs. 3 Satz 1 FGO erforderlich, innerhalb der Frist von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils begründet worden. Das Vorbringen in der Beschwerdeschrift vom 3. Juli 2003, die von den Gesellschaftern der Betriebsgesellschaft zur Verfügung gestellten Darlehen hätten dazu gedient, die Vermögens- und Ertragslage der Betriebsgesellschaft zu verbessern und damit den Wert der Beteiligung des Besitzunternehmens an der Betriebsgesellschaft zu erhalten oder zu erhöhen, genügt nicht den Anforderungen an die Darlegung (vgl. § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO) eines Zulassungsgrundes i.S. des § 115 Abs. 2 FGO. Die in dem Schriftsatz vom 3. Juli 2003 angekündigte ausführliche Begründung ist nicht eingegangen.
2. Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand konnte nicht entsprochen werden, weil die gesetzlichen Voraussetzungen dafür nicht vorliegen. Gemäß § 56 Abs. 1 FGO ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Nach § 56 Abs. 2 FGO ist der Antrag binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten muss sich ein Beteiligter nach ständiger Rechtsprechung gemäß § 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 der Zivilprozessordnung zurechnen lassen (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 27. August 1999 IX B 61/99, BFH/NV 2000, 78).
Angehörige der rechts- und steuerberatenden Berufe müssen für den Fall der Erkrankung durch organisatorische Maßnahmen die Weiterbearbeitung, zumindest aber die Einhaltung von Fristen sicherstellen (vgl. Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 56 Rz. 20, Stichwort "Büroorganisation"; BFH-Beschluss vom 23. Oktober 2000 VI B 45/99, BFH/NV 2001, 468). Eine Erkrankung muss, um als Wiedereinsetzungsgrund anerkannt zu werden, entweder plötzlich und unvorhersehbar aufgetreten oder so schwer sein, dass weder die Fristwahrung noch die Bestellung eines Vertreters möglich gewesen ist (Gräber/Koch, a.a.O., § 56 Rz. 20, Stichwort "Krankheit").
Im Streitfall ergibt sich aus den vom Prozessbevollmächtigten eingereichten Unterlagen zur Glaubhaftmachung seiner Erkrankung, dass er bereits seit dem 3. Juni 2003 erkrankt ist. Die Frist für die Begründung der Beschwerde ist erst am 5. August 2003 abgelaufen. Insoweit kann nicht von einer plötzlich aufgetretenen Krankheit ausgegangen werden. Da die Erkrankung den Prozessbevollmächtigten auch nicht daran gehindert hat, mit Schriftsatz vom 3. Juli 2003 rechtzeitig die Beschwerde einzulegen, kann auch nicht angenommen werden, dass seine Krankheit so schwer war, dass ihm die Bestellung eines Vertreters für die Anfertigung der Beschwerdebegründung (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2001, 468) oder die Stellung eines Antrags auf Fristverlängerung um einen weiteren Monat (vgl. § 116 Abs. 3 Satz 4 FGO) nicht mehr möglich gewesen wäre.
Im Übrigen würde eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO auch voraussetzen, dass die versäumte Rechtshandlung ―hier: die Einreichung der Beschwerdebegründung― nachgeholt worden wäre (vgl. dazu BFH-Beschlüsse vom 1. Dezember 1986 GrS 1/85, BFHE 148, 414, BStBl II 1987, 264; vom 5. Juli 2002 XI B 165/01, BFH/NV 2002, 1480). Auch dies ist bisher nicht geschehen.
Fundstellen