Entscheidungsstichwort (Thema)
Anhörungsrüge
Leitsatz (NV)
1. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist nur verletzt, wenn sich aus den besonderen Umständen des einzelnen Falles deutlich ergibt, dass das Gericht ein tatsächliches Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat.
2. Die Anhörungsrüge dient nicht dazu, die angegriffene Entscheidung in der Sache in vollem Umfang nochmals zu überprüfen. Auch eine Begründungsergänzung kann mit der Anhörungsrüge nicht herbeigeführt werden.
3. Die von einem fachkundigen Prozessvertreter erhobene Anhörungsrüge kann nicht in eine Gegenvorstellung umgedeutet werden.
Normenkette
FGO § 108 Abs. 1-2, § 121 S. 1, § 133a
Gründe
1. Die Anhörungsrüge ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 133a Abs. 4 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
a) Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--) verpflichtet das entscheidende Gericht nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- (z.B. Beschluss vom 7. Dezember 2006 2 BvR 722/06, Deutsches Verwaltungsblatt 2007, 253), die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen.
Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Parteivorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Die Gerichte sind dabei nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen, namentlich nicht bei letztinstanzlichen, mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht mehr angreifbaren Entscheidungen (BVerfG-Beschlüsse vom 15. April 1980 1 BvR 1365/78, BVerfGE 54, 43; vom 22. November 1983 2 BvR 399/81, BVerfGE 65, 293, m.w.N.).
Art. 103 Abs. 1 GG ist erst verletzt, wenn im Einzelfall klar erkennbar ist, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Es müssen daher im Einzelfall besondere Umstände deutlich gemacht werden, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (BVerfG-Beschluss vom 25. März 1992 1 BvR 1430/88, BVerfGE 85, 386, m.w.N.). Dabei rechtfertigt allein der Umstand, dass sich die Entscheidungsgründe mit einem bestimmten Gesichtspunkt nicht ausdrücklich auseinander setzen, grundsätzlich nicht die Annahme, das Gericht habe den Gesichtspunkt unter Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör übergangen (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 29. November 2005 X S 18/05, BFH/NV 2006, 595, m.w.N., und vom 16. Januar 2007 II S 14/06, BFH/NV 2007, 937, m.w.N.).
b) Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben. Der Kläger, Revisionskläger und Rügeführer (Kläger) wendet sich im Kern gegen die Rechtsauffassung des Senats im Urteil vom 15. März 2007 und rügt, der Senat habe in der Sache fehlerhaft entschieden. Mit diesem Vorbringen kann der Kläger im Rahmen der Anhörungsrügenach § 133a FGO jedoch nicht gehört werden (BFH-Beschlüsse vom 17. Juni 2005 VI S 3/05, BFHE 209, 419, BStBl II 2005, 614; vom 21. April 2006 III S 9/06, BFH/NV 2006, 1500; vom 31. Januar 2007 III S 33/06, BFH/NV 2007, 953). Denn die Anhörungsrüge dient nicht dazu, die angegriffene Entscheidung in der Sache in vollem Umfang nochmals zu überprüfen; mit der Anhörungsrüge kann auch keine Begründungsergänzung herbeigeführt werden (BFH-Beschluss in BFHE 209, 419, BStBl II 2005, 614, m.w.N.).
aa) Die Rüge, der Senat habe das Vorbringen des Klägers zum Merkmal der Offenkundigkeit i.S. des § 125 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) eines schwerwiegenden Mangels des Steuerbescheids vom 19. November 1990 nicht zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen, geht fehl. Der Senat hat in seinem Urteil die Offenkundigkeit des Bestimmtheitsmangels in ausdrücklicher Bezugnahme auf das Vorbringen des Klägers, die Zusammenfassung aller Zuwendungen in einem Bescheid habe jedenfalls noch im Jahr 1992 der ständig geübten und von leitenden Beamten der Oberfinanzdirektion und des Landesfinanzministeriums gebilligten Praxis der Finanzverwaltung entsprochen, bejaht. Der Senat hat damit das Vorbringen des Klägers zur Kenntnis genommen und auch in Erwägung gezogen, jedoch nicht die vom Kläger insoweit vertretene Rechtsauffassung geteilt. Dies gilt, ohne dass dies in den Urteilsgründen noch zusätzlich auszuführen war, auch für das weitere Vorbringen des Klägers, der Vorsitzende Richter des Finanzgerichts habe im Rahmen eines Erörterungstermins im Jahr 2000 die Nichtigkeit des Bescheids ebenfalls nicht erkannt. Auch soweit der Kläger eine fehlende Auseinandersetzung mit "Kernaussagen" seines Revisionsvorbringens rügt, macht er im Grunde geltend, der Senat habe in der Sache fehlerhaft entschieden.
Zur Begründung seiner Anhörungsrüge kann sich der Kläger nicht auf den Inhalt der in derselben Sache ergangenen Gerichtsbescheide des Senats vom 31. August 2005 und 13. September 2006 berufen. Diese Gerichtsbescheide gelten, da gegen sie jeweils rechtzeitig mündliche Verhandlung beantragt worden war, als nicht ergangen (§ 121 Satz 1 i.V.m. 90a Abs. 3 FGO).
bb) Aus dem Vorbringen des Klägers zur Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 5 AO ergibt sich ebenfalls keine Verletzung rechtlichen Gehörs. Der Kläger macht mit der gerügten "Nichtzurkenntnisnahme des Senats von entscheidungserheblichem Sachverhalt" lediglich eine fehlerhafte Anwendung des § 171 Abs. 5 AO geltend. Der Senat hat für den Umfang der Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 5 AO darauf abgestellt, auf welche Steueransprüche sich die Prüfung während ihres Verlaufs tatsächlich erstreckt hat. Soweit er in Würdigung des Steuerfahndungsberichts vom 21. Dezember 1989 zum Ergebnis gelangt ist, vor Ablauf der Festsetzungsfrist seien Ermittlungshandlungen hinsichtlich aller schenkungsteuerlichen Sachverhalte vorgenommen worden, ist der Senat dem Vorbringen des Klägers bewusst nicht gefolgt. Daraus ergibt sich jedoch keine Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs. Dies gilt auch insoweit, als es der Senat als unschädlich angesehen hat, dass sich der Steuerfahndungsbericht auf eine Zusammenfassung der jährlichen Zuwendungssummen beschränkt und für die Einzelzuwendungen des Klägers auf anderweitige Unterlagen verweist.
2. Soweit der Kläger nicht die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, sondern einen Verstoß gegen das Willkürverbot geltend macht, ist die Rüge unzulässig. Eine --sinngemäße-- Anwendung des § 133a FGO in Fällen der Verletzung des Willkürverbots kommt nicht in Betracht (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 133a Rz 3, m.w.N.). Eine --wie hier-- von fachkundigen Prozessvertretern ausdrücklich als solche erhobene Anhörungsrüge kann auch nicht in eine Gegenvorstellung umgedeutet werden (vgl. auch BFH-Beschluss vom 21. Dezember 2006 V S 33/06, BFH/NV 2007, 747, m.w.N. zum umgekehrten Fall der Umdeutungsmöglichkeit einer Gegenvorstellung in eine Anhörungsrüge). Es ist überdies zweifelhaft, ob eine Gegenvorstellung neben der gesetzlich geregelten Anhörungsrüge (§ 133a FGO) überhaupt noch statthaft ist (dazu Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Vor §§ 115 bis 134 FGO Rz 55 ff.). Im Übrigen ergibt sich aus dem Vorbringen des Klägers, mit dem er sich im Kern gegen die Rechtsauffassung des Senats wendet, keine Verletzung des Willkürverbots.
Fundstellen
Haufe-Index 1818348 |
BFH/NV 2007, 2302 |