Leitsatz (amtlich)
Gegen einen Beschluß nach § 69 Abs. 3 FGO kann das FG die Beschwerde nicht nachträglich zulassen, wenn es in dem Beschluß erklärt hat, daß dieser unanfechtbar sei.
Normenkette
BFH-EntlastG Art. 1 Nr. 3; FGO § 69 Abs. 3, § 109
Tatbestand
Durch Beschluß vom 20. Juli 1977 hob das Finanzgericht (FG) gemäß § 69 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) die Vollziehung des Steuerbescheids des Antragsgegners und Beschwerdeführers (Hauptzollamt - HZA -) vom 27. Dezember 1976 gegen Sicherheitsleistung bis einen Monat nach Bekanntgabe einer Entscheidung über den Einspruch auf. Diesen Beschluß erklärte das FG unter Hinweis auf Art. 1 Nr. 3 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFH-EntlastG) für unanfechtbar.
Mit Schriftsatz vom 31. August 1977 an das FG beantragte das HZA, gegen den Beschluß vom 20. Juli 1977 die Beschwerde zuzulassen. Durch Beschluß vom 5. Oktober 1977 entschied das FG, daß die Beschwerde zugelassen werde.
Mit Schriftsatz vom 4. November 1977 legte das HZA gegen den Beschluß vom 20. Juli 1977 Beschwerde ein mit dem Antrag, den Beschluß aufzuheben und den Antrag der Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Beschwerdegegnerin) auf Aufhebung der Vollziehung zurückzuweisen.
Die Beschwerdegegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unzulässig.
Nach Art. 1 Nr. 3 BFH-EntlastG hätte dem HZA die Beschwerde gegen den Beschluß des FG vom 20. Juli 1977 nur zugestanden, wenn sie in diesem Beschluß zugelassen worden wäre. An die Zulassung durch den Beschluß des FG vom 5. Oktober 1977 ist der Senat nicht gebunden.
Aus den Erwägungen, nach denen das Revisionsgericht nach übereinstimmender Auffassung der obersten Gerichtshöfe des Bundes nicht an eine gesetzwidrige Zulassung der Revision gebunden ist, vermag auch die Zulassung der Beschwerde gegen einen Beschluß des FG nach § 69 Abs. 3 FGO den Bundesfinanzhof (BFH) nicht zu binden, wenn sie offensichtlich gegen das Gesetz verstößt (vgl. BFH-Beschluß vom 14. Oktober 1976 V B 21/76, BFHE 120, 26, BStBl II 1976, 774). Um das festzustellen, ist der BFH befugt zu prüfen, ob die Zulassung in einer nach dem Verfahrensrecht vorgesehenen Weise ausgesprochen worden ist. Wenn die Zulassung nach dem Verfahrensrecht nicht erfolgen konnte, so ist sie ohne Wirkung; eine unwirksame Zulassung kann nicht verbindlich sein (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 2. Februar 1966 VIII ZR 76-77/64, BGHZ 44, 395).
Das FG hat nicht dargelegt, weshalb es sich für befugt gehalten hat, die Beschwerde durch den Beschluß vom 5. Oktober 1977 abweichend von der Regelung des Art. 1 Nr. 3 BFH-EntlastG nachträglich zuzulassen. Nach dem Verfahrensrecht war eine nachträgliche Zulassung aber nicht möglich.
Ist die Zulassung der Revision unterblieben, so kann sie nach der im Schrifttum überwiegenden Ansicht (vgl. z. B. Kopp, Verwaltungsgerichtsordnung, 3. Aufl., § 132 Anm. 5; Tipke/Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 8. Aufl., § 115 FGO Anm. 8 a. E.; Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 115 FGO Anm. 42, 44) nicht in einem besonderen Beschluß nachgeholt werden. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat allerdings in dem nur in Form einer kurzen Zusammenfassung bekanntgewordenen Beschluß vom 2. September 1954 I B 165.53 (vgl. Koehler, Monatsschrift für Deutsches Recht 1955 S. 81) im gegenteiligen Sinne entschieden. Klinger (Verwaltungsgerichtsordnung, 2. Aufl., § 132 Anm. D I 1) will diesem Beschluß folgen; er hat ihn aber nur dahin ausgelegt, daß eine Zulassung in einem besonderen Beschluß erfolgen darf, ohne klarzustellen, ob dieser Beschluß auch nachträglich oder nur zusammen mit dem Urteil gefaßt werden kann.
Es kann dahingestellt bleiben, ob der Entscheidung des BVerwG, die geeignet ist, Unklarheit über den Zeitpunkt des Eintritts der Rechtskraft der anzufechtenden Entscheidung (insbesondere bei unbefristeter Nachholbefugnis) herbeizuführen, gefolgt werden könnte. Denn sie geht von einer Gesetzesfassung (§ 53 des Gesetzes über das Bundesverwaltungsgericht - BVerwGG -) aus, die (wie auch § 115 Abs. 1 FGO und § 132 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -) lediglich bestimmt, daß die Revision zugelassen werden könne, während Art. 1 Nr. 3 BFH-EntlastG ausdrücklich bestimmt, daß die Beschwerde nur statthaft ist, wenn sie "in dem Beschluß" nach § 69 FGO zugelassen ist. Ebenso heißt es in § 546 Abs. 1 Satz 1 der Zivilprozeßordnung (ZPO), daß die Revision nur statthaft ist, wenn sie "in dem Urteil" zugelassen ist. Hier steht die Literatur auf dem Standpunkt, daß die Zulassung der Revision stets in dem Urteil selbst zu erfolgen habe (Baumbach/Lauterbach, Zivilprozeßordnung, 36. Aufl., § 546 Anm. 2 C b; Thomas/Putzo, Zivilprozeßordnung, 9. Aufl., § 546 Anm. 5 a; Rosenberg-Schwab, Zivilprozeßrecht, 12. Aufl., § 143 I 3 a; Stein/Jonas, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 20. Aufl., § 546 Anm. 12).
In Anlehnung an diese Auffassung ist auch die Regelung in Art. 1 Nr. 3 BFH-EntlastG dahin anzuwenden, daß die Entscheidung über die Aussetzung der Vollziehung nur angefochten werden kann, wenn das FG die Beschwerde in dem Beschluß über die Aussetzung der Vollziehung zugelassen hat. Der vom HZA vorgetragenen Auffassung, daß das FG die Entscheidung, die Beschwerde nicht zuzulassen, jederzeit nachträglich ändern könne (vgl. auch Hübschmann/Hepp/Spitaler, a. a. O., § 128 FGO Anm. 19), kann dagegen nicht gefolgt werden. Diese Auffassung ist schon mit dem Wortlaut der Regelung in Art. 1 Nr. 3 BFH-EntlastG, vor allem aber mit dem daraus erkennbaren Ziel nicht zu vereinbaren, daß die Zulassung der Beschwerde zur Vermeidung von Rechtsbehelfen nicht von der Entscheidung über die Aussetzung der Vollziehung getrennt zum Gegenstand einer besonderen Entscheidung gemacht werden soll. Die Nichtzulassung der Beschwerde soll vielmehr als unselbständiger Teil der Entscheidung über die Aussetzung der Vollziehung angesehen (vgl. Beschluß des BFH vom 22. Januar 1976 V B 91/75, BFHE 117, 531, BStBl II 1976, 241) und folglich - schon um die Entlastungsregelung in Art. 1 Nr. 3 BFH-EntlastG voll auszuschöpfen - entgegen der Auffassung des HZA auch aufgrund von § 69 Abs. 3 Satz 5 FGO für sich allein nicht nachträglich geprüft und geändert werden.
Aus Art. 1 Nr. 3 BFH-EntlastG ergibt sich also, daß die Entscheidung des FG über die Aussetzung der Vollziehung grundsätzlich unanfechtbar und die Beschwerde nur statthaft ist, wenn das FG sie in dem Beschluß über die Aussetzung der Vollziehung - in der dabei vorhandenen Besetzung - zugelassen hat, und daß die Nichtzulassung der Beschwerde für sich allein - sowohl vom FG als auch vom BFH - nicht nachträglich geprüft und geändert werden kann.
Die Zulassung der Beschwerde konnte auch nicht durch eine Ergänzung nach § 109 FGO ausgesprochen werden.
Es kann dahingestellt bleiben, ob die Vorschrift unmittelbar anzuwenden gewesen wäre, wenn das HZA nach dem Tatbestand in dem Beschluß vom 20. Juli 1977 einen Antrag auf Zulassung der Beschwerde für den Fall der Aussetzung der Vollziehung gestellt hätte und dieser Antrag übergangen worden wäre. Aus dem Beschluß vom 20. Juli 1977 und den Akten ergibt sich nämlich nicht, daß das HZA einen solchen Antrag gestellt hat.
Unter diesen Umständen könnte nur eine sinngemäße Anwendung des § 109 FGO aus der Erwägung in Betracht gezogen werden, daß über die Zulassung der Beschwerde von Amts wegen zu entscheiden ist (vgl. Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 109 Anm. 4). Das wird zwar vereinzelt bejaht (Klinger, a. a. O., § 120 B; Hübschmann/Hepp/Spitaler, a. a. O., § 109 FGO Anm. 3). Im vorliegenden Fall käme aber eine sinngemäße Anwendung des § 109 FGO schon deshalb nicht in Betracht, weil die Frage der Zulassung der Beschwerde in dem Beschluß vom 20. Juli 1977 nicht übergangen worden ist. Das FG hat über die Zulassung der Beschwerde eine Entscheidung getroffen, indem es seinen Beschluß für unanfechtbar erklärt hat. Daraus ergibt sich gleichzeitig, daß es die Zulassung der Beschwerde abgelehnt hat, weil Voraussetzung der Unanfechtbarkeit die Nichtzulassung der Beschwerde ist. Unter diesen Umständen kommt eine Ergänzung in sinngemäßer Anwendung der Regelung in § 109 FGO schon deshalb nicht in Betracht, weil dadurch in Wirklichkeit eine Abänderung und nicht eine Ergänzung der getroffenen Entscheidung vorgenommen würde (vgl. Urteil des BGH VIII ZR 76-77/64; Stein/Jonas, a. a. O., § 546 Anm. 13, § 511 a Rdnr. 31).
Fundstellen
Haufe-Index 72548 |
BStBl II 1978, 434 |
BFHE 1979, 150 |