Entscheidungsstichwort (Thema)
Beteiligung eines Dritten i. S. des § 174 Abs. 5 Satz 1 AO 1977
Leitsatz (NV)
Ein in einem fehlerhaften Steuerbescheid nicht als Steuerschuldner angegebener Dritter war nur dann an dem Verfahren, das zur Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften Steuerbescheids geführt hat, i. S. des § 174 Abs. 5 Satz 1 AO 1977 "beteiligt", wenn er zu diesem Verfahren (förmlich) hinzugezogen (§ 360 AO 1977) oder beigeladen (§ 60 FGO) worden war.
Normenkette
AO 1977 § 174 Abs. 4, 5 S. 1, § 360; FGO § 60
Tatbestand
Die Klägerin und Beschwerdegegnerin (Klägerin) ist eine KG. Komplementärin ist die X-GmbH; Kommanditisten sind Y und Z. Y und Z waren zugleich Gesellschafter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR).
Sowohl die Klägerin als auch die GbR reichten für die Streitjahre (1980 bis 1982) Umsatzsteuererklärungen ein, wobei sich für die GbR jeweils Überschüsse ergaben. Der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt -- FA --) folgte den Erklärungen zunächst (§ 168 der Abgabenordnung -- AO 1977 --). Sodann erfaßte das FA die von der GbR erklärten Besteuerungsgrundlagen allerdings in den Umsatzsteueränderungsbescheiden vom 28. Januar 1987 bei der Klägerin. Eine Betriebsprüfung hatte ergeben, die GbR sei "steuerrechtlich nicht relevant"; die von ihr erklärten Umsätze und Vorsteuern seien bei der Klägerin zu erfassen. Die Umsatzsteuerfestsetzungen gegenüber der GbR hob das FA durch Bescheid vom 25. Februar 1987 auf. Nachdem die GbR dagegen Einspruch eingelegt hatte, zog das FA die Klägerin unter Hinweis auf § 174 Abs. 5 AO 1977 zum Einspruchsverfahren hinzu.
Durch Bescheid vom 12. Oktober 1987 gab das FA dem Einspruch der GbR statt und nahm den Bescheid vom 25. Februar 1987 gemäß § 172 AO 1977 zurück, weil die GbR -- unabhängig von ihrer ertragsteuerlichen Behandlung -- als Unternehmer i. S. des § 2 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980 anzusehen sei. Weiter hieß es in dem Bescheid, hierdurch erledigten sich die Einsprüche der GbR. Die Klägerin hatte dieser Entscheidung nicht zugestimmt. Der Abhilfebescheid vom 12. Oktober 1987 wurde nur der GbR bekanntgegeben.
Ebenfalls am 12. Oktober 1987 änderte das FA die -- mittlerweile bestandskräftig gewordenen -- Umsatzsteuerfestsetzungen vom 28. Januar 1987 gegenüber der Klägerin. Es stützte seine Änderungsbefugnis auf § 174 AO 1977 und für den Umsatzsteuerbescheid 1981 im Hinblick auf einen Rechenfehler zu Lasten des FA zusätzlich auf § 129 AO 1977.
Der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage der Klägerin gab das Finanzgericht (FG) statt. Es verneinte eine Änderungsbefugnis des FA nach den §§ 172 ff. AO 1977. Hierzu legte das FG u. a. dar, die gegenüber der Klägerin ergangenen Bescheide vom 12. Oktober 1987 könnten nicht auf § 174 Abs. 4 AO 1977 gestützt werden. Denn das Einspruchsverfahren der GbR sei ohne einen entsprechenden Antrag der Klägerin und ohne ihre Zustimmung durch Abhilfebescheid abgeschlossen worden. Die Klägerin seit mithin am Einspruchsverfahren nicht (hinreichend) i. S. des § 174 Abs. 5 AO 1977 beteiligt gewesen.
Dagegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde. Das FA begehrt Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --) und wegen eines Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) aufgrund eines Verstoßes des FG gegen den Inhalt der Akten (§ 96 Abs. 1 FGO).
Entscheidungsgründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet.
1. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung i. S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.
Die Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung kommt nur in Betracht wegen einer klärungsbedürftigen und klärbaren Rechtsfrage. An der Klärungsbedürftigkeit fehlt es, wenn eine Rechtsfrage bereits durch eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) geklärt worden ist und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung dieser Frage durch den BFH erforderlich machen (vgl. BFH-Beschluß vom 23. Januar 1992 II B 64/91, BFH/NV 1992, 676; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 115 Rz. 8, 9 m. w. N.). So liegt es im Streitfall.
a) Das FA bezeichnet als grundsätzlich bedeutsam die Rechtsfrage, ob eine Beteiligung eines Dritten i. S. des § 174 Abs. 5 AO 1977 "unabhängig von einer förmlichen Hinzuziehung auch dann gegeben ist, wenn er unmittelbar oder mittelbar am Einspruchsverfahren des Einspruchsführers beteiligt war". Bezogen auf den Streitfall gehe -- so das FA -- die Rechtsfrage dahin, ob eine Personengesellschaft (Klägerin) "über ihre Gesellschafter" bereits dann am Einspruchsverfahren einer anderen Personengesellschaft (GbR) i. S. des § 174 Abs. 5 AO 1977 beteiligt ist, wenn die Gesellschafter beider Gesellschaften identisch sind ("Gesellschafteridentität").
b) Die vom FA herausgehobene Rechtsfrage ist durch die Rechtsprechung des BFH bereits geklärt.
Nach § 174 Abs. 4 Satz 1 AO 1977 können durch Änderung eines bestandskräftigen fehlerhaften Steuerbescheids die richtigen steuerlichen Folgen aus einem Sachverhalt gezogen werden, wenn aufgrund irriger Beurteilung dieses Sachverhalts zunächst ein fehlerhafter Steuerbescheid ergangen ist, der später aufgrund eines Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen durch die Finanzbehörde zu seinen Gunsten aufgehoben oder geändert wird. Gegenüber Dritten ist die Folgeänderung gemäß § 174 Abs. 5 Satz 1 AO 1977 möglich, wenn sie an dem Verfahren, das zur Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften Steuerbescheids geführt hat, beteiligt waren.
Nach ständiger Rechtsprechung des BFH kann ein in dem fehlerhaften Steuerbescheid nicht als Steuerschuldner angegebener Dritter "beteiligt" im Sinne der letztgenannten Vorschrift gewesen sein, wenn er Verfahrensbeteiligter (§ 359 Nr. 2 AO 1977, § 57 Nr. 3 FGO) ist. Das setzt voraus, daß er zu dem Verfahren über die Rechtmäßigkeit des Steuerbescheids, das mit dessen Aufhebung oder Änderung endet, (förmlich) hinzugezogen (§ 360 AO 1977) oder beigeladen (§ 60 FGO) worden ist (vgl. BFH-Urteile vom 11. April 1991 V R 40/86, BFHE 164, 176, BStBl II 1991, 605, unter II. 1.; vom 20. Mai 1992 III R 176/90, BFH/NV 1993, 74, unter 2. b; vom 5. Mai 1993 X R 111/91, BFHE 171, 400, BStBl II 1993, 817, unter 3. a; vom 10. November 1993 I R 20/93, BFHE 173, 184, BStBl II 1994, 327, unter II. A.).
Die vom FA aufgeworfene Rechtsfrage, ob eine Beteiligung i. S. des § 174 Abs. 5 AO 1977 außerhalb einer förmlichen Hinzuziehung oder Beiladung -- etwa unter dem Gesichtspunkt der "Gesellschafteridentität" -- angenommen werden kann, ist mithin nach der Rechtsprechung des BFH bereits entschieden; sie ist zu verneinen. Dies ergibt sich besonders deutlich aus der Entscheidung in BFHE 171, 400, BStBl II 1993, 817, in der es (unter 3. c) heißt, es sei unerheblich, inwieweit der Kläger in seiner Eigenschaft als Mitgesellschafter oder Prozeßvertreter der GbR in das von dieser betriebene Verfahren eingeschaltet und dadurch auf die bevorstehenden Korrekturen vorbereitet war.
c) Neue Gesichtspunkte, die eine erneute Prüfung und Entscheidung der bezeichneten Rechtsfrage durch den BFH erforderlich machen, hat das FA nicht entsprechend den Anforderungen des § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO dargelegt (vgl. dazu BFH-Beschluß in BFH/NV 1992, 676; Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz. 62 m. w. N.).
In dem vom FA hierzu angeführten Urteil des FG Nürnberg vom 21. Juli 1993 III 80/90 (Entscheidungen der Finanzgerichte -- EFG -- 1994, 137) ist die bezeichnete Rechtsprechung des BFH (Urteile in BFHE 164, 176, BStBl II 1991, 605; BFH/NV 1993, 74; BFHE 171, 400, BStBl II 1993, 817, und BFHE 173, 184, BStBl II 1994, 327) nicht berücksichtigt.
Das vom FA ferner vorgelegte Urteil des FG vom 2. März 1994 wegen gesonderter und einheitlicher Feststellung der Einkünfte der Klägerin aus Gewerbebetrieb enthält bezogen auf die vom FA aufgeworfene Rechtsfrage ebenfalls keine neuen, von der bezeichneten BFH-Rechtsprechung abweichenden Argumente. Die Urteilsbegründung stellt vielmehr (unter 2. b) entscheidend darauf ab, daß -- anders als im vorliegenden Streitfall -- die Gesellschafter Y und Z Steuerschuldner (i. S. von § 43 AO 1977) sowohl "auf der Ebene der GbR als auch der Klägerin" gewesen seien und daß Y und Z, vertreten durch ihren Prozeßbevollmächtigten -- anders als hier -- bei einer Besprechung im Rahmen des Einspruchsverfahrens ihr Einverständnis erteilt hätten, die Einkünfte nicht mehr bei der Klägerin zu erfassen.
2. Die Revision kann nicht wegen eines Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) zugelassen werden.
Das FA macht hierzu geltend, das FG habe gegen den Inhalt der Akten verstoßen (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO), indem es die der Betriebsprüfungsakte vorgeheftete Konzernübersicht nicht beachtet habe. Die Übersicht weise die Beteiligungsverhältnisse bezogen auf die Klägerin, auf ihre Komplementärin und auf die GbR im Sinne einer "Gesellschafteridentität" aus.
Dieses Vorbringen rechtfertigt keine Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensmangels. Voraussetzung dafür ist, daß die Vorentscheidung nach dem Rechtsstandpunkt des FG auf dem Verfahrensmangel beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO; vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz. 34 m. w. N.). Daran fehlt es im Streitfall. Das FG ist (unter 2. c) davon ausgegangen, daß die Beteiligung (§ 359 Nr. 2 AO 1977, § 57 Nr. 3 FGO) eines Dritten an dem Verfahren über die Rechtmäßigkeit eines Steuerbescheids, das mit dessen Aufhebung oder Änderung endet, u. a. erfordere, daß dieser zu dem Verfahren hinzugezogen (§ 360 AO 1977) oder beigeladen (§ 60 FGO) worden ist. Von diesem Rechtsstandpunkt aus (der -- wie dargelegt -- der BFH-Rechtsprechung entspricht) waren die Beteiligungsverhältnisse der Gesellschafter an den einzelnen Gesellschaften unerheblich.
Fundstellen