Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung -- Beschäftigung von Aushilfskräften
Leitsatz (NV)
1. Ist die büromäßig organisierte Fristenkontrolle durch besondere Umstände beeinträchtigt, muß ein Berufsträger -- auch in eigener Sache -- besondere Sorgfalt anwenden und die in einem solchen Falle notwendige Überwachung des Fristablaufs eigenverantwortlich durch geeignete zusätzliche Maßnahmen sicherstellen.
2. Nach Ablauf der Zweiwochenfrist können -- lediglich -- unklare oder unvollständige Angaben erläutert werden, jedoch nur dann, wenn jedenfalls der Kern der Wiedereinsetzungsgründe in sich schlüssig vorgetragen worden ist.
3. Bleibt die Verschuldensfrage wegen Lüken oder Widersprüchen des Vortrages offen, ist das Wiedereinsetzungsgesuch abzulehnen.
Normenkette
FGO § 56
Tatbestand
Der erkennende Senat hat auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers und Revisionsklägers (Kläger), eines Wirtschaftsprüfers und Steuerberaters, mit Beschluß vom 3. Februar 1993 die Revision zugelassen. Der Beschluß wurde dem Kläger am 1. März 1993 zugestellt. Am 7. Mai 1993 ging dessen Revision beim Bundesfinanzhof (BFH) ein, der in der Revisionsschrift auch als Empfänger bezeichnet ist. Die Geschäftsstelle des erkennenden Senats leitete die Revision unter dem 7. Mai 1993 an das Finanzgericht (FG) weiter. Dieses legte denselben Revisionsschriftsatz unter dem 28. Mai 1993 dem BFH vor und bestätigte als Eingang den 7. Mai 1993 -- den auf der Revisionsschrift vermerkten Tag des Eingangs beim BFH --. Wann die Revision tatsächlich beim FG eingegangen ist, ist mangels Eingangsvermerks des FG nicht feststellbar.
Zugleich mit der Revision beantragte der Kläger wegen der Fristversäumnis Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zur Begründung trägt er vor, er sei "vom Berichterstatter" anläßlich eines Gesprächs am 3. Mai 1993 darauf aufmerksam gemacht worden, daß er die Revision noch nicht eingelegt habe. Sein Mitarbeiter und Sohn habe im Oktober 1992 durch einen schweren Autounfall lebensgefährliche Verletzungen erlitten, die ihn bis Ende Februar 1993 an das Krankenbett gefesselt hätten. Mitte März 1993 habe dieser erklärt, daß er auf die vorgesehene Nachfolge in die Praxis keinen Wert mehr lege. Die lebensgefährlichen Verletzungen seines Sohnes und dessen Sinneswandel betreffend die Nachfolge hätten ihn, den Kläger, so mitgenommen, daß er im April "Erholungsurlaub" habe nehmen müssen, weil er sonst "auch zusammengeklappt wäre". Zudem habe er seit Ende 1992 bis zum 30. April 1993 im Sekretariat Aushilfskräfte beschäftigen müssen. So sei "zu erklären, daß die Revisionszulassung vom 3. 2. 1993 nicht ordnungsgemäß in den Büropostlauf gelangt" sei.
Auf die Revisionserwiderung des Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt -- FA --), die Erkrankung des Sohnes bis Ende Februar 1993 sei nicht ursächlich, weil der Zu lassungsbeschluß erst am 1. März 1993 zugestellt worden sei, im übrigen hätte der Kläger bei der Beschäftigung von Aushilfskräften zur Absicherung die Fristenkontrolle überprüfen müssen, trug der Kläger mit Schriftsatz vom 24. September 1993 weiter vor, die seelischen Belastungen hätten weitergewirkt. Zusätzlich habe seine langjährige Mitarbeiterin gekündigt, und durch den Ausfall von nunmehr zwei "hochkarätigen" Mitarbeitern sei der Bestand der Praxis gefährdet gewesen, weil qualifiziertes Personal nur sehr schwer zu bekommen sei. Der Hinweis des FA auf unterlassene Überwachung der Aushilfskräfte greife nicht, weil die Revisionszulassung ihn privat betroffen habe und deshalb, wie grundsätzlich alle seine privaten Steuerangelegenheiten, nicht über die Angestellten des Büros abgewickelt worden sei. Warum ihm das Schriftstück nicht ausgehändigt worden sei und wer letztlich die Schuld an der nicht erfolgten Weitergabe trage, könne nicht mehr geklärt werden. Die Fristenkontrolle sei von einer zuverlässigen Angestellten bearbeitet worden. Lediglich bei der Bearbeitung des Posteingangs (Entgegennahme der Post, Aufbereitung des Eingangs etc.) und im Sekretariat habe er Aushilfskräfte beschäftigt. Man müsse im allgemeinen davon ausgehen, daß solche einfachen Tätigkeiten auch ohne Kontrolle fehlerfrei durchgeführt würden.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unzulässig. Sie ist nicht innerhalb der gesetzlichen Frist eingelegt worden. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden.
1. Die Revision ist bei dem FG innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils oder -- wie hier im Falle der Zulassung der Revision -- nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Revision schriftlich einzulegen (§ 120 Abs. 1 i. V. m. § 115 Abs. 5 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). Hierauf wurde der Kläger durch die dem angefochtenen Urteil des FG beigefügte Rechtsmittelbelehrung hingewiesen.
Nachdem der Beschluß über die Zulassung der Revision dem Kläger am 1. März 1993 zugestellt worden war, lief im Streitfall die Revisionsfrist am 1. April 1993 ab. Offenbleiben kann, wann die -- unzutreffenderweise beim BFH eingelegte -- Revision tatsächlich beim FG eingegangen ist; denn selbst wenn sie bereits am 7. Mai 1993 beim FG eingegangen wäre, wäre sie danach verspätet eingelegt worden.
2. Die Voraussetzungen für eine Heilung der Fristversäumnis nach § 56 FGO sind nicht erfüllt.
Nach dieser Vorschrift ist jemandem, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (Absatz 1). Der Antrag ist binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen (Absatz 2).
3. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erfordert eine substantiierte, in sich schlüssige Darstellung aller entscheidungserheblichen Tatsachen innerhalb der Zweiwochenfrist des § 56 Abs. 2 FGO (vgl. BFH-Beschlüsse vom 19. Januar 1993 X R 82/92, BFH/NV 1993, 611; vom 22. Dezember 1994 X R 236/93, BFH/NV 1995, 702, jeweils m. w. N., und BFH-Urteil vom 21. Februar 1995 VIII R 76/93, BFH/NV 1995, 989). Daran fehlt es im Streitfall.
4. Die innerhalb der Zweiwochenfrist vorgetragenen Gründe rechtfertigen keine Wiedereinsetzung.
a) Der Senat geht mit der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung davon aus, daß auch eine aus familiären Gründen entstandene, schwerwiegende seelische Belastung einen Entschuldigungsgrund bilden kann (Beschlüsse des Bundesgerichtshofs -- BGH --vom 5. Juni 1981 I ZB 5/81, Versicherungsrecht -- VersR -- 1981, 839; vom 6. März 1985 VIII ZB 27/84, VersR 1985, 550; vom 18. Mai 1994 XII ZB 62/94, Familienrechts-Zeitung 1994, 1520; vgl. BFH-Beschluß vom 22. Juli 1991 III B 22/91, BFH/NV 1992, 257 -- zur Krankheit des Prozeßbevollmächtigten --, und BGH-Beschluß vom 24. März 1994 X ZB 24/93, NJW-Rechtsprechungs-Report 1994, 957 -- zur Krankheit eines Beteiligten --).
Im vorliegenden Fall hat der Kläger jedoch nicht schlüssig dargelegt, daß er wegen seiner damaligen familiären Probleme verhindert war, die -- vom Senat zugelassene und zunächst nicht begründungsbedürftige -- Revision (§ 120 Abs. 1 Satz 1 FGO) einzulegen. Denn offenbar hat er sich in diesem Zusammenhang keiner ärztlichen Behandlung unterzogen. Des weiteren ist nicht ersichtlich, daß der Kläger vom 1. März 1993 bis zu seinem Erholungsurlaub "im April" arbeitsunfähig gewesen wäre und sich deshalb um seine Vertretung in der Kanzlei hätte bemühen müssen.
b) Soweit sich der Kläger darauf beruft, "seit dem Ende des vorigen Jahres bis einschließlich 30. 4. 1993" habe er "im Sekretariat" nicht namentlich benannte "Aushilfskräfte beschäftigen müssen", weshalb "die Revisionszulassung vom 3. 2. 1993 nicht ordnungsgemäß in den Büropostlauf gelangt" sei, ist sein Vorbringen nicht hinreichend substantiiert. Es fehlt jeder Vortrag, wie der "Büropostlauf" und vor allem wie die Fristenkontrolle in seinem Büro im einzelnen organisiert war (zu Darlegungsmängeln dieser Art z. B. BFH-Beschluß vom 14. Dezember 1994 X R 176/93, BFH/NV 1995, 798, m. w. N.) und welche Personen in der fraglichen Zeit mit den übertragbaren Obliegenheiten bei Fristsachen betraut waren. Ist die büromäßig organisierte Fristenkontrolle durch besondere Umstände beeinträchtigt, muß ein Berufsträger -- auch in eigener Sache -- besondere Sorgfalt anwenden und die in einem solchen Ausnahmefall notwendige Überwachung des Fristablaufs eigenverantwortlich durch geeignete zusätzliche Maßnahmen sicherstellen (z. B. BFH-Beschlüsse vom 2. März 1993 IX R 75/89, BFH/NV 1993, 578, und vom 17. Juni 1993 VI R 100/92, BFH/NV 1993, 750; Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 110 AO 1977 Rz. 88 und 91 d, m. w. N.). Auch hierzu hat der Kläger nichts vorgetragen.
5. Nach Ablauf der Zweiwochenfrist können Wiedereinsetzungsgründe nicht mehr nachgeschoben werden. Lediglich unklare oder unvollständige Angaben können erläutert oder ergänzt werden; dies jedoch nur dann, wenn jedenfalls innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist der Kern der Wiedereinsetzungsgründe in sich schlüssig vorgetragen worden ist (BFH-Urteil vom 21. Februar 1995 VIII R 76/93, BFH/NV 1995, 989, 990, m. w. N.).
Soweit der Kläger nunmehr vorträgt, die Revisionszulassung sei, weil sie ihn privat betroffen habe, wie alle seine privaten Steuerangelegenheiten nicht über die Angestellten seines Büros abgewickelt worden und ihm sei das Schriftstück -- aus nicht mehr aufklärbarem Grund -- von den "lediglich zur Bearbeitung des Posteingangs" und "im Sekretariat" eingestellten Aushilfskräften nicht ausgehändigt worden, ist dies ein anderer Sachverhalt, der nicht mehr berücksichtigt werden kann. Er steht überdies im Widerspruch zum bisherigen Vortrag, der Zulassungsbeschluß sei "nicht ordnungsgemäß in den Büropostlauf gelangt". Angesichts dessen ist die Behauptung des Klägers, seine privaten Steuersachen würden nicht über die Kanzlei abgewickelt, nicht ohne weiteres nachvollziehbar, jedenfalls nicht hinreichend substantiiert. Es fehlt an der Darlegung, welche konkreten Anweisungen er für "private Steuerangelegenheiten" getroffen hat und welche Personen in der fraglichen Zeit für die Bearbeitung der Post zuständig waren. Hat der Kläger, wie er nunmehr behauptet, den Zulassungsbeschluß überhaupt nicht ausgehändigt bekommen, ist darüber hinaus die zunächst mit besonderem Gewicht vorgetragene Begründung, die Fristversäumnis sei wegen seiner, des Klägers, erheblichen psychischen Belastung durch familiäre Umstände zu entschuldigen, damit schwer in Einklang zu bringen.
6. Die aufgezeigten Lücken in der Begründung des Wiedereinsetzungsbegehrens können nach Ablauf der Frist des § 56 Abs. 2 Satz 2 FGO nicht mehr geschlossen werden (vgl. BGH-Beschluß vom 28. Februar 1991 IX ZB 95/90, Betriebs-Berater 1991, 1222; BFH-Beschluß in BFH/NV 1993, 661, und BFH-Urteil vom 23. Mai 1989 X R 7/85, BFH/NV 1990, 315); sie gehen ebenso wie die Widersprüchlichkeit des Vortrages zu Lasten des Betroffenen. Bleibt die Verschuldensfrage offen, ist das Wiedereinsetzungsbegehren abzulehnen (BGH-Beschluß vom 26. September 1991 I ZB 12/91, Neue Juristische Wochenschrift 1992, 574; BFH-Beschluß vom 18. Januar 1993 X R 83/91, BFH/NV 1993, 427).
Fundstellen
Haufe-Index 421583 |
BFH/NV 1997, 40 |