Entscheidungsstichwort (Thema)
Ladung zur mündlichen Verhandlung mit Postzustellungsurkunde; Anhaltspunkte für einen Gegenbeweis
Leitsatz (NV)
Von einer ordnungsgemäßen Ladung zur mündlichen Verhandlung ist auch dann auszugehen, wenn der Kläger geltend macht, die Ladung nicht erhalten zu haben, diese jedoch laut Postzustellungsurkunde in einen zur Wohnung gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung eingelegt wurde, weil der Postbedienstete die Empfänger in der Wohnung nicht angetroffen hat. Eine andere Beurteilung kommt nur dann in Betracht, wenn Anhaltspunkte für einen Gegenbeweis bestehen.
Normenkette
FGO § 96 Abs. 2, § 105 Abs. 2, § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 119 Nr. 3; GG Art. 103 Abs. 1; ZPO § 176 Abs. 2, §§ 180, 182 Abs. 1 S. 2, § 418
Verfahrensgang
Hessisches FG (Urteil vom 03.03.2009; Aktenzeichen 9 K 4828/99) |
Tatbestand
Rz. 1
I. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) sind Eheleute. Der Kläger erzielte in den Streitjahren (1993 bis 1997) u.a. Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft.
Rz. 2
Da die Kläger keine Einkommensteuererklärungen abgaben (1994 bis 1997) bzw. die verspätet eingereichte Erklärung keine Anlage L enthielt (1993), schätzte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt) die Höhe der Einkünfte. Gegen die darauf beruhenden Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre legten die Kläger jeweils Einspruch ein. Die Einsprüche begründeten sie jedoch nicht.
Rz. 3
Während des Klageverfahrens legten die Kläger nachträglich erstellte Bilanzen für den land- und forstwirtschaftlichen Betrieb sowie Einnahmen-Überschussrechnungen bezüglich eines Gewerbebetriebs … vor. Das Finanzgericht (FG) beauftragte einen Prüfungsbeamten. Dieser gelangte zu der Auffassung, dass die Buchführung nicht ordnungsgemäß war und ermittelte abweichende Gewinne.
Rz. 4
Mit Schreiben vom 16. Januar 2009 wies das FG darauf hin, dass beabsichtigt sei, am 3. März 2009 mündlich zu verhandeln; eine Ladung werde demnächst erfolgen. Den Klägern werde letztmals die Gelegenheit gegeben, weitere Betriebsausgaben nachzuweisen.
Rz. 5
Am 21. Januar 2009 wurden die Kläger zum 3. März 2009, 10:30 Uhr, geladen. Die Ladung enthielt den Hinweis, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden könne. Ausweislich der Postzustellungsurkunden versuchte der Postbedienstete die Ladungen jeweils zu übergeben. Weil dies jedoch nicht möglich war, legte er sie --jeweils ausweislich der Postzustellungsurkunde-- am 23. Januar 2009 um 13:54 Uhr in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten oder eine ähnliche Vorrichtung ein.
Rz. 6
In der mündlichen Verhandlung am 3. März 2009 erschien für die Kläger niemand. Das FG stellte die ordnungsgemäße Ladung der nicht Erschienenen fest und gab der Klage auf der Grundlage der Feststellungen des Prüfungsbeamten teilweise statt. Die Revision ließ das FG nicht zu.
Rz. 7
Mit ihrer dagegen gerichteten Beschwerde rügen die Kläger eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör. Zwar sei ihnen formlos mitgeteilt worden, dass beabsichtigt sei, am 3. März 2009 mündlich zu verhandeln. Eine Ladung hätten sie jedoch nicht erhalten und daher auch nicht die Möglichkeit gehabt, die sachentscheidenden Unterlagen dem Gericht vorzulegen.
Entscheidungsgründe
Rz. 8
II. Die Beschwerde ist nicht begründet. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil der behauptete Verfahrensmangel nicht vorliegt (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Rz. 9
1. Der Anspruch der Verfahrensbeteiligten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (vgl. Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO, § 119 Nr. 3 FGO) setzt u.a. voraus, dass sie Gelegenheit haben, sich zu entscheidungserheblichen Tatsachen und Beweisergebnissen zu äußern und ihre für wesentlich gehaltenen Rechtsansichten vorzutragen (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 6. November 2007 IX B 64/07, BFH/NV 2008, 242). Der Anspruch ist verletzt, wenn die Verfahrensbeteiligten zur vom FG angesetzten mündlichen Verhandlung nicht ordnungsgemäß geladen worden sind.
Rz. 10
2. Gemäß § 53 Abs. 1 und 2 FGO i.V.m. § 176 der Zivilprozessordnung (ZPO) kann die Ladung zur mündlichen Verhandlung mit Postzustellungsurkunde durch die Post zugestellt werden. Eine Postzustellungsurkunde liefert als öffentliche Urkunde i.S. von § 418 Abs. 1 i.V.m. § 182 Abs. 1 Satz 2 ZPO regelmäßig den vollen Beweis für den darin dokumentierten Zustellungsvorgang. Dieser Beweis kann nicht durch die bloße Behauptung, die Ladung nicht erhalten zu haben, entkräftet werden (BFH-Beschluss vom 21. August 2002 VIII B 58/02, BFH/NV 2003, 176). Ein Gegenbeweis erfordert den Beweis der Unrichtigkeit der in der Postzustellungsurkunde bezeugten Tatsachen (BFH-Urteil vom 20. Februar 1992 V R 39/88, BFH/NV 1992, 580, m.w.N.; BFH-Beschluss vom 7. Februar 1996 X R 79/95, BFH/NV 1996, 567). Für die Wirksamkeit der Zustellung kommt es nicht darauf an, ob und wann der Adressat die Ladung seinem Briefkasten entnommen und ob er sie tatsächlich zur Kenntnis genommen hat (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2003, 176, m.w.N.).
Rz. 11
3. Vorliegend ist danach von einer ordnungsgemäßen Ladung zur mündlichen Verhandlung auszugehen. Die Ladung zur mündlichen Verhandlung am 3. März 2009 wurde den Klägern mit Postzustellungsurkunde durch die Post zugestellt. Zwar hat der Postbedienstete die Empfänger in ihrer Wohnung nicht angetroffen. Er hat die Ladungen jedoch gemäß § 176 Abs. 2 i.V.m. § 180 ZPO in einen zur Wohnung gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung eingelegt, wie sich aus der Postzustellungsurkunde ergibt. Anhaltspunkte für einen Gegenbeweis, demzufolge die Angaben in der Postzustellungsurkunde nicht zutreffend sind, ergeben sich aus den Darlegungen der Kläger nicht.
Fundstellen
Haufe-Index 2651763 |
BFH/NV 2011, 812 |