Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulassungsfreie Revision
Leitsatz (NV)
Eine zulassungsfreie Revision gemäß § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO wegen mangelnder Vertretung des Beteiligten im Verfahren ist nicht gegeben, wenn der Kläger in der mündlichen Verhandlung nicht von dem seine Rechtssache bearbeitenden Rechtsanwalt, sondern wegen dessen Verhinderung von einem anderen Rechtsanwalt der bevollmächtigten Sozietät vertreten wurde.
Normenkette
FGO § 116 Abs. 1 Nr. 3
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war Geschäftsführer einer GmbH, die ihrerseits Komplementärin einer GmbH & Co. KG (KG) war. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) nahm ihn wegen rückständiger Lohnsteuer und Lohnkirchensteuer der KG gemäß §§ 69, 34 der Abgabenordnung (AO 1977) als Haftungsschuldner in Anspruch. Auf die Klage gegen den Haftungsbescheid in der Gestalt der Einspruchsentscheidung beraumte das Finanzgericht (FG) - nach vorausgegangener mehrmaliger Terminverlegung auf Antrag des Klägers - Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 17. September 1987 an. Die Ladung zum Termin wurde den Prozeßbevollmächtigten des Klägers - einer aus zwei Rechtsanwälten und einem Steuerberater bestehenden Sozietät - am 17. August 1987 zugestellt. Der die Rechtssache bearbeitende Rechtsanwalt L beantragte daraufhin die Verlegung des Termins mit der Begründung, daß er an diesem Tage in eigener Sache einen Beweisaufnahmetermin vor dem Oberlandesgericht (OLG) wahrzunehmen habe, zu dem das persönliche Erscheinen der Beteiligten angeordnet worden sei. Die Wahrnehmung des FG-Termins des Klägers durch einen anderen Vertreter der bevollmächtigten Sozietät sei weder zumutbar noch sachdienlich.
Der Vorsitzende des FG-Senats lehnte den Antrag auf Verlegung dieses Termins ab. Er wies darauf hin, daß es sich bereits um den dritten Terminverlegungsantrag handele und daß die Verhinderung des Sachbearbeiters kein ausreichender Grund sei, den anberaumten Termin aufzuheben, solange für andere Rechtsanwälte der Sozietät ausreichend Gelegenheit zur Einarbeitung in den Prozeßstoff verbleibe.
Der Kläger wurde sodann in der mündlichen Verhandlung vom 17. September 1987 durch den der bevollmächtigten Sozietät angehörenden Rechtsanwalt G vertreten, der infolge falscher Angabe des Sitzungszimmers in der Ladungsschrift erst nach Beginn der Verhandlung im Sitzungsraum eintraf. Das FG setzte den Haftungsbetrag von 21 871,98 DM auf 18 233,10 DM herab und wies die Klage im übrigen ab.
Der Kläger legte gegen das Urteil des FG Revision und für den Fall, daß diese nicht zulässig sein sollte, Nichtzulassungsbeschwerde ein. Er machte geltend, die Revision sei - auch ohne besondere Zulassung - zulässig, weil ein wesentlicher Verfahrensmangel i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) vorläge. Er sei in dem Termin zur mündlichen Verhandlung nicht sachgerecht vertreten gewesen. Das FG hätte auf den von seinem Prozeßbevollmächtigten gestellten Antrag hin den Termin verlegen müssen, da hierfür erhebliche Gründe angeführt worden seien. Das Verhalten des FG stelle zugleich eine Verletzung des rechtlichen Gehörs dar. Die genannten Verfahrensfehler ergäben sich auch daraus, daß er (der Kläger) an der Verhandlung nicht habe teilnehmen können, weil sein Bruder wenige Tage vorher bei einem Flugzeugabsturz tödlich verunglückt sei. Seine Teilnahme an der Verhandlung sei aber wichtig gewesen, wie sich daraus ergebe, daß das FG selbst in seiner vorangegangenen - auf Antrag des Klägers später wieder aufgehobenen - Ladung zum 27. August 1987 ausgeführt habe: ,,Das persönliche Erscheinen des Klägers ist ratsam." Der Kläger hält die Vorentscheidung auch materiell-rechtlich für fehlerhaft.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist gemäß § 124, § 126 Abs. 1 FGO durch Beschluß zu verwerfen, weil sie unzulässig ist. Nach Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) i. d. F. des Gesetzes zur Beschleunigung verwaltungsgerichtlicher und finanzgerichtlicher Verfahren vom 4. Juli 1985 (BGBl I, 1274) findet abweichend von § 115 Abs. 1 FGO die Revision nur statt, wenn das FG oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof (BFH) sie zugelassen hat. Das FG hat die Revision im Streitfall nicht zugelassen; der BFH hat die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers durch den Beschluß des Senats vom heutigen Tage VII B 192/87 als unzulässig verworfen. Ein Fall der zulassungsfreien Revision wegen wesentlicher Verfahrensmängel gemäß § 116 FGO liegt entgegen der Auffassung des Klägers nicht vor.
Nach § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO bedarf es einer Zulassung zur Einlegung der Revision nicht, wenn als wesentlicher Mangel des Verfahrens gerügt wird, daß ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war, außer wenn er der Prozeßführung ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat. Die Weigerung des FG, dem Antrag des Prozeßvertreters auf Vertagung des Termins zur mündlichen Verhandlung stattzugeben, begründet nach dem Beschluß des VIII. Senats des BFH vom 11. April 1978 VIII R 215/77 (BFHE 125, 28, BStBl II 1978, 401) selbst dann nicht die Rüge der mangelnden Vertretung im Verfahren (§§ 116 Abs. 1 Nr. 3, 119 Nr. 4 FGO), wenn die mündliche Verhandlung ohne Anwesenheit des ordnungsgemäß geladenen Prozeßvertreters durchgeführt wird. Der Senat schließt sich dieser Rechtsauffassung an (ebenso: Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 116 FGO Tz. 18).
Im Streitfall kann aber von einem Vertretungsmangel schon deshalb keine Rede sein, weil der Kläger in der mündlichen Verhandlung durch Rechtsanwalt G als einem Angehörigen der Sozietät, der er Prozeßvollmacht erteilt hatte, vertreten war. Dem steht nicht entgegen, daß Rechtsanwalt L, der Sachbearbeiter für die Rechtssache des Klägers in der Sozietät, verhindert war, den FG-Termin wahrzunehmen. Denn seinem Vertreter, Rechtsanwalt G, stand seit dem Eingang der die Terminverlegung ablehnenden Verfügung des FG vom 19. August 1987 genügend Zeit zur Verfügung, sich in den Prozeßstoff einzuarbeiten.
Die ordnungsgemäße Vertretung des Klägers wird auch nicht dadurch berührt, daß Rechtsanwalt G infolge eines Fehlers in der Ladungsschrift erst nach Beginn der mündlichen Verhandlung im Sitzungszimmer erschienen ist. Nach dem Sitzungsprotokoll hat der Berichterstatter den wesentlichen Inhalt der Akten erst nach seinem Erscheinen vorgetragen, und dem Rechtsanwalt wurde Gelegenheit gegeben zur Erörterung der Streitsache in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht und zur Stellung des Klageantrags. Schließlich scheitert die Verfahrensrüge des § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO nach Halbsatz 2 dieser Vorschrift dann, wenn der Beteiligte der Prozeßführung ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat. Das trifft im Streitfall zu. Aus dem Sitzungsprotokoll ergibt sich nicht, daß Rechtsanwalt G der Prozeßführung widersprochen hätte; das wird auch von der Revision nicht behauptet. Da der Kläger im Verfahren ordnungsgemäß vertreten war, braucht der Senat nicht zu prüfen, ob nach den vorgetragenen Gründen gemäß § 155 FGO, § 227 der Zivilprozeßordnung (ZPO) eine Terminverlegung durch das FG geboten gewesen wäre.
Nach der Rechtsprechung des BFH (BFHE 125, 28, BStBl II 1978, 401 und Urteil vom 5. Dezember 1979 II R 56/76, BFHE 129, 297, BStBl II 1980, 208) könnte die Ablehnung der Terminverlegung durch den Vorsitzenden des FG-Senats allenfalls die Rüge der Versagung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG -) begründen, die der Kläger ebenfalls erhoben hat. Dieser Verfahrensmangel ist zwar in § 119 Nr. 3 FGO als absoluter Revisionsgrund aufgeführt; er zählt aber nicht zu den besonders schweren Verfahrensverstößen i. S. des § 116 Abs. 1 FGO. Die Revision ist demnach ohne Zulassung nicht statthaft (vgl. BFHE 125, 28, BStBl II 1978, 401, und Tipke/Kruse, a. a. O., § 116 FGO Tz. 8).
Im übrigen liegt auch eine Verletzung des rechtlichen Gehörs des Klägers nicht vor, weil dieser in der mündlichen Verhandlung durch Rechtsanwalt G als seinen Prozeßbevollmächtigten ordnungsgemäß vertreten war. Das FG konnte auch ohne die Anwesenheit des Klägers im Termin verhandeln und entscheiden (§ 91 Abs. 2 FGO). Der Hinweis in der vorausgegangenen, später wieder aufgehobenen Ladung zum 27. August 1987, daß das persönliche Erscheinen des Klägers ,,ratsam" sei, steht dem nicht entgegen. Die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs hätte im übrigen auch schon vor dem FG geltend gemacht werden müssen (vgl. Ruban in Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 119 Rz. 12). Der Prozeßbevollmächtigte des Klägers hat dies ausweislich des Sitzungsprotokolls nicht getan. Nach der Revisionsbegründung hat er den Kläger in der mündlichen Verhandlung wegen seiner Abwesenheit - was nicht erforderlich gewesen wäre - lediglich entschuldigt.
Fundstellen
Haufe-Index 415686 |
BFH/NV 1988, 719 |