Entscheidungsstichwort (Thema)
PKH für im Ausland wohnende ausländische Staatsangehörige
Leitsatz (NV)
1. § 114 ZPO knüpft die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe dem Grunde nach weder an die deutsche Staatsangehörigkeit noch an einen inländischen Wohnsitz des Antragstellers. Streitig ist hingegen die Frage, nach welchen Maßstäben die Bedürftigkeit des Antragstellers bei einem Abweichen der Wirtschafts- und Lebensverhältnisse zwischen Wohnsitz- und Bewilligungsstaat festzustellen ist.
2. PKH kann nicht lediglich für einzelne Prozeßhandlungen -- hier die Teilnahme an einer mündlichen Verhandlung -- beantragt und bewilligt werden.
3. Regelmäßig liegt in der Beantragung von PKH durch einen Steuerberater zugleich die schlüssige Mitteilung, daß der Beteiligte sein Wahlrecht im Rahmen der zugleich beantragten Beiordnung eines Prozeßvertreters zugunsten dieses Bevollmächtigten ausgeübt hat.
Normenkette
FGO § 142 Abs. 1-2; GKG § 1 Abs. 1, § 11; ZPO § 114 Abs. 1, § 115 Abs. 1 Nrn. 1-3, §§ 115, 115 Abs. 3, § 117 Abs. 2-4, § 118 Abs. 1 Sätze 4-5, § 119 S. 2, § 121 Abs. 1
Tatbestand
Der Beklagte, Revisionskläger und Antragsgegner (das Finanzamt -- FA --) hat gegen das stattgebende Urteil des Finanzgerichts (FG) Revision eingelegt. Nach Erlaß eines Gerichtsbescheides vom 26. September 1995 VIII R ... stellte der Prozeßbevollmächtigte des Klägers, Revisionsbeklagten und Antragstellers (Antragsteller) mit Schriftsatz vom 17. November 1995 Antrag auf mündliche Verhandlung. Der Prozeßbevollmächtigte ist mit Postzustellungsurkunde am 1. Februar 1996 zum Termin zur mündlichen Verhandlung am 19. März 1996 geladen worden.
Am 11. März 1996 beantragte der Prozeßbevollmächtigte per Telefax namens des Antragstellers, der zwischenzeitlich wieder in die Niederlande verzogen ist, die Gewährung von Prozeßkostenhilfe (PKH) für "Fahrtkosten, Übernachtung und Verhandlungsgebühr".
Die zunächst übermittelte Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse hat der Prozeßbevollmächtigte nur im Auftrag unterschrieben. Der Erklärung war ferner eine Bescheinigung der Wohnsitzgemeinde des Klägers vom 11. März 1996 beigefügt, wonach der Antragsteller monatlich vom dortigen Sozialamt einen Betrag von 1 278,46 hfl erhält.
Nach der Erklärung zahlt der Antragsteller für einen 21 qm großen Wohnraum monatlich 500 hfl. Hinzu kommen gesondert abzurechnende, jedoch der Höhe nach nicht bezifferte und nachgewiesene Nebenkosten.
Auf fernmündlichen Hinweis des Vorsitzenden des erkennenden Senats vom 18. März 1996 hat der Prozeßbevollmächtigte noch am 18. März 1996 eine vom Antragsteller persönlich unterschriebene Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse übermittelt.
Entscheidungsgründe
Der Antrag des Antragstellers, ihm für das Revisionsverfahren VIII R ... PKH zu gewähren und ihm Steuerberater K beizuordnen, ist begründet.
1. In einem höheren Rechtszug ist grundsätzlich nicht zu prüfen, ob die Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet oder mutwillig erscheint, wenn -- wie im Streitfall -- der Gegner das Rechtsmittel eingelegt hat (§ 142 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO -- i. V. m. § 119 Satz 2 der Zivilprozeßordnung -- ZPO --; Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 7. Juli 1988 V S 11/86, BFHE 153, 510, BStBl II 1988, 896, 897).
Auch im Falle des Obsiegens des Antragstellers in der Vorinstanz sind indessen die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nach § 114 ZPO i. V. m. § 142 Abs. 1 FGO zu prüfen (BFH-Beschluß vom 13. September 1988 V S 2/87, BFH/NV 1990, 185) und insbesondere eine Erklärung der Partei über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse auf amtlichen Vordruck nebst entsprechenden Belegen einzureichen (vgl. § 117 Abs. 2 und 3 ZPO i. V. m. § 142 Abs. 1 FGO).
2. a) Dem Antrag steht nicht entgegen, daß der Antragsteller niederländischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz in den Niederlanden ist. § 114 ZPO knüpft die Bewilligung von PKH nicht an die deutsche Staatsangehörigkeit oder einen inländischen Wohnsitz des Antragstellers (vgl. Philippi/Zöller, Zivilprozeßordnung, 19. Aufl., § 114 Rz. 5; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozeßordnung, 54. Aufl., § 114 Rz. 10; Beschluß des Oberlandesgerichts -- OLG -- Düsseldorf vom 15. November 1993 20 W 67/93, Monatsschrift für Deutsches Recht -- MDR -- 1994, 301, mit umfassenden Nachweisen zum Schrifttum; Schuster/Streinz, Die Sozialgerichtsbarkeit, Sozialgesetzbuch 1988, 534, 536; Grunsky, Neue Juristische Wochenschrift 1980, 2041, 2043; Schuster, Zeitschrift für Zivilprozeß 93 [1980], 361, 378).
Nach Streichung des § 114 Satz 2 ZPO a. F. ist die Verbürgung der Gegenseitigkeit seit 1981 keine Bewilligungsvoraussetzung mehr (vgl. Philippi/Zöller, a.a.O., § 114 Rz. 5; Kopp, Verwaltungsgerichtsordnung, 10. Aufl., § 166 Rz. 5).
b) PKH kann grundsätzlich nicht lediglich für einzelne Prozeßhandlungen beantragt und bewilligt werden (Philippi/Zöller, a.a.O., § 114 Rz. 4).
Der Senat legt jedoch den Antrag, auch wenn er von einem fachkundigen Prozeßbevollmächtigten gestellt worden ist, zugunsten des Antragstellers in dem Sinne aus, daß nicht lediglich PKH für die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung, sondern -- unbeschadet der Frage der Rückwirkung der Bewilligung (vgl. dazu BFH-Beschluß vom 29. Oktober 1993 XI B 42/93, BFH/NV 1994, 655, 656, m. w. N.) -- für die gesamte Revisionsinstanz begehrt wird (vgl. dazu Philippi/Zöller, a.a.O., § 114 ZPO Rz. 14).
Der Senat versteht den Antrag darüber hinaus dahingehend, daß der Antragsteller auch die Beiordnung des Prozeßbevollmächtigten gemäß § 142 Abs. 2 FGO i. V. m. § 121 Abs. 1 ZPO begehrt. Regelmäßig liegt in dem Umstand, daß ein Steuerberater für den Beteiligten einen PKH- Antrag stellt, zugleich schlüssig die Mitteilung, der Beteiligte habe sein Wahlrecht zugunsten des von ihm bereits bevollmächtigten Prozeßvertreters ausgeübt (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, a.a.O., § 121 Rz. 4, 14).
c) Der Antragsteller hat auf fernmündlichen Hinweis des Vorsitzenden des erkennenden Senats noch am 18. März 1996 per Telefax die vom Antragsteller eigenhändig unterschriebene Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eingereicht (vgl. § 117 Abs. 4 ZPO; BFH- Beschluß vom 22. Mai 1990 VII S 28/89, BFH/NV 1991, 336). In Verbindung mit der bereits dem Antrag vom 11. März 1996 beigefügten zeitnahen Bescheinigung des Sozialamtes der Wohnsitzgemeinde des Antragstellers (vgl. dazu BFH-Beschluß vom 23. Dezember 1993 VIII B 98/93, BFH/NV 1994, 657, 658) hat der Antragsteller damit die Bewilligungsvoraussetzungen formgerecht dargetan.
3. Der Antrag nebst den eingereichten Unterlagen rechtfertigt die Gewährung der PKH ab dem Zeitpunkt der Bewilligungsreife ohne Ratenzahlung.
a) Die Anerkennung der Bewilligung von PKH dem Grunde nach auch für Rechtsstreitigkeiten, die im Ausland wohnende Ausländer vor deutschen Gerichten führen, besagt nichts hinsichtlich der weiteren Frage, nach welchen Maßstäben die Bedürftigkeit dieses Personenkreises festzustellen ist.
Einer weiteren Klärung bedarf die Rechtsfrage nicht, da die Wirtschafts- und Lebensverhältnisse im Wohnsitzstaat, dem Königreich Niederlande, und in der Bundesrepublik Deutschland als Bewilligungsstaat nicht in einer solchen Weise voneinander abweichen, daß die Anwendung der Tabelle in § 115 ZPO zu nicht mehr sachgerechten Ergebnissen führte (vgl. dazu OLG Düsseldorf, MDR 1994, 301; Schuster/Streinz, a.a.O., 1988, 534, 537; gegen jegliche Einschränkung Philippi/Zöller, a.a.O., § 114 Rz. 5; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, a.a.O., § 114 Rz. 49).
Der Senat sieht für diese Beurteilung zusätzlich in der vom Bundesministerium der Finanzen (BMF) durch Verwaltungsregelung vorgenommenen Ländergruppeneinteilung bei der Berücksichtigung von Unterhaltsleistungen nach § 33 a Abs. 1 Satz 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) an im Ausland lebende Personen einen sachgerechten Anhaltspunkt (vgl. dazu Schreiben des BMF vom 17. Januar 1996 IV B 6 -- S 2365 -- 35/95, BStBl I 1996, 115). Danach gelten für Angehörige in den EG-Mitgliedsstaaten ab dem Veranlagungszeitraum 1990 die nach § 33 a Abs. 1 EStG maßgebenden Beträge in voller Höhe (vgl. Oepen/Blümich, Einkommensteuergesetz, 14. Aufl., § 33 a Rz. 134, 135).
b) Die Berechnung des einzusetzenden Einkommens und der abzusetzenden Beträge nach § 115 ZPO ergibt eine Bewilligung der PKH in voller Höhe ohne Ratenzahlung.
Der Senat sieht eine Umrechnung anhand eines Durchschnittskurses als gerechtfertigt an, da die Ermittlung der Bedürftigkeit zeitraumbezogen erfolgt. Einen geeigneten Bezug stellt der Umrechnungskurs für die Umsatzsteuer dar (vgl. Gesamtübersicht für 1995, BStBl I 1996, 62), wonach ein durchschnittlicher Wert von 89,40 DM/100 hfl zugrunde zu legen ist.
Danach ergibt sich für die Berechnung des einsetzbaren Einkommens folgendes:
aa) Einkommen nach § 115 Abs. 1 Nr. 1 ZPO
1 278,46 hfl x 89,40 DM 1 142,94 DM bb) Abzüge nach § 115 Abs. 1 Nr. 2 ZPO
lt. PKH-Bekanntmachung vom 2. Juni 1995 (BGBl I 1995, 776);
dazu Jost, Die Information über Steuer und
Wirtschaft 1995, 523 ./. 643,00 DM Kosten für Unterkunft und Heizung
gemäß § 115 Abs. 1 Nr. 3 ZPO
500 hfl x 89,40 DM ./. 447,00 DM Die zusätzlich anzusetzenden Heizkosten setzt der Senat entsprechend dem bei der Wohngeldberechnung gemäß § 5 Abs. 1, § 18 Nr. 1 der Wohngeldverordnung vom 30. September 1992 (BGBl I 1992, 1687) angesetzten Pauschalbetrag mit 1,50 DM/qm an.
21 qm x 1,50 DM = ./. 31,50 DM ___________
verbleibender Betrag 21,44 DM Der monatliche -- allenfalls -- ohne Berücksichtigung der vom Antragsteller im einzelnen nicht näher erläuterten monatlich anfallenden Tilgungsleistungen auf verbliebene Verbindlichkeiten liegt unterhalb des Betrages, der die Gewährung von PKH gegen Ratenzahlung rechtfertigt (vgl. § 115 Abs. 3 ZPO).
Der Senat geht aufgrund der Erklärung vom 18. März 1996 und der in der mündlichen Verhandlung vom 19. März 1996 von dem Prozeßbevollmächtigten zusätzlich erteilten Auskünften vom Verbrauch des dem Antragsteller im Zeitpunkt der Veräußerung seiner wesentlichen Beteiligung im Jahr 1979 zugeflossenen Kaufpreises aus und daß der Antragsteller gegenwärtig über kein einsetzbares Vermögen mehr verfügt (vgl. § 115 Abs. 2 ZPO).
c) Da die für die Bewilligung der PKH erforderlichen Nachweise erst am 18. März 1996 ordnungsgemäß erbracht worden sind, war die PKH auch erst ab diesem Zeitpunkt zu gewähren (vgl. BFH-Beschluß vom 9. Januar 1992 III B 96/91, BFH/NV 1992, 834, 835; Reiche/Beermann, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 142 FGO Rz. 100, m. w. N.; Kopp, a.a.O., § 166 Rz. 4).
d) Nach § 142 Abs. 2 FGO i. V. m. § 121 Abs. 1 ZPO wird dem Antragsteller antragsgemäß Steuerberater K als Prozeßbevollmächtigter beigeordnet.
Fundstellen
Haufe-Index 421379 |
BFH/NV 1996, 781 |