Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Glaubhaftmachung eines Wiedereinsetzungsantrags
Leitsatz (NV)
1. Das FG ist im schriftlichen Verfahren nicht gehalten, anläßlich der Glaubhaftmachung eines Wiedereinsetzungsantrags an gebotene Beweise auf Partei- und Zeugenvernehmung auszuschöpfen.
2. Das FG darf sein Urteil auch auf Umstände stützen, die es den vorgelegten Steuer akten entnommen hat, ohne zuvor den Be teiligten davon Mitteilung zu machen.
Normenkette
AO 1977 §§ 95, 110; FGO § 56 Abs. 2 S. 2, § 71 Abs. 2, § 96 Abs. 2; ZPO § 294 Abs. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) erließ nach einer Betriebsprüfung gegen den Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) am 22. Februar 1993 einen nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderten Einkommensteuerbescheid für 1988 (Einkommensteuernachforderung ... DM infolge Annahme eines gewerblichen Grundstückshandels). Erst am 24. Mai 1994 legte der Kläger Einspruch ein und beantragte wegen der Versäumung der Einspruchsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zur Begründung dieses Antrags brachte er vor: Er habe alsbald nach Erhalt des Bescheids am 27. Februar 1993 ein "Widerspruchschreiben" verfaßt und noch an demselben Tag in den Briefkasten vor dem Postamt X eingeworfen. Erst als sich der von ihm beauftragte Steuerberater Y am 17. Mai 1993 telefonisch bei dem FA erkundigt habe, habe er erkennen müssen, daß das Einspruchsschreiben nicht bei dem FA angekommen sei.
Das FA verwarf den Einspruch als unzulässig. Die Klage blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) führte aus: Der Kläger habe zwar auf die Funktionsfähigkeit der Bundespost vertrauen dürfen. Es sei jedoch unglaubhaft, daß das angeführte Schreiben am 27. Februar 1993 verfaßt und in den Briefkasten geworfen worden sei. Der Kläger mache insoweit einen unzuverlässigen Eindruck (Abgabe der Steuererklärung für 1988 um Jahre verzögert, erheblich verspäteter Einspruch auch gegen den Einkommensteuer-Erstbescheid für 1988 vom 27. Februar 1991, kein Einspruch gegen den Gewerbesteuermeßbetragsbescheid 1988, Untätigbleiben nach Erhalt einer Mahnung der Finanzkasse vom 16. April 1993, Art und Weise des Auftretens des Steuerberaters Y). Auch die in diesem Zusammenhang gegebene Darstellung, das Schreiben vom 27. Februar 1993 sei von der Angestellten Z auf der Maschine geschrieben worden, sei nicht glaubhaft (Urlaubsantritt der Z, keine Arbeit einer geschulten Schreibkraft). Letztlich komme es aber auf die Zweifel an dem Einsatz von Z nicht entscheidend an. Sollte das Schreiben tatsächlich verfaßt worden sein -- sei es vom Kläger oder von Z --, bleibe die Behauptung des Klägers, er habe es in den Briefkasten geworfen, un glaubhaft. Vor dem Hintergrund des steuerlichen Verhaltens des Klägers habe seine Erklärung keinen Wahrscheinlichkeitswert. Die Erklärung sei kein Beweismittel. Das FA habe sich zu Recht weigern dürfen, die Erklärung als eidesstattliche Versicherung entgegenzunehmen; denn eine eidesstattliche Versicherung sei gemäß § 95 AO 1977 das letzte Mittel bei der Erforschung der Wahrheit. Es lägen jedoch, wie dargestellt, eine nicht geringe Zahl von Indizien vor, die eine Überzeugungsbildung -- hier allerdings zuungunsten des Klägers -- zuließen (Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH --) vom 8. Februar 1989 X B 147/88, BFH/NV 1989, 481).
Der Kläger macht mit der Nichtzulassungsbeschwerde Verfahrensmängel und grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend: Das FG habe ihm nicht ausreichend rechtliches Gehör gewährt. Es habe seine und die eidesstattliche Versicherung der Z inhaltlich verworfen, ohne ihn und Z in einer mündlichen Verhandlung persönlich zu hören. Er habe auf Anfrage des FG zwar auf eine mündliche Verhandlung verzichtet, dies jedoch nur unter der Voraussetzung, daß die eidesstattlichen Versicherungen vom FG als inhaltlich richtig behandelt würden. Das FG habe seine Entscheidung ferner auf Tatsachen gestützt, zu denen er, der Kläger, sich nicht habe äußern können (jahrelange Nichtabgabe der Steuererklärungen 1988, verspätete Einlegung des Einspruchs gegen den Erstbescheid). Hätte das FG deutlich gemacht, daß es beabsichtige, diese Tatsachen zu verwerten, hätte er darauf hingewiesen, daß er die Steuererklärung deswegen verspätet abgegeben habe, weil er die Rechtsauffassung des FA, er sei ein gewerblicher Grundstückshändler, nicht geteilt habe. Jedenfalls könne aus den angeführten Umständen nicht der Schluß gezogen werden, er habe das schon geschriebene Widerspruchschreiben nicht eingeworfen. Die Frage, ob das FG eidesstattliche Versicherungen ohne Anhörung als unrichtig behandeln dürfe, habe auch grundsätzliche Bedeutung.
Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unbegründet.
Die geltend gemachten Verfahrensmängel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --) liegen nicht vor. Es kann dem Kläger nicht darin gefolgt werden, daß das FG zwecks Gewährung rechtlichen Gehörs eine mündliche Verhandlung hätte anberaumen müssen, damit der Kläger -- so wird man sein Vorbringen verstehen können -- sich selbst und die Zeugin Z als präsente Beweismittel (§ 294 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung -- ZPO --) zur persönlichen Vernehmung und zur weiteren Glaubhaftmachung seines Wiedereinsetzungsantrags hätte anbieten können. Hierzu bestand wegen des beiderseitigen Verzichts auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung (§ 90 Abs. 2 FGO) kein Anlaß. Unerheblich ist, wenn der Kläger bei Abgabe seiner Verzichtserklärung die Vorstellung gehabt haben sollte, das FG gehe von der Richtigkeit der vorgelegten Erklärungen aus. Das Anfrageschreiben des FG vom 10. November 1993 gibt keinen Anhalt für die Erwartung des Klägers.
Der Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör ist auch nicht dadurch verletzt worden, daß das FG das Urteil auf Tatsachen gestützt hätte, zu denen sich der Kläger nicht äußern konnte (§ 96 Abs. 2 FGO). Das gilt auch für die vom FG aus den Steuer akten entnommenen und zu Lasten des Klägers verwerteten Umstände, er habe für 1988 jahrelang keine Steuererklärungen abgegeben und bereits gegen den Erstbescheid mit mehreren Monaten Verspätung Einspruch eingelegt. Das FG ist nicht gehalten, dem Kläger mitzuteilen, welche Tatsachen die nach § 71 Abs. 2 FGO vorgelegten Steuerakten enthalten und wie es sie zu verwerten gedenkt; der Kläger hatte die Möglichkeit, sich rechtliches Gehör zu verschaffen, indem er gemäß § 78 Abs. 1 FGO Akteneinsicht genommen hätte (BFH- Urteile vom 10. Januar 1968 I R 47/66, BFHE 91, 338, BStBl II 1968, 349; vom 18. April 1975 III R 159/72, BFHE 115, 527, BStBl II 1975, 741; vom 12. August 1986 VII R 138/83, BFH/NV 1987, 219).
Der Rechtsstreit hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO). Der Vorentscheidung liegt ersichtlich die Rechtsauffassung zugrunde, daß bei der Prüfung, ob die Gründe für einen Wiedereinsetzungsantrag glaubhaft gemacht sind (§ 56 Abs. 2 Satz 2 FGO), nur die im Zeitpunkt der Entscheidung präsenten Beweismittel zu berücksichtigen sind. Diese Rechtsauffassung entspricht den gesetzlichen Vorschriften (§ 294 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 155 FGO, s. auch BFH-Beschluß vom 13. Januar 1987 IX B 12/84, BFH/NV 1987, 656, 659). Die vom Kläger befürwortete Einschränkung, das FG dürfe vorge legte (eidesstattliche) Versicherungen nur dann für unglaubhaft halten, wenn es zuvor die versichernden Personen persönlich gehört habe, ist im Gesetz nicht angedeutet. Sie würde auch dem Zweck der Glaubhaftmachung widersprechen, im Interesse einer zügigen Behandlung des Wiedereinsetzungsantrags von einer vollen Überzeugung des Gerichts abzusehen und sich stattdessen mit einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit zu begnügen (Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 96 Anm. 20).
Fundstellen
Haufe-Index 420407 |
BFH/NV 1995, 625 |