Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulassungsfreie Revision; Fehlen der Begründung
Leitsatz (NV)
1. Das Übergehen eines nach dem Tatbestand gestellten Antrages ist nicht mit der Revisionsrüge, sondern mit dem Antrag auf Urteilsergänzung geltend zu machen.
2. Das Übergehen eines das Kostenfestsetzungsverfahren betreffenden Antrages ist kein Mangel der rechtlichen Begründung i. S. d. § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO.
Normenkette
FGO § 116; GKG § 8
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches FG |
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die im Streitjahr 1990 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Im Hinblick auf anhängige Verfassungsbeschwerden wegen der Höhe des Grundfreibetrages erklärte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) den Einkommensteuerbescheid 1990 insoweit gemäß § 165 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) für vorläufig. Die hiergegen gerichtete Klage setzte das Finanzgericht (FG) gemäß § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) aus, nachdem das FA den angefochtenen Einkommensteuerbescheid geändert und ihn -- wegen entsprechender Verfassungsbeschwerden gegen die beschränkte Abziehbarkeit von Vorsorgeaufwendungen -- auch insoweit gemäß § 165 Abs. 1 AO 1977 für vorläufig erklärt und die Kläger hiergegen Einspruch eingelegt hatten.
Das FA teilte dem FG im Oktober 1992 mit, der Einspruch gegen den geänderten Einkommensteuerbescheid 1990 sei am 26. August 1992 zurückgewiesen und hiergegen beim FA keine Klage erhoben worden. Auf einen entsprechenden Hinweis im Verfahren des FG machten die Kläger am 5. November 1992 geltend, sie hätten bereits mit Schriftsatz vom 23. September 1992 Klage gegen die Zurückweisung ihres Einspruchs gegen den geänderten Einkommensteuerbescheid erhoben und beantragten insoweit Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, sofern der Schriftsatz nicht oder nicht rechtzeitig an das FG gelangt sein sollte.
Diesen Schriftsatz, der den Rechtsstreit der Kläger "wegen Einkommensteuer 1990" betrifft, sich allgemein mit der Zulässigkeit einer vorläufigen Festsetzung gemäß § 165 Abs. 1 AO 1977 befaßt und in dem die Kläger ankündigen, "in der mündlichen Verhandlung zusätzlich" einen Klageantrag stellen zu wollen, hatte das FG dem bereits anhängigen Verfahren gegen den Einkommensteuerbescheid 1990 zugeordnet.
Ob dieser Schriftsatz vom 23. September 1992, wie die Kläger meinen, als Klage gegen den Änderungsbescheid angesehen werden kann und ob andernfalls Wiedereinsetzung in die Klagefrist zu gewähren wäre, war Gegenstand des der vorliegenden Revision vorausgegangenen Klageverfahrens.
In der mündlichen Verhandlung vom 21. April 1993 lehnten die Kläger mit Erfolg den Richter am FG A ab. Daraufhin setzte der Vorsitzende als neuen Termin für die mündliche Verhandlung den 9. Juni 1993 fest. Der an die Stelle des ausgeschiedenen Richters tretende Berichterstatter forderte die Kläger nunmehr auf, einen der Verfahrenssituation entsprechenden Antrag zu stellen und mitzuteilen, ob auf mündliche Verhandlung verzichtet werde. Am Terminstag, kurz vor Beginn der Sitzung, ging der Schriftsatz des Prozeßbevollmächtigten der Kläger ein, in dem dieser den Verzicht auf mündliche Verhandlung erklärte und gleichzeitig ankündigte, in der mündlichen Verhandlung beabsichtige er, folgende Anträge zu stellen:"
1. Die Klage vom 23. 9. 1992 ist zulässig.
2. Die Einspruchsentscheidung vom 26. 8. 1992 und der Steuerbescheid vom 25. 5. 1992 sind ersatzlos aufzuhebn.
3. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren ist für notwendig zu erklären.
4. Die Kosten des Verfahrens sind dem Beklagten aufzuerlegen, hilfsweise
sind zumindest die Kosten der mündlichen Verhandlung am 21. 4. 1993 nach § 8 GKG nicht zu erheben."
Das FG hat auf die mündliche Verhandlung, zu der weder die Kläger noch deren Prozeßbevollmächtigter erschienen sind, die Klage als unzulässig abgewiesen. Es war der Auffassung, im Wege der Auslegung könne erst der lange nach Ablauf der Klagefrist eingegangene Schriftsatz des Prozeßbevollmächtigten vom 5. November 1992 als Klage angesehen werden. Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung lägen nicht vor. Das FG hat die Revision nicht zugelassen. Die Kläger haben keine Nichtzulassungsbeschwerde erhoben.
Mit der Revision rügen sie Verletzung des Art. 103 des Grundgesetzes (GG) und einen Verfahrensmangel i. S. des § 119 Nr. 6 FGO.
Zur Begründung tragen sie vor, das angefochtene Urteil sei deshalb nicht mit Gründen versehen, weil das FG den selbständigen Antrag der Kläger, die Kosten der mündlichen Verhandlung am 21. April 1993 nicht zu erheben, mit Stillschweigen übergangen habe. Die Kläger hätten zumindest einen Anspruch aus Art. 103 GG darauf, die Gründe dafür zu erfahren, weshalb ihnen die Kosten auch für diese allein in der Sphäre des FG begründete mündliche Verhandlung auferlegt worden seien.
Gleichzeitig rügen sie für das Revisionsverfahren die Verletzung des gesetzlichen Richters (Art. 101 GG). Aus dem senatsinternen Geschäftsverteilungsplan ergebe sich nicht der Berichterstatter in dieser Sache. Wegen der Überbesetzung des Senats könne der Senatsvorsitzende durch Terminierung die Besetzung der Richterbank beeinflussen und einen Richter seiner Wahl aussuchen. Eine weitere Revisionsbegründung haben die Kläger nicht eingereicht, obwohl die Revisionsbegründungsfrist auf deren Antrag mehrfach, zuletzt bis zum 31. Januar 1994, verlängert worden ist.
Die Kläger beantragen sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen. Zudem beantragen sie, die Kosten für das Revisionsverfahren gemäß § 8 des Gerichts kostengesetzes (GKG) nicht zu erheben.
Entscheidungsgründe
I. Der Senat ist ordnungsgemäß besetzt. Der Senat verweist zur Vermeidung von Wiederholungen auf seinen Beschluß vom 22. März 1994 X R 66/93, BFH/NV 1994, 499.
II. Die Revision ist unzulässig. Sie ist gemäß §§ 124, 126 Abs. 1 FGO durch Beschluß zu verwerfen.
Gegen das Urteil des FG steht den Beteiligten die Revision zu, wenn das FG oder der Bundesfinanzhof (BFH) sie zugelassen hat (§ 115 Abs. 1 FGO i. V. m. Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs -- BFHEntlG --).
Einer Zulassung der Revision bedarf es nicht, wenn einer der in § 116 Abs. 1 FGO bezeichneten Verfahrensmängel gerügt wird. Im Streitfall ist keine dieser Voraussetzungen erfüllt.
1. Das FG hat die Revision nicht zugelassen. Nichtzulassungsbeschwerde haben die Kläger nicht eingelegt.
2. Die Revision ist auch nicht nach § 116 FGO statthaft. Zwar haben die Kläger einen Verfahrensmangel nach § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO geltend gemacht. Die zulassungsfreie Revision ist jedoch nur statthaft, wenn innerhalb der Revisionsbegründungsfrist ein Mangel i. S. des § 116 Abs. 1 FGO schlüssig gerügt worden ist (ständige Rechtsprechung, z. B. BFH-Urteil vom 29. Juni 1989 V R 112/88, VB 72/89, BFHE 157, 308, 310, BStBl II 1989, 850; für viele z. B. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 116 Rz. 3, m. w. N.). Dazu müssen die zur Begründung der Rüge vorgetragenen Tatsachen -- als wahr unterstellt -- die Schlußfolgerung auf den behaupteten Verfahrensmangel rechtfertigen.
a) Die Vorschrift des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO erfaßt Mängel der rechtlichen Begründung der vom FG im angefochtenen Urteil getroffenen Entscheidung. Ein Urteil ist zwar auch dann -- teilweise -- nicht mit Gründen versehen, wenn das Gericht einen selbständigen Anspruch oder ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel mit Stillschweigen übergangen hat (ständige Rechtsprechung z. B. BFH-Urteil vom 15. April 1986 VIII R 325/84, BFHE 147, 101, 103, BStBl II 1987, 195; zum ganzen z. B. Gräber/Ruban, a. a. O., § 119 Rz. 25). Dabei muß es sich allerdings um einen eigenständigen Klagegrund bzw. ein eigenständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel handeln, das den vollständigen Tat bestand einer mit selbständiger Wirkung ausgestatteten Rechtsnorm bildet. "Selbständiger Anspruch" ist jedoch nicht im Sinne eines selbständigen prozessualen Begehrens zu verstehen. Das Übergehen eines nach dem Tatbestand gestellten Antrags ist nicht mit der Revisionsrüge des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO, sondern mit dem fristgebundenen Antrag auf Urteilsergänzung nach § 109 FGO geltend zu machen (z. B. BFH-Beschluß vom 18. April 1991 VIII R 82--83/89, BFH/NV 1992, 670, m. w. N.), ungeachtet dessen, daß über den Antrag auf Urteilsergänzung selbst durch Urteil zu entscheiden ist (vgl. hierzu BFH- Beschluß vom 6. September 1991 VI B 60/91, BFH/NV 1992, 186). Entscheidungen, die wie die Entscheidung nach § 8 GKG das Kostenfestsetzungsverfahren betreffen, können selbständig nachgeholt werden; über sie muß nicht notwendig im Urteil entschieden werden (vgl. Gräber /von Groll, a. a. O., § 109 Rz. 3). Kann schon das Übergehen eines durch Urteil zu bescheidenden Antrages nicht mit der Revisionsrüge nach § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO gerügt werden, gilt dies erst recht für das Übergehen eines das Kostenfestsetzungsverfahren betreffenden Antrags.
b) Unzulässig ist das Vorbringen der Kläger auch, soweit sie Verletzung des rechtlichen Gehörs rügen. Die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs gehört nicht zu den in § 116 Abs. 1 FGO abschließend aufgezählten Verfahrensmängeln (ständige Rechtsprechung, z. B. BFH in BFHE 157, 308, 311, BStBl II 1989, 850, mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen; für viele z. B. Gräber /Ruban, a. a. O., § 116 Rz. 1 m. w. N.).
Fundstellen
Haufe-Index 419963 |
BFH/NV 1995, 251 |