Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitnehmer im steuerlichen Sinn
Leitsatz (NV)
1. Der steuerliche Arbeitnehmerbegriff lässt sich nicht durch Aufzählung bestimmter Merkmale festlegen, sondern wird im Einzelfall durch eine Gesamtwürdigung der Verhältnisse bestimmt.
2. Die Rechtsfrage, ob bei Prostituierten im Rahmen eines Bordellbetriebes steuerliche Arbeitsverhältnisse vorliegen können, ist nicht klärungsbedürftig.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1; LStDV § 1
Verfahrensgang
FG München (Urteil vom 23.06.2003; Aktenzeichen 8 K 5109/02) |
Gründe
Es kann offen bleiben, ob die Beschwerdebegründung die gesetzlichen Anforderungen hinsichtlich der Darlegung eines Zulassungsgrundes (§ 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) erfüllt. Die Beschwerde ist jedenfalls unbegründet. Weder ist eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Sicherung der Rechtseinheit geboten (§ 115 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alternative FGO --Divergenz--), noch ist die Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).
1. Das angefochtene Urteil weicht nicht von der Entscheidung des BFH vom 16. Mai 2002 IV R 94/99 (BFHE 199, 261, BStBl II 2002, 565) ab. Dort ist zwar ausgeführt, es spreche klar für eine selbständige Tätigkeit, wenn die betreffende Person weder Anspruch auf bezahlten Urlaub noch auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle habe. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die genannten Punkte zwingend vorliegen müssten, um ein Arbeitsverhältnis annehmen zu können. Der steuerliche Arbeitnehmerbegriff lässt sich nicht durch Aufzählung bestimmter Merkmale abschließend festlegen, sondern wird im Einzelfall nach dem Gesamtbild der Verhältnisse bestimmt. Dabei sind die für und gegen ein Dienstverhältnis sprechenden Merkmale gegeneinander abzuwägen (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteile vom 14. Juni 1985 VI R 150-152/82, BFHE 144, 225, BStBl II 1985, 661, und vom 23. Oktober 1992 VI R 59/91, BFHE 170, 48, BStBl II 1993, 303). Eine derartige Gesamtwürdigung hat das Finanzgericht (FG) im Streitfall durchgeführt.
Hinsichtlich der Haftung für die Zeit von August 1996 bis November 1997 liegt die behauptete Divergenz gegenüber dem BFH-Urteil vom 17. Februar 1995 VI R 52/94 (BFHE 177, 253, BStBl II 1995, 555) nicht vor, da die Sachverhalte nicht vergleichbar sind. Für die Steuerfestsetzungen aufgrund der vorhergehenden Lohnsteuer-Außenprüfung hatte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) den Vorbehalt der Nachprüfung nicht aufgehoben, so dass eine Änderung durch den angefochtenen Haftungsbescheid nach § 164 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977) möglich war, ohne dass die Änderungssperre des § 173 Abs. 2 AO 1977 entgegenstand.
Die Vorentscheidung weicht auch nicht von dem BFH-Urteil vom 1. Juli 1994 VI R 101/93 (BFH/NV 1995, 297) ab, nach dem im Falle der Arbeitgeberhaftung wegen Zuwendung von Arbeitslohn in einer Vielzahl von Fällen die Lohnsteuer grundsätzlich individuell zu ermitteln und nicht mit einem durchschnittlichen Steuersatz zu schätzen ist. Hiervon besteht nach dem genannten BFH-Urteil dann eine Ausnahme, wenn die Voraussetzungen für eine Schätzung der Lohnsteuer vorliegen. Eine solche Schätzung hat das FG unter Hinweis auf fehlende Aufzeichnungen des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) vorgenommen.
2. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Die von dem Kläger als maßgeblich bezeichnete allgemeine Rechtsfrage, ob in einem Club tätige Prostituierte "als Arbeitnehmer oder Selbständige tätig sind", ist bei wörtlichem Verständnis nicht klärungsfähig. Die Abgrenzung zwischen selbständiger und nichtselbständiger Arbeit im steuerrechtlichen Sinn kann nicht generell nach dem Inhalt der geleisteten Tätigkeit oder nach Berufsgruppen vorgenommen werden, sondern erfordert eine einzelfallbezogene Würdigung nach dem Gesamtbild der Verhältnisse, wobei die für und gegen ein Dienstverhältnis sprechenden Merkmale gegeneinander abgewogen werden müssen. Wird als maßgebliche Rechtsfrage dagegen nach dem vernünftigerweise Gewollten die Frage angesehen, ob die in einem Bordell tätigen Prostituierten als Arbeitnehmerinnen anzusehen sein können, so ist diese Frage nicht klärungsbedürftig. Denn sie ist eindeutig so zu beantworten, wie es das FG in dem angefochtenen Urteil getan hat. Seit dem Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 6. Oktober 1989 - 3 StR 80/89 (Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 1990, 582) ist es einhellige Auffassung, dass bei Prostituierten im Rahmen eines Bordellbetriebes steuerliche Arbeitsverhältnisse vorliegen können, was sich nach der tatsächlichen Ausgestaltung ihrer Tätigkeit sowie ihrer Abhängigkeit und Weisungsgebundenheit richtet.
Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache kann nicht unter Hinweis auf das BFH-Urteil vom 21. Februar 1991 V R 11/91 (BFH/NV 1991, 844) aus einer behaupteten Meinungsverschiedenheit zwischen dem BFH und dem BGH über den Arbeitnehmerbegriff hergeleitet werden. Eine unterschiedliche Auffassung lässt sich der genannten Entscheidung nicht entnehmen. Vielmehr hat der BFH im Zusammenhang mit der Zurechnung der in einer Bar getätigten Umsätze festgestellt, es sei ohne Bedeutung, ob die Bardamen als Arbeitnehmer oder Subunternehmer tätig geworden seien.
Das Vorbringen des Klägers, auch bei Annahme von Arbeitslohn ergebe sich nach dem BFH-Urteil vom 13. März 1974 VI R 212/70 (BFHE 112, 150, BStBl II 1974, 411) keine Lohnsteuerhaftung, da er nicht in den Zahlungsvorgang zwischen Freier und Dirne eingeschaltet gewesen sei, entspricht insofern nicht den Feststellungen des FG, als die Kreditkartenzahlungen von dem Kläger vereinnahmt und an die Prostituierten ausbezahlt wurden (s. 13/14 des Urteils). Im Übrigen ist nicht ersichtlich, worin in diesem Zusammenhang die behauptete grundsätzliche Bedeutung liegen soll. Dies gilt umso mehr, als das genannte Urteil durch die Einfügung des § 38 Abs. 1 Satz 2 (ab 2004 § 38 Abs. 1 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes --EStG--) obsolet geworden ist.
Soweit der Kläger auf eine mögliche Doppelbesteuerung in Bezug auf die von den Prostituierten in ihren Steuererklärungen deklarierten Einkünfte hinweist und mangelnde Bestimmtheit des Haftungsbescheids rügt, macht er letztlich eine unzutreffende Rechtsanwendung durch das FG geltend. Einwände gegen die materielle Richtigkeit der Entscheidung des FG führen indessen nicht zur Zulassung der Revision, weil damit kein Zulassungsgrund i.S. des § 115 Abs. 2 FGO dargetan wird.
Fundstellen
Haufe-Index 1315254 |
BFH/NV 2005, 552 |