Entscheidungsstichwort (Thema)

Entbindung vom Richteramt

 

Leitsatz (NV)

Zur Frage der Entbindung von der Ausübung des Amtes als ehrenamtlicher Richter.

 

Normenkette

FGO § 21

 

Tatbestand

Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) ist Geschäftsführer einer Gewerkschaft. Auf Vorschlag der Arbeiterkammer ist er von dem zuständigen Wahlausschuß (§ 23 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) für die Dauer von vier Jahren (1987 bis 1990) zum ehrenamtlichen Richter beim Finanzgericht (FG) gewählt worden. Sein unmittelbar nach der Wahl gestellter Antrag, ihn im Hinblick auf seine berufliche Belastung von diesem Amt zu entbinden, wurde durch rechtskräftigen Beschluß des FG vom Februar 1987 abgelehnt. Auf die Ladungen des Antragstellers zu Sitzungen des Gerichts am 30. Juni 1987, 25. Februar 1988 und 30. August 1988 teilte dieser jeweils mit, er sei wegen eines auswärtigen beruflichen Termins bzw. wegen Urlaubs in Bayern und Österreich an der Teilnahme verhindert. Diese Begründungen wurden vom FG als ausreichende Hinderungsgründe anerkannt.

Mit Schreiben vom August 1988 beantragte der Antragsteller erneut, ihn vom Amt als ehrenamtlichen Richter zu entbinden. Zur Begründung trug er vor, seine berufliche Situation mache es ihm unmöglich, das Amt wahrzunehmen. Er müsse sich verstärkt für seine Kollegen einsetzen. Diese hätten kein Verständnis, wenn er seine Arbeit für sie nicht voll wahrnehmen könne, weil er an einer Sitzung des FG teilnehmen müsse. Er habe auch keinen Stellvertreter, der ihn vertreten könne.

Das FG lehnte den Antrag mit folgender Begründung ab:

Bei den besonderen Härtefällen, wegen derer ein ehrenamtlicher Richter von der weiteren Ausübung seines Amtes nach § 21 Abs. 2 FGO entbunden werden könne, müsse es sich um seltene Ausnahmen handeln. Würden berufliche Gründe hierfür geltend gemacht, so müßten strenge Maßstäbe angelegt werden, die im Streitfall die Entbindung des Klägers von seinem Amt nicht zuließen.

Die ehrenamtlichen Richter beim FG würden im Jahr höchstens zu etwa drei Sitzungen geladen, wobei die zeitliche Beanspruchung jeweils in der Regel nur einen halben Tag dauere. Diese geringfügige Belastung sei im Hinblick auf die hohe Bedeutung des Amtes für die Öffentlichkeit allen ehrenamtlichen Richtern zuzumuten. Auch dem Antragsteller müsse es möglich sein, seine berufliche Tätigkeit mit der Ausübung des Amtes als ehrenamtlicher Richter beim FG in Einklang zu bringen. Die wenigen Sitzungstage würden ihm jeweils spätestens vier Wochen vorher mitgeteilt, so daß er seine beruflichen Aufgaben ohne wesentliche Einschränkungen im Interesse seiner Gewerkschaftskollegen so planen und wahrnehmen könne, daß er daneben noch die richterliche Tätigkeit ausüben könne. Das Amt als ehrenamtlicher Richter sei ein öffentliches Amt, zu dessen Wahrnehmung der Bürger grundsätzlich verpflichtet sei; es gehe der beruflichen Tätigkeit des Amtsinhabers grundsätzlich vor. Das Vorbringen des Antragstellers, er habe in seiner beruflichen Stellung keinen Vertreter, vermöge eine andere Entscheidung nicht zu rechtfertigen. Dasselbe gelte auch für andere ehrenamtliche Richter, wie z. B. selbständige Handwerker, Freiberufler, Geschäftsführer eines Unternehmens usw. Der Senat sei im übrigen der Überzeugung, daß die Aufgaben des Antragstellers als Geschäftsführer einer Gewerkschaft auch in Fällen sonstiger Abwesenheit (z. B. Urlaub, Krankheit, Teilnahme an Gewerkschaftsveranstaltungen), die länger dauere als der halbe Sitzungstag beim FG, von anderen Personen der Gewerkschaftsleitung wahrgenommen werden müßten und sicher auch wahrgenommen würden.

Mit der Beschwerde macht der Antragsteller geltend, ihm sei im Verfahren vor dem FG das rechtliche Gehör verweigert worden. Denn er sei zu einer ausführlichen Stellungnahme - mündlich oder schriftlich - nicht aufgefordert worden. Das Gesetz sehe aber vor, daß der Entscheidung eine mündliche Anhörung des ehrenamtlichen Richters vorausgehen müsse; eine kurze schriftliche Stellungnahme genüge demnach nicht.

Seine Tätigkeit in der Gewerkschaft sei persönlichkeitsbedingt und von entscheidendem Einfluß für seine Zukunft. Kollisionen gewerkschaftlicher Termine mit Sitzungstagen beim FG seien auch dann nicht zu vermeiden, wenn ihm letztere mehrere Wochen im voraus mitgeteilt würden. Aus vielerlei Gründen könnten sich für ihn im beruflichen Bereich Präferenzen ergeben, so z. B. bei einem Betriebsunfall mit schweren Unfallfolgen, spontanen Kollektivmaßnahmen, allen sofort einzuleitenden Streiks etc.

Er habe bereits Mitte 1986 die Arbeiterkammer als vorschlagende Stelle beauftragt, ihn nicht wieder zur Wahl als ehrenamtlicher Richter vorzuschlagen. Nur durch einen Kommunikationsfehler bei der Arbeiterkammer sei er nicht aus der Vorschlagsliste gestrichen worden. Seiner staatsbürgerlichen Pflicht sei er bereits nachgekommen, da er in der vorherigen Wahlperiode vier Jahre als ehrenamtlicher Richter beim FG tätig gewesen sei. Bei seiner beruflichen Situation müsse es möglich sein, andere Bürger als ehrenamtliche Richter zu gewinnen.

Der Antragsteller beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung ihn vom Amt als ehrenamtlichen Richter zu entbinden.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist unbegründet.

Die Entscheidung des FG, den Antragsteller nicht von seinem Amt als ehrenamtlichen Richter zu entbinden, ist weder aus formellen noch aus materiell-rechtlichen Gründen zu beanstanden.

1. Die Rüge, das FG habe dem Antragsteller nicht in ausreichendem Umfang rechtliches Gehör gewährt (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG -, § 96 Abs. 2 FGO), greift schon deshalb nicht durch, weil ein derartiger Verfahrensmangel im Beschwerdeverfahren geheilt werden kann (Beschluß des Bundesfinanzhofs vom 29. September 1976 I B 113/75, BFHE 120, 134, BStBl II 1977, 83). Im übrigen bemerkt der Senat hierzu folgendes:

Nach § 21 Abs. 3 Satz 2 FGO ergeht die Entscheidung über die Entbindung vom Amt in den in Abs. 1 und 2 genannten Fällen auf Antrag des Präsidenten des FG oder des betroffenen Richters durch Beschluß des zuständigen Senats des FG ,,nach Anhörung des ehrenamtlichen Richters". Der ehrenamtliche Richter, der auf Antrag von seinem Amt entbunden werden soll, ist demnach vor der Entscheidung mündlich oder schriftlich anzuhören (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., zu § 21 FGO; Ziemer/Birkholz, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 21 Tz. 16; List in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 21 FGO Anm. 10; Eyermann/Froehler, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 9. Aufl., § 24 Rdnr. 5).

Im Streitfall ist der vorgeschriebenen Anhörung des Antragstellers dadurch Genüge getan, daß der FG-Senat die von ihm in seinem Antragsschreiben auf Amtsentbindung vorgetragenen Gründe zur Kenntnis genommen hat. Darüber hinaus bedurfte es keiner zusätzlichen mündlichen Anhörung des Antragstellers vor dem Senat, da der Antragsteller hier den Antrag auf Entbindung vom Amt selbst gestellt hat. Für diesen Fall besteht im Schrifttum Einigkeit darüber, daß eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist (vgl. die vorgenannten Zitate, insbesondere Ziemer/Birkholz und Eyermann/Froehler, die der Person des Antragstellers - FG-Präsident oder ehrenamtlicher Richter - Bedeutung für die Frage der Notwendigkeit einer mündlichen Verhandlung beimessen). Der Antragsteller hatte mit seinem Antrag Gelegenheit, alle Argumente vorzubringen, die seiner Auffassung nach dafür sprechen, ihn nach § 21 Abs. 2 FGO von der weiteren Ausübung des Amtes als ehrenamtlichen Richter zu entbinden. Andere als die im Antragsschriftsatz angeführten Gründe für die Entbindung vom Amt hat er - neben dem hier gerügten Verfahrensmangel - auch im Beschwerdeverfahren nicht vorgetragen. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs kommt demnach - im Gegensatz zu den Fällen, in denen der Präsident des FG den Antrag gestellt hat (§ 21 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 1 Nr. 1, 3 und 4 FGO) - dann nicht in Betracht, wenn der ehrenamtliche Richter selbst beim FG beantragt hat, ihn von seinem Amt zu entbinden (ebenso List, a.a.O., § 21 FGO Anm. 10).

2. Das FG hat die vom Antragsteller begehrte Entbindung vom Amt als ehrenamtlichen Richter zu Recht abgelehnt.

a) Zur Übernahme und ordnungsmäßigen Wahrnehmung des Amtes als ehrenamtlicher Richter besteht für die nach dem Gesetz hierfür in Betracht kommenden Personen (vgl. §§ 17 bis 19 FGO) eine staatsbürgerliche Verpflichtung. Die Berufung zu dem Amt dürfen nur die in § 20 Abs. 1 FGO aufgeführten Personen ablehnen; gewählte und berufene ehrenamtliche Richter sind nur in den in § 21 Abs. 1 FGO genannten Fällen von ihrem Amt zu entbinden; die Voraussetzungen beider Vorschriften liegen im Streitfall nicht vor. Darüber hinaus kann in besonderen Härtefällen jeweils auf Antrag von der Übernahme des Amts befreit (§ 20 Abs. 2 FGO) und nach der Übernahme von der weiteren Ausübung des Amtes entbunden werden (§ 21 Abs. 2 FGO). In der Person des Antragstellers liegt kein besonderer Härtefall vor, der nach § 21 Abs. 2 FGO die Entbindung von der Ausübung des Amtes rechtfertigt.

Wie das FG zu Recht ausgeführt hat, kommt die Anwendung dieser Vorschrift nur in Ausnahmefällen in Betracht, z. B. bei körperlichen Gebrechen, Gesundheitsschäden und besonderen familiären Verhältnissen (vgl. Ziemer/Birkholz, a.a.O., § 20 Tz. 5). Eine starke berufliche Inanspruchnahme des ehrenamtlichen Richters allein kann regelmäßig nicht als besonderer Härtefall i. S. des § 21 Abs. 2 (§ 20 Abs. 2) FGO anerkannt werden, da dieser Sachverhalt auf eine Vielzahl von Berufstätigen (Arbeitnehmer und Selbständige) zutrifft, das Gesetz aber zum Ziel hat, Personen aus allen der Rechtsordnung verbundenen Bevölkerungskreisen als Laienrichter am finanzgerichtlichen Verfahren mitwirken zu lassen (vgl. zu der ähnlich gelagerten Rechtsfrage der Entbindung vom Schöffenamt an einzelnen Sitzungstagen: Kissel, Gerichtsverfassungsgesetz, § 54 Rdnr. 6, und Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 28. Oktober 1966 5 StR 482/66, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1967, 165). Dem ehrenamtlichen Richter muß im Hinblick auf die Bedeutung seines Amtes für die Rechtsgemeinschaft zugemutet werden, seine Berufstätigkeit möglichst so einzurichten und zu gestalten, daß er daneben noch sein Richteramt ausüben kann. Dabei müssen berufliche Erschwernisse und Nachteile (z. B. Arbeitsrückstände, Nacharbeit außerhalb der gewöhnlichen Arbeitszeiten) in gewissem Umfang hingenommen werden. Das gilt auch für die Beeinträchtigungen, die mit der Wahrnehmung des Richteramtes mittelbar für andere Personen (z. B. für Arbeitgeber, Kunden, Familienangehörige) verbunden sind, wie sie im Streitfall vom Antragsteller hinsichtlich seiner Gewerkschaftskollegen behauptet werden.

Die vom Antragsteller vorgetragene berufliche Situation als Geschäftsführer einer Gewerkschaft vermag nach den vorstehenden Grundsätzen seinen Antrag auf Entbindung von der Ausübung des ehrenamtlichen Richteramts nicht zu begründen. Für die Entscheidung sind die mit der Fortführung des Amtes verbundenen Belastungen und Nachteile für den Antragsteller und die von ihm vertretenen Gewerkschaftsmitglieder abzuwägen gegenüber der Bedeutung des öffentlichen Amtes und dem damit verbundenen Umfang der zeitlichen Inanspruchnahme des Antragstellers. Dabei fällt besonders ins Gewicht, daß die ehrenamtlichen Richter am FG für die Wahrnehmung ihres Amtes in der Regel nur verhältnismäßig wenig Zeit - jährlich etwa drei Sitzungstage - zu opfern haben. Es erscheint dem Senat nicht einleuchtend, daß es dem Antragsteller und seiner Gewerkschaft nicht möglich sein sollte, für diese wenigen Sitzungstage, die zudem noch jeweils vier Wochen vorher mitgeteilt werden, die beruflichen Verpflichtungen so zu organisieren, daß sie zeitlich vorweggenommen, aufgeschoben oder von anderen Personen wahrgenommen werden, auch wenn kein offizieller Vertreter für den Antragsteller bestellt ist. Das FG weist mit Recht darauf hin, daß eine derartige Organisation auch für sonstige Fälle der Abwesenheit des Antragstellers (Urlaub, Krankheit, Teilnahme an Gewerkschaftsveranstaltungen) notwendig ist und hier offensichtlich auch bewältigt wird.

Der Senat läßt bei seiner Entscheidung nicht außer Betracht, daß sich für den Antragsteller als Geschäftsführer einer Gewerkschaft vielfältige Aufgaben ergeben können, die er zum Teil höchstpersönlich wahrnehmen muß. Der Antragsteller hat aber nicht glaubhaft gemacht, daß eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür besteht, daß sich ausgerechnet an den etwa drei Sitzungstagen im Jahr Terminkollisionen infolge nur von ihm selbst wahrnehmbarer Gewerkschaftsaufgaben ergeben werden. Die von ihm angeführten Beispiele des Betriebsunfalls und des Streiks bewegen sich im spekulativen Bereich und können deshalb nicht von Bedeutung sein. Im übrigen ist bei der Entscheidung über die beantragte Entbindung vom Amt zu berücksichtigen, daß der ehrenamtliche Richter, wenn er wirklich und entschuldbar - auch aus beruflichen Gründen - verhindert ist, an der Sitzung des FG teilzunehmen, im jeweiligen Einzelfall vertreten werden kann (vgl. § 27 Abs. 2, § 30 FGO; Tipke/Kruse, a.a.O., § 27 FGO Tz. 2). Das FG hat bisher in mehreren Fällen die vom Antragsteller angezeigten Hinderungsgründe als solche anerkannt.

b) Das Vorbringen des Antragstellers, er habe Mitte 1986 die Arbeiterkammer beauftragt, ihn nicht wieder zur Wahl als ehrenamtlichen Richter vorzuschlagen, kann nunmehr, nachdem der Antragsteller - wenn auch durch einen Kommunikationsfehler der Arbeiterkammer - doch vorgeschlagen, gewählt und in das Amt berufen worden ist, bei der Entscheidung über die Entbindung vom Amt nicht mehr berücksichtigt werden. Dasselbe gilt für den Einwand des Antragstellers, daß es möglich sein müsse, andere Bürger als ehrenamtliche Richter zu gewinnen. Nachdem der Antragsteller in das Amt berufen worden ist, ist der Grundsatz des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) berührt, wenn er das Amt künftig nicht ausüben würde. Die Frage der Entbindung vom Amt als ehrenamtlicher Richter kann deshalb allein auf der Grundlage der hierfür bestehenden gesetzlichen Vorschriften entschieden werden.

Daß der Antragsteller bereits für die Dauer der vorherigen Wahlperiode von vier Jahren ehrenamtlicher Richter am FG war, stellt nach dem Gesetz keinen Entbindungsgrund dar. Nach § 20 Abs. 1 Nr. 3 FGO können nur Personen, die acht Jahre lang als ehrenamtliche Richter beim FG tätig gewesen sind, ihre Berufung ablehnen und unter Berufung auf diesen Ablehnungsgrund beantragen, sie von dem Amt zu entbinden (§ 21 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 1 2. Halbsatz FGO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 416205

BFH/NV 1989, 529

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