Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulassung der Revision in einer Zwischenvermietungssache
Leitsatz (NV)
1. Durch die Rechtsprechung des BFH ist geklärt, daß der einer Steuerfestsetzung bei gefügte Vorbehalt der Nachprüfung das Entstehen eines für die Bindung nach Treu und Glauben notwendigen Vertrauenstatbestands verhindert.
2. Ein vor Ablauf der Festsetzungsfrist gemäß § 164 Abs. 2 AO erlassener Steueränderungsbescheid darf nicht deshalb als nach Ablauf der Festsetzungsfrist ergangen beurteilt werden, weil das FA vor Ablauf dieser Frist keine Außenprüfung durchgeführt hat.
3. Die Vermutung, daß das FG das Vorbringen der Beteiligten auch zur Kenntnis genommen hat, wird nicht schon dadurch entkräftet, daß in den schriftlichen Entscheidungsgründen nicht auf sämtliche Ausführungen im Klageverfahren eingegangen wird.
Normenkette
FGO § 96 Abs. 2, § 115 Abs. 2 Nr. 1; GG Art. 103 Abs. 1; AO 1977 § 164 Abs. 1-2; UStG 1980 § 4 Nr. 12 Buchst. a, § 9 Abs. 1, § 15 Abs. 2 Nr. 1
Tatbestand
Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) erwarb im Rahmen eines Bauherrenmodells einen Miteigentumsanteil an einem Grundstück und ließ eine Eigentumswohnung (Wohnung Nr. 4) errichten. Sie vermietete die Eigentumswohnung an einen gewerblichen Zwischenmieter. Dieser vermietete die Wohnung an einen Endmieter zu Wohnzwecken. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) setzte für 1983 und 1984 (Streitjahre) die Umsatzsteuer unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 der Abgabenordnung -- AO 1977 -- ) fest und berücksichtigte dabei Vorsteuerbeträge aus Rechnungen über die Herstellung der bezeichneten Eigentumswohnung. Die Klägerin hatte erklärt, sie vermiete die Wohnung steuerpflichtig.
Mit Schreiben vom 29. August 1988 teilte das FA der Klägerin mit, es beabsichtige, die Umsatzsteuerfestsetzungen für 1983 und 1984 zu ändern und den Abzug der im Zusammenhang mit der Herstellung der bezeichneten Wohnung stehenden Vorsteuerbeträge nicht zuzulassen, weil für die Einschaltung des gewerblichen Zwischenmieters keine beachtlichen Gründe vorlägen. Nachdem die Klägerin Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten hatte, erließ das FA am 19. Dezember 1988 entsprechende Steueränderungsbescheide. Der Einspruch blieb erfolglos. Die dagegen gerichtete Klage wurde abgewiesen. Der Bundesfinanzhof (BFH) wies die Nichtzulassungsbeschwerde durch Beschluß vom 22. Dezember 1993 zurück.
Ein Antrag der Klägerin, den Abzug der Vorsteuerbeträge aus Rechnungen über Leistungen für die Herstellung der steuerfrei vermieteten Wohnung aus sachlichen Billigkeitsgründen zuzulassen (§ 163 Abs. 1 AO 1977), wurde vom FA durch Bescheid vom 12. Februar 1991 abgelehnt. Die Ober finanzdirektion (OFD) wies die dagegen erhobene Beschwerde durch Entscheidung vom 7. April 1992 zurück.
Die anschließende Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) legte in dem angefochtenen Urteil dar, daß die Finanzbehörden den beantragten Erlaßantrag nicht ermessensfehlerhaft abgelehnt hätten. Bei der Ermessensentscheidung hätten sie weder gegen Treu und Glauben verstoßen noch auf andere Weise schutzwürdiges Vertrauen der Klägerin verletzt.
Mit der Beschwerde beantragt die Klägerin, die Revision gegen die Vorentscheidung zuzulassen, und beruft sich auf die in § 115 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) angeführten Zulassungsgründe. Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Gründe rechtfertigen nicht die Zulassung der Revision.
1. Grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO)
a) Die von der Klägerin als Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung geltend gemachte Frage, ob der Änderung einer unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Steuerfestsetzung der Grundsatz des Vertrauensschutzes entgegenstehen könne, ist nicht klärungsbedürftig. Durch die Rechtsprechung des BFH ist klargestellt, daß der einer Steuerfestsetzung beigefügte Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 AO 1977) das Entstehen eines für die Bindung nach Treu und Glauben notwendigen Vertrauenstatbestands verhindert (BFH-Beschluß vom 11. November 1991 V B 45/91, unter 2. b, BFH/NV 1992, 492). Nur wenn die Voraussetzungen einer bindenden Zusage vorliegen, kann sich ein Steuerpflichtiger gegenüber einer Änderung der Steuerfestsetzung nach § 164 Abs. 2 AO 1977 auf Vertrauensschutz berufen (BFH- Urteil vom 19. Januar 1994 XI R 72/90, BFH/NV 1994, 591).
Auch das von der Klägerin geltend gemachte Unterlassen einer Außenprüfung ist nicht imstande, einen Vertrauensschutz zu schaffen. Selbst wenn eine solche Prüfung durchgeführt worden wäre, würde durch sie kein Vertrauen darauf begründet worden sein, daß das FA auf gesetzlich gebotene Änderungen der unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Steuerfestsetzung verzichten werde (vgl. BFH-Beschluß vom 20. Mai 1992 V B 73/91, BFH/NV 1993, 444).
b) Klärungsbedarf wegen grundsätzlicher Bedeutung besteht ferner nicht, soweit die Klägerin in dem angestrebten Revisionsverfahren prüfen lassen will, ob ein vor Ablauf der Festsetzungsfrist erlassener Steueränderungsbescheid als erst nach Fristablauf ergangen zu betrachten ist, wenn das FA vor Ablauf der Festsetzungsfrist keine ordnungsgemäße Sachverhaltsermittlung durchgeführt hat. In Beziehung auf den Streitfall ist diese Frage ohne weiteres aus dem Gesetz zu beantworten. Das FA darf einen Steuerbescheid unter dem Vorbehalt der Nachprüfung innerhalb der Festsetzungsfrist nach § 164 Abs. 2 AO 1977 ohne jede sachliche Einschränkung ändern (vgl. dazu BFH-Urteil vom 15. Dezember 1992 VIII R 52/91, BFH/NV 1993, 684). Eine Änderung ist nicht erst nach einer weiteren Sachverhaltsaufklärung zulässig.
2. Abweichung von einer Entscheidung des BFH (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO)
Soweit die Klägerin die Zulassung der Revision wegen Abweichung der Vorentscheidung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) von dem Urteil des BFH vom 18. Juni 1993 V R 5/92 (BFH/NV 1994, 421) begehrt, entspricht die Begründung der Beschwerde nicht den gesetzlichen Anforderungen. Insoweit setzt § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO voraus, daß der Beschwerdeführer abstrakte entscheidungserhebliche Rechtssätze aus dem finanzgerichtlichen Urteil und abstrakte Rechtssätze aus einer Diverenz zugäng lichen Entscheidungen des BFH oder des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes so genau darlegt, daß eine Abweichung erkennbar wird (BFH-Beschlüsse vom 1. August 1990 II B 36/90, BFHE 161, 418, BStBl II 1990, 987; vom 30. März 1983 I B 9/83, BFHE 138, 152, BStBl II 1983, 479). Eine derartige Darlegung fehlt.
3. Verfahrenssfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO)
Die Klägerin macht schließlich geltend, das FG habe ihr kein rechtliches Gehör gewährt, weil es sich in der Urteilsbegründung mit wesentlichen Teilen der Klagebegründung nicht auseinandergesetzt habe. Dazu, daß dem FA bereits 1984 sämtliche Unterlagen für die Beurteilung des Zwischenmietverhältnisses vorgelegen hätten, daß das Betriebsfinanzamt bei vergleichbaren Bauherrenmodellen die gewerbliche Zwischenvermietung anerkannt habe, daß das beklagte FA diese Ergebnisse regelmäßig übernommen habe, daß bei dem beklagten FA eine einheitliche Praxis bestanden habe, einen Gestaltungsmißbrauch durch gewerbliche Zwischenvermietung nicht anzunehmen, daß das FA von dieser Rechtsansicht erst auf Anweisung der OFD kurz vor Ablauf der Festsetzungsverjährung und ohne weitere Sachverhaltsermittlung durch Änderungsbescheid abgewichen sei und daß das Zwischenmietverhältnis bei zeitnaher Betriebsprüfung der Bauherrengemeinschaft anerkannt worden wäre, habe das FG nur allgemein Stellung genommen. Es habe ausgeführt, daß wegen des vorhandenen Vorbehalts der Nachprüfung kein Vertrauensschutz beansprucht werden könne und daß ein Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht nicht bestehe. Das FG sei mit dem Hinweis auf die Rechtmäßigkeit der geänderten Steuerfestsetzung einer weiteren Auseinandersetzung mit den vorgetragenen Billigkeitsgründen ausgewichen.
Die Klägerin hat damit nicht eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 des Grundgesetzes -- GG --, § 96 Abs. 2 FGO) schlüssig gerügt.
Art. 103 Abs. 1 GG gewährt dem Beteiligten das Recht, sich über Tatsachen, Beweisergebnisse und die Rechtslage zu äußern (BFH in BFH/NV 1993, 684 mit weiteren Hinweisen auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts). Das FG ist verpflichtet, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und zu erwägen. Davon, daß dies geschehen ist, kann grundsätzlich ausgegangen werden, sofern nicht besondere Umstände des konkreten Falles auf einen diesbezüglichen Verstoß hindeuten. Die Vermutung, daß das FG das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis genommen und erwogen hat, wird nicht schon dadurch entkräftet, daß das FG auf das betreffende Vorbringen in den schriftlichen Entscheidungsgründen nicht ausdrücklich eingegangen ist. Das FG braucht nicht zu jeder Rechtsausführung der Beteiligten Stellung zu nehmen; insbesondere braucht es nicht im einzelnen zu begründen, weshalb es dieser nicht folgt, wenn die tragenden rechtlichen Erwägungen für seine Entscheidung dargestellt werden.
Verfahrensfehler wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs sind nur schlüssig vorgetragen, wenn bezeichnet wird, was nicht hatte vorgetragen werden können und was bei ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs noch vorgetragen worden wäre.
Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdeschrift nicht. Sie gibt nicht an, was nicht vorgetragen werden konnte, sondern legt nur dar, auf welches Vorbringen das FG -- nach Ansicht der Klägerin -- nicht ausdrücklich eingegangen ist. Selbst wenn das im Urteil nicht ausdrücklich erörterte Vorbringen als Vortrag gewertet würde, den die Klägerin nicht habe vorbringen können, scheiterte die Nichtzulassungsbeschwerde daran, daß es an der Darlegung fehlt, weshalb die angefochtene Entscheidung hierauf beruhen kann.
Im übrigen ist zu berücksichtigen, daß das FG entgegen der Annahme der Klägerin deren gesamten Vortrag zur Kenntnis genommen und ihn bei seiner Entscheidung abgewogen, aber für rechtlich unerheblich gehalten hat, wie das Urteil ergibt. Das FG hat den Vortrag der Klägerin im Tatbestand wiedergegeben. Es ist auf einzelne Teile in den Entscheidungsgründen ausdrücklich eingegangen. Im Hinblick auf die eindeutige Rechtslage stellt es keinen Verfahrensfehler dar, daß das FG sich mit den Argumenten der Klägerin im Urteil nicht noch eingehender auseinandergesetzt hat.
4. Die Entscheidung ergeht im übrigen gemäß Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs ohne Bekanntgabe der weiteren Begründung.
Fundstellen