Entscheidungsstichwort (Thema)
Außerordentliche Beschwerde
Leitsatz (NV)
- Eine Zulassung der Beschwerde in den Fällen des § 128 Abs. 3 Satz 1 FGO durch den BFH findet auch nach der Neuregelung der Revisionszulassungsgründe in § 115 Abs. 2 FGO zum 1. Januar 2001 nicht statt.
- Ob eine außerordentliche Beschwerde wegen greifbarer Gesetzeswidrigkeit in den Fällen einer nach § 128 Abs. 3 FGO nicht statthaften Beschwerde in Betracht kommt, kann offen bleiben. Denn jedenfalls reicht es für die Darlegung einer greifbaren Gesetzeswidrigkeit nicht aus, dass der Beschwerdeführer Rechtsfragen von angeblich grundsätzlicher Bedeutung formuliert, die der BFH zunächst klären soll, um dann aus den darauf zu gebenden Antworten selbst herauszufinden, ob sich daraus etwa eine greifbare Gesetzeswidrigkeit der angefochtenen Entscheidung ergibt. Der Beschwerdeführer hat vielmehr selbst die greifbare Gesetzeswidrigkeit so darzulegen, dass sie erkennbar wird und dem Beschwerdegericht sofort "ins Auge springt".
Normenkette
FGO § 114 Abs. 1, § 115 Abs. 2, § 128 Abs. 3
Tatbestand
Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) ist Kundin der Sparkasse (S), bei der sie Tafelpapiere erworben hat. Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Finanzgericht (FG) den Antrag der Antragstellerin, dem Antragsgegner und Beschwerdegegner (Finanzamt für Fahndung und Strafsachen ―FA―) im Wege der einstweiligen Anordnung (§ 114 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―) bis zum Abschluss eines Hauptverfahrens zu untersagen, die anlässlich der Durchsuchung der S (Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss des Amtsgerichts), in Beschlag genommenen Unterlagen, gefertigten Aufzeichnungen sowie gewonnenen Erkenntnisse, soweit sie die Antragstellerin betreffen, zu verwerten, als unzulässig abgelehnt.
Das FG führte dazu aus, dem Antrag fehle das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis, weil dem Begehren der Antragstellerin bereits durch eine zwischen den Beteiligten getroffene vorläufige Regelung genügt sei. Das FA habe sich nämlich der Antragstellerin gegenüber mit Schreiben vom 13. Januar 1999 verpflichtet, "bis zum Abschluss des Hauptverfahrens keine weiteren Ermittlungen und Maßnahmen in dem Besteuerungsverfahren" durchzuführen. Zu dieser Verpflichtung war es gekommen, nachdem eine andere Kundin der S in einem parallel hierzu geführten einstweiligen Rechtsschutzverfahren vor dem FG (Beschluss vom 4. Dezember 1998 X 524/98 V, Entscheidungen der Finanzgerichte ―EFG― 1999, 149; bestätigt vom Bundesfinanzhof ―BFH―, Beschluss vom 25. Juli 2000 VII B 28/99, BFHE 192, 44, BStBl II 2000, 643) erfolgreich war. Die eingegangene Verpflichtung habe das FA eingehalten und im vorliegenden Verfahren ohne Vorbehalte erneut bestätigt. Konkrete gegenteilige Anhaltspunkte, die weitere Ermittlungen oder eine Verwertung der betreffenden Unterlagen im Besteuerungsverfahren belegen könnten, habe die Antragstellerin nicht vorgetragen.
Zwar habe die Antragstellerin geltend gemacht, das FA verstoße gegen die eingegangene Verpflichtung, indem es Auswertungen und Ermittlungen zum Zwecke strafrechtlicher Verfolgung vornehme, nachdem es mit Schreiben vom 2. November 1999 gegen sie ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet habe. Dabei verkenne die Antragstellerin aber, dass sich die vom FA eingegangene Verpflichtung nur auf das Besteuerungsverfahren, nicht jedoch auch auf ein etwaiges strafrechtliches Ermittlungsverfahren beziehe. Selbst wenn die eingegangene Verpflichtung des FA eine solche ausdrückliche Beschränkung auf das Besteuerungsverfahren nicht enthielte, könne der Antrag der Antragstellerin keinen Erfolg haben, denn das FA sei in seiner Funktion als Strafverfolgungsbehörde an das Legalitätsprinzip gebunden und somit gesetzlich verpflichtet, einem steuerstrafrechtlichen Anfangsverdacht nachzugehen. Insoweit bestehe keine Dispositionsbefugnis des FA, die wirksam hätte abbedungen werden können. Selbst eine allgemein gefasste Verpflichtungserklärung hätte daher die Steuerfahndung nur auf dem Gebiet des Steuerrechts binden können. Die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens stelle sich damit nicht als Verstoß gegen die Verpflichtungserklärung des FA dar, so dass die Antragstellerin auch durch die Anordnung des Gerichts keine weiter gehende Verpflichtung des FA erreichen könne. Mit denselben Erwägungen hat das FG auch das Bestehen eines Anordnungsgrundes verneint.
Gegen diese Entscheidung des FG, gegen die das FG die Beschwerde nicht zugelassen hat, wendet sich die Antragstellerin mit der außerordentlichen Beschwerde, der das FG nicht abgeholfen hat. Sie ist der Auffassung, dem FG seien Rechtsfehler von grundsätzlicher Bedeutung unterlaufen, die mit der Rechtsordnung schlechthin unvereinbar und im Sinne der Gesetzesbegründung zu dem neu gefassten § 115 Abs. 2 FGO geeignet seien, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen. Im Einzelnen wirft die Antragstellerin drei Rechtsfragen (Nr. 1-3) auf, die das FG bei seiner Entscheidung zu ihrem Nachteil gesetzeswidrig entschieden oder nicht berücksichtigt habe. Aus diesen Rechtsfragen bzw. Rechtsmängeln möchte die Antragstellerin gefolgert wissen (Nr. 4), dass die angefochtene Entscheidung mit der Rechtsordnung schlechthin unvereinbar (greifbar gesetzeswidrig) und daher aufzuheben sei. Frage Nr. 5 (Bestehen einer Vorlageverpflichtung an das Bundesverfassungsgericht ―BVerfG―) betrifft die gleichzeitig erhobene Gegenvorstellung und richtet sich wie diese an das FG.
Die Antragstellerin beantragt, der Beschwerde nach Klärung der Rechtsfragen Nr. 1-4 in vollem Umfang abzuhelfen und bis zur Entscheidung über die Beschwerde und Gegenvorstellung die Vollziehung des angefochtenen Beschlusses auszusetzen.
Entscheidungsgründe
Das Rechtsmittel, über das der Senat gemäß § 90 Abs. 1 Satz 2 FGO ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entscheidet, ist nicht statthaft und daher als unzulässig zu verwerfen.
1. Nach § 128 Abs. 3 Satz 1 FGO steht den Beteiligten die Beschwerde gegen die Entscheidung des FG über einstweilige Anordnungen nach § 114 Abs. 1 FGO nur zu, wenn sie in der Entscheidung zugelassen worden ist. Das FG hat die Beschwerde in der angefochtenen Entscheidung nicht zugelassen und in der beigefügten Rechtsmittelbelehrung seinen Beschluss ausdrücklich für unanfechtbar erklärt. Mithin ist die Beschwerde als das nach der FGO üblicherweise vorgesehene Rechtsmittel gegen Beschlüsse des FG nicht statthaft.
2. Eine Zulassung der Beschwerde in den Fällen des § 128 Abs. 3 Satz 1 FGO durch den BFH findet nicht statt (ständige Rechtsprechung, vgl. Senatsbeschluss vom 14. März 1996 VII B 4/96, BFH/NV 1996, 629; BFH-Beschluss vom 17. Mai 1994 I B 234/93, BFH/NV 1995, 47, unter Verweis auf die fortgeltende Rechtsprechung des BFH zur Vorgängervorschrift des Art. 1 Nr. 3 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs). Die in § 128 Abs. 3 Satz 2 FGO vorgesehene entsprechende Anwendung des § 115 Abs. 2 FGO regelt nur, nach welchen Kriterien das FG seine Entscheidung, ob die Beschwerde zugelassen werden soll, zu treffen hat. Hat das FG ―wie im Streitfall― die Beschwerde nicht zugelassen, so wird diese Entscheidung vom BFH in keiner Weise überprüft. Der BFH lässt die Beschwerde selbst dann nicht zu, wenn die Verletzung rechtlichen Gehörs gerügt wird (BFH in BFH/NV 1996, 629).
Hieraus folgt, dass die Neuregelung der Revisionszulassungsgründe in § 115 Abs. 2 FGO zum 1. Januar 2001 in Verfahren über einstweilige Anordnungen nach § 114 Abs. 1 FGO ausschließlich für die Zulassungsentscheidung des FG von Bedeutung sein kann. An der festen Übung, dass in solchen Fällen eine Zulassung der Beschwerde durch den BFH nicht in Betracht kommt, hat § 115 Abs. 2 FGO n.F. nichts geändert. Daher ist es auch grundsätzlich nicht behelflich, wenn ―wie im Streitfall― in einer gleichwohl eingelegten Beschwerde vom BFH angeblich zu klärende Rechtsfragen von allgemeinem Interesse aufgeworfen und/oder vom FG angeblich begangene Rechtsfehler von solchem Gewicht behauptet oder dargetan werden, welche im Sinne der Gesetzesbegründung zum neu gefassten § 115 Abs. 2 FGO (BTDrucks 14/4061, 6) geeignet seien, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen.
3. Die Beschwerde ist im Streitfall auch nicht, wie begehrt, als außerordentliche Beschwerde wegen greifbarer Gesetzeswidrigkeit statthaft.
a) Eine solche Beschwerde ist zwar in der FGO nicht vorgesehen, wird ausnahmsweise aber in Fällen, in denen ein Beschluss kraft Gesetzes unanfechtbar wird, dann für zulässig erachtet, wenn der Beschluss unter schwerwiegender Verletzung von Verfahrensvorschriften zustande gekommen ist oder auf einer Gesetzesauslegung beruht, die offensichtlich dem Wortlaut und dem Zweck des Gesetzes widerspricht und die eine Gesetzesanwendung zur Folge hat, die durch das Gesetz ersichtlich ausgeschlossen werden sollte (vgl. Senatsbeschlüsse vom 22. November 1994 VII B 144/94, BFH/NV 1995, 791, und vom 19. Dezember 2000 VII B 301/00, BFH/NV 2001, 425, m.w.N.; s. auch BVerfG, Beschluss vom 25. Juli 2000 2 BvR 1041/00, Deutsche Steuer-Zeitung 2001, 129, worin die Einlegung einer außerordentlichen Beschwerde gegen eine willkürliche Gerichtsentscheidung sogar zur Zulassungsvoraussetzung für eine Verfassungsbeschwerde erhoben wird).
b) Der Senat kann im Streitfall dahingestellt sein lassen, ob eine solche "außerordentliche" Beschwerde auch für Fälle in Betracht kommt, in denen die Beschwerde nach § 128 Abs. 3 FGO nicht statthaft ist. Denn die Voraussetzungen, unter denen eine solche Beschwerde ausnahmsweise zulässig sein könnte, sind im Streitfall nicht schlüssig dargelegt.
Eine schwerwiegende Verletzung von Verfahrensvorschriften durch das FG hat die Antragstellerin nicht behauptet. Das FG hat ordnungsgemäß im Verfahren nach § 114 Abs. 1 FGO entschieden. Die Ablehnung des Erlasses der beantragten einstweiligen Anordnung ist eine der möglichen und damit rechtlich zulässigen Entscheidungen, die das FG in diesem Verfahren treffen kann. Einzelne konkrete Verfahrensverstöße, welche die Antragstellerin etwa in ihren Prozessgrundrechten verletzten, sind weder dargelegt worden noch für den Senat ersichtlich.
Ebenso ist die Antragstellerin eine tragfähige Begründung dafür schuldig geblieben, dass die vom FG gegebene Begründung mit der Rechtsordnung schlechthin unvereinbar und damit greifbar gesetzwidrig oder willkürlich ist. Insbesondere reicht es zur Darlegung der greifbaren Gesetzeswidrigkeit nicht aus, dass der Beschwerdeführer Rechtsfragen von angeblich grundsätzlicher Bedeutung formuliert, die der BFH zunächst klären soll, und/oder auf angebliche Rechtsfehler der angefochtenen Entscheidung hinweist, über deren Vorliegen der BFH zunächst befinden soll (Nr. 1-3), ehe er dann aus der Gesamtschau der darauf zu gebenden Antworten selbst herausfinden soll, ob sich daraus etwa eine greifbare Gesetzeswidrigkeit ergibt, die zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses führen kann (Nr. 4). Die Antragstellerin verkennt, dass sie selbst die greifbare Gesetzeswidrigkeit oder die Willkürlichkeit der angefochtenen Entscheidung so darlegen muss, dass sie erkennbar wird und dem Beschwerdegericht aufgrund der Darlegung sofort "ins Auge springt". Die Behauptung oder Darlegung von bloßen Rechtsfehlern, die dem FG angeblich unterlaufen seien (wie die Nichtbeachtung des Senatsbeschlusses in BFHE 192, 44, BStBl II 2000, 643, aus dem die Antragstellerin ein Verwertungsverbot für das im Streitfall eingeleitete steuerstrafrechtliche Ermittlungsverfahren ableiten möchte; die Nichtbeachtung des sich angeblich aus der Verpflichtungserklärung des FA ergebenden Verwertungsverbots im Steuerstrafverfahren; die Verkennung der von Rechtsprechung und Verwaltung aufgestellten Grundsätze zur einseitigen Verpflichtungserklärung unter Missachtung des Gebots von Treu und Glauben und schließlich die Verkennung der Bedeutung des Legalitätsprinzips), genügt nicht.
4. Über die Gegenvorstellung wird das FG zu befinden haben. Der Senat hat davon abgesehen, die Akten, wie von der Antragstellerin gewünscht, zunächst dem FG zur Entscheidung über die Gegenvorstellung und ―so versteht der Senat den Antrag der Antragstellerin zu II c― über die im Rahmen der Gegenvorstellung vom FG angeblich zu prüfende Frage, ob das Verfahren wegen der behaupteten Verfassungswidrigkeit der sog. "Zinsbesteuerung" im Wege der konkreten Normenkontrolle dem BVerfG vorzulegen sei, zu übersenden. Denn die Entscheidung des FG über die Gegenvorstellung entfaltet keinerlei Vorgreiflichkeit für die hier im Beschwerdeverfahren zu treffende Entscheidung, änderte also nichts an der Unzulässigkeit der erhobenen Beschwerde. Sollte sich die Anregung zur Vorlage an das BVerfG auch an den BFH richten, so möchte der Senat dieser Anregung nicht folgen, da er keinen Zusammenhang der vom BVerfG zu prüfenden Frage mit der im vorliegenden Beschwerdeverfahren zu treffenden Entscheidung erkennen kann.
5. Da die Beschwerde unzulässig ist, erübrigt sich eine Entscheidung über den weiteren Antrag der Antragstellerin, die Vollziehung des angefochtenen Beschlusses einstweilen auszusetzen.
Fundstellen
Haufe-Index 732076 |
BFH/NV 2002, 923 |