Entscheidungsstichwort (Thema)
NZB: Verstoß gegen das Gebot wirksamen Rechtsschutzes
Leitsatz (NV)
Die Entscheidung des FG, die Klage sei unzulässig, beruht dann auf einem Verfahrensmangel (Verstoß gegen das Gebot wirksamen Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 GG), wenn das Gericht bei einer sachdienlichen Auslegung der von den Klägern im außergerichtlichen und im gerichtlichen Verfahren gestellten Anträge über das Klagebegehren sachlich hätte entscheiden können.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 126 Abs. 4; GG Art. 19 Abs. 4
Verfahrensgang
Niedersächsisches FG (Urteil vom 30.01.2002; Aktenzeichen 12 K 103/99) |
Gründe
Die Beschwerde kann keinen Erfolg haben.
1. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) rügen allerdings zu Recht, dass das Finanzgericht (FG) ihnen einen wirksamen Rechtsschutz versagt hat, weil es über die Frage, ob der Vorläufigkeitsvermerk in den Einkommensteuerbescheiden 1992 bis 1996 hinsichtlich der beschränkten Abzugsfähigkeit von Vorsorgeaufwendungen sich auch auf die Kürzung des Vorwegabzugs bezieht, keine Entscheidung getroffen hat.
Die dem Rechtsstaatsprinzip und dem daraus folgenden Gebot wirksamen Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes --GG--) widersprechende Behandlung eines Verfahrens durch ein FG stellt einen Verfahrensmangel dar. Art. 19 Abs. 4 GG garantiert nicht nur den allgemeinen Zugang zum Gericht, sondern gewährleistet eine tatsächlich wirksame Kontrolle der Ausübung öffentlicher Gewalt (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 23. Februar 1999 IX R 19/98, BFHE 188, 264, BStBl II 1999, 407). Wirksamer Rechtsschutz bedeutet auch, dass ein FG über das Klagebegehren der Kläger sachlich entscheidet, sofern verfahrensrechtliche Vorschriften dem nicht entgegenstehen.
Im Streitfall wollten die Kläger erkennbar geklärt haben, ob sich der Vorläufigkeitsvermerk auch auf die Kürzung des Vorwegabzugs bezog, und vorrangig diese Kürzung rückgängig gemacht haben. Eine Entscheidung über diese Frage hätte das FG ohne weiteres treffen können, wenn es die von den Klägern im außergerichtlichen und im gerichtlichen Verfahren gestellten Anträge sachdienlich ausgelegt hätte. Der Einspruch der Kläger gegen die bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide 1992 bis 1996 mit dem Ziel, eine Korrektur des Vorwegabzugs zu erreichen, stellt bei sachgerechter Auslegung einen Antrag auf Änderung der Bescheide nach § 165 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977) dar. Nach der Ablehnung der Änderung durch den Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) haben die Kläger ihr Begehren im Klagewege weiterverfolgt und beim FG einen entsprechenden Klageantrag gestellt. Das FG hätte darum entscheiden müssen, ob die Voraussetzungen für die beantragte Änderung vorlagen.
2. Die Beschwerde ist gleichwohl unbegründet.
Nach ständiger Rechtsprechung des BFH sind im Rahmen der Prüfung, ob die Revision wegen des Vorliegens eines Verfahrensverstoßes (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) zugelassen werden soll, in entsprechender Anwendung des § 126 Abs. 4 FGO die Erfolgsaussichten einer zukünftigen Revision zu berücksichtigen, um im Interesse der Prozessökonomie zu verhindern, dass eine Revision zugelassen wird, von der ohnehin feststeht, dass sie im Ergebnis keinen Erfolg haben kann (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 26. Juni 1992 III B 72/91, BFH/NV 1992, 722, und vom 18. März 1994 III B 458/90, BFH/NV 1994, 882). Dabei ist die Prüfung, ob sich das FG-Urteil trotz eines Verfahrensmangels "aus anderen Gründen" gemäß § 126 Abs. 4 FGO als richtig erweist, nach der Rechtsauffassung des Revisionsgerichts vorzunehmen.
Im vorliegenden Fall könnte die Revision trotz des von den Klägern zu Recht geltend gemachten Verfahrensverstoßes durch das FG keinen Erfolg haben, weil sich die Entscheidung des FG, die Klage sei unbegründet, im Ergebnis als zutreffend erweist.
Wie der X. Senat des BFH mit Urteil vom 27. November 1996 X R 20/95 (BFHE 183, 348, BStBl II 1997, 791) entschieden hat, erstreckt sich in den Fällen, in denen das FA die Steuerfestsetzung "im Hinblick auf anhängige Verfassungsbeschwerden hinsichtlich der beschränkten Abzugsfähigkeit von Vorsorgeaufwendungen" gemäß § 165 Abs. 1 AO 1977 für vorläufig erklärt hat, die Vorläufigkeit nicht auf die Frage, ob der Steuerpflichtige zum Abzug von Sonderausgaben mit oder ohne Kürzung des Vorwegabzugs berechtigt ist. Dieser Entscheidung hat sich der erkennende Senat angeschlossen (vgl. Urteil vom 26. Februar 2004 XI R 50/03, BFH/NV 2004, 1064).
3. Von einer weiteren Begründung des Beschlusses sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO ab.
Fundstellen