Entscheidungsstichwort (Thema)
Verantwortung des Prozeßbevollmächtigten für die Einhaltung der Revisionsfrist
Leitsatz (NV)
Ein Prozeßvertreter kann zwar die routinemäßige Fristenberechnung und Fristenkontrolle einer zuverlässigen und sorgfältig ausgewählten und überwachten Bürokraft überlassen, doch bleibt er verpflichtet, den Fristablauf eigenverantwortlich nachzuprüfen, wenn ihm die Sache zur Vorbereitung der fristgebundenen Prozeßhandlung vorgelegt wird.
Normenkette
FGO § 56 Abs. 1
Tatbestand
Die Beteiligten streiten im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung der Kläger und Revisionskläger (Kläger) für das Streitjahr 1988 um die Anerkennung von Aufwendungen für Übernachtung, Verpflegung sowie An- und Abreise anläßlich einer auswärtigen ärztlichen Behandlung als außergewöhnliche Belastung i. S. von § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Durch Urteil vom 31. August 1994 wies das Finanzgericht (FG) ihre Klage ab, ließ jedoch die Revision zu. Das Urteil ist dem damaligen Verfahrensbevollmächtigten der Kläger am 15. September 1994 zugestellt worden.
Die Revisionsschrift vom 20. Oktober 1994 ging dem FG am 21. Oktober 1994 zu. Die Kläger beantragen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen des Versäumens der Revisionsfrist. Zur Begründung trägt die jetzige Prozeßvertreterin der Kläger vor: Die Revisionsfrist sei durch ein Versehen ihres Büropersonals nicht in das Fristenkontrollbuch eingetragen worden. Die eingehende Post werde nach bürointerner Anweisung durch Mitarbeiter des Sekretariats durchgesehen und Bescheide, Anordnungen und Entscheidungen, durch die eine Frist in Lauf gesetzt werde, würden in ein entsprechendes Fristenkontrollbuch eingetragen. Die Eintragungen würden in erster Linie durch eine langjährige Mitarbeiterin, S, vorgenommen, die als Rechtsanwalts- und Notargehilfin ausgebildet sei und in der Vergangenheit die Fristenkontrolle stets in vollem Umfang zufrieden stellend erledigt habe. Die Führung des Fristenkontrollbuchs werde durch stichprobenweise Kontrollen ständig und laufend überwacht. Anlaß zu Beanstandungen habe es nicht gegeben.
Die angefochtene Entscheidung sei dem Prozeßbevollmächtigten mittels Postzustellungsurkunde am 15. September 1994 zugestellt worden. Danach habe das Sekretariat sie ordnungsgemäß mit einem Eingangsstempel versehen. Die Eintragung in das Fristenkontrollbuch durch S sei jedoch unterblieben. Das Urteil sei in die betreffende Mandantenakte geheftet und diese entsprechend der Büroorganisation abgelegt worden. Am 12. Oktober 1994 hätten die Kläger ihr Revisionsbegehren dem Sekretariat der Kanzlei aufgegeben. Der bisherige Prozeßbevollmächtigte A (Mitglied der Kanzlei) sei an diesem Tag jedoch in den Urlaub gefahren, so daß ihn die Bitte um Revisionseinlegung nicht mehr habe erreichen können. A sei danach ohne Verschulden verhindert gewesen, die Revision fristgerecht einzulegen.
Zur Glaubhaftmachung wurden eidesstatt liche Versicherungen von S und A sowie die Arbeitsanweisung zur Führung des Fristenkontrollbuchs für das Sekretariat vorgelegt. S versichert, sie habe die Urteilsausfertigung laut Anweisung mit einem Eingangsstempel versehen und auf ihr vermerkt, daß der Eingang der Entscheidung im Fristenkontrollbuch erfaßt worden sei. Dies sei jedoch durch ein Versehen unterblieben. A bestätigt diese Angaben und führt weiter aus, er habe mit Schreiben vom 29. September 1994 die Entscheidung den Klägern mit der Bitte um Rücksprache hinsichtlich der weiteren Vorgehensweise übersandt. Anschließend sei der Vorgang in die Mappe "Wiedervorlage" gelegt worden. Die erforderliche Fristerinnerung habe es wegen der fehlenden Eintragung im Fristenkontrollbuch nicht gegeben. Da er ab 14. Oktober 1994 urlaubsbedingt ortsabwesend gewesen sei, habe er die Bearbeitung der noch offenen Vorgänge der jetzigen Bevollmächtigten, einer Mitarbeiterin, übertragen, die bei der kompletten Durchsicht der Vorgänge am 19. Oktober 1994 das Versäumen der Frist entdeckt habe.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unzulässig.
Nach § 120 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Revision innerhalb eines Monats nach Zustellung der Vorentscheidung einzulegen. Diese Frist endete im Streitfall am Montag, dem 17. Oktober 1994. Die am 21. Oktober 1994 beim FG eingegangene Revisionsschrift war daher verspätet.
Der Antrag der Kläger, ihnen wegen Versäumung der Frist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, ist nicht begründet. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 Abs. 1 FGO kann auf Antrag gewährt werden, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Das Verschulden eines Prozeßbevollmächtigten muß sich ein Steuerpflichtiger dabei wie eigenes Verschulden zurechnen lassen (§ 155 FGO i. V. m. § 85 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung -- ZPO --).
Die Versäumung der Revisionsfrist ist im Streitfall nicht allein auf ein Fehlverhalten der S, also ein Büroversehen zurückzuführen.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) darf ein Prozeßvertreter gewisse minder bedeutsame Routineaufgaben einer als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft überlassen, wie z. B. die Berechnung einfacher und in dem jeweiligen Büro geläufiger Fristen, die Eintragung in das Fristenkontrollbuch und die weitere Kontrolle der Fristen (BFH- Beschluß vom 9. Juli 1992 V R 62/91, BFH/NV 1993, 251 m. w. N.). Unterläuft der Bürokraft hierbei ein Versehen, braucht der Prozeßvertreter dieses nicht als eigenes Verschulden zu vertreten, wenn er alle Vorkehrungen dafür getroffen hat, die nach vernünftigem Ermessen geeignet sind, eine Fristversäumnis auszuschließen, und wenn er durch regelmäßige Belehrung und Überwachung seiner Bürokräfte für die Befolgung seiner Anordnungen sorgt (vgl. BFH- Urteil vom 11. Januar 1983 VII R 92/80, BFHE 137, 399, BStBl II 1983, 334).
Von der Fristenberechnung und Fristenkontrolle ist jedoch die Prüfung des Fristablaufs im Zusammenhang mit der Bearbeitung der Sache zu unterscheiden. Denn nur von der routinemäßigen Fristenüberwachung kann sich der Prozeßvertreter entlasten. Er bleibt dagegen verpflichtet, den Fristablauf eigenverantwortlich nachzuprüfen, wenn ihm die Sache zur Vorbereitung der fristgebundenen Prozeßhandlung vorgelegt wird (vgl. BFH-Beschluß vom 8. April 1992 II R 73/91, BFH/NV 1992, 829 m. w. N.). Der Prozeßvertreter muß anläßlich dieser Bearbeitung eine (erneute) Fristenprüfung vornehmen.
Im Streitfall sind A die Vorgänge zur Vorbereitung einer möglichen Revisionseinlegung nach eigenen Angaben spätestens am 29. September 1994 vorgelegt worden, denn an diesem Tag hat er die Kläger angeschrieben. Da dem Prozeßvertreter in einem solchen Fall die Fristensicherung obliegt, ist A auch dann, wenn er die Akte zurück in den Bürobetrieb zur Ablage in eine Wiedervorlagemappe gelangen ließ, von der Wahrung eigener Sorgfaltspflichten hinsichtlich der Einhaltung der Revisionsfrist nicht befreit. A durfte sich nicht darauf beschränken, die Akte mit einer bloßen Wiedervorlageverfügung an das Büro zurückzugeben.
Im Hinblick darauf, daß das Urteil des FG nur mit dem Eingangsstempel und einem Vermerk über die Erfassung im Fristenkontrollbuch versehen war, hätte A vielmehr selbst Maßnahmen treffen müssen, die eine rechtzeitige Wiedervorlage sicherten. Denn die bisherige Behandlung der Fristsache entsprach, wie für A ohne weiteres erkennbar war, nicht der entsprechenden Arbeitsanweisung der Kanzlei. Danach hätte nämlich -- als "wichtigste Notiz" -- das Fristende auf der Urteilsausfertigung vermerkt gewesen sein müssen.
Hinzu kommt, daß auch der am 12. Oktober 1994 (fernmündlich?) eingegangene Auftrag der Kläger, Revision einzulegen, von A unbeachtet geblieben ist. Nach seinem eigenen Bekunden in der eidesstatt lichen Versicherung hätte der Auftrag A noch erreichen können, da er -- entgegen den Angaben im Wiedereinsetzungsantrag -- erst ab dem 14. Oktober 1994 urlaubs bedingt abwesend war. Sollte der Auftrag A gar nicht erreicht haben, weil er nicht ordnungsgemäß weitergeleitet wurde, würde dies die Kläger nicht entlasten. Denn für diesen Fall fehlt es an einem entsprechenden Vortrag dazu, welche organisatorischen Maßnahmen in der Kanzlei zur Vermeidung derartiger Versäumnisse getroffen waren.
Fundstellen
Haufe-Index 420652 |
BFH/NV 1995, 907 |