Entscheidungsstichwort (Thema)
Erfüllung eines Benennungsverlangens gemäß § 160 AO 1977
Leitsatz (NV)
- Hat der Steuerpflichtige dem Benennungsverlangen voll entsprochen, ist es nach dem eindeutigen Wortlaut des § 160 AO 1977 ausgeschlossen, die Betriebsausgabe/Schuld wegen Nichtbenennung des Empfängers/Gläubigers steuerlich nicht zu berücksichtigen. Für eine Ermessensausübung ist insoweit kein Raum mehr.
- Die Frage, welche Sachverhaltsaufklärung dem Steuerpflichtigen zumutbar ist und welche Anforderungen an seine Aufklärungsbemühungen zu stellen sind, wenn er durch Verfahrensverzögerungen der Finanzbehörden in Beweisnot geraten ist und deshalb das Benennungsverlangen nicht mehr erfüllen kann, ist eine Tat- und keine Rechtsfrage.
- Auf die Benennung des Empfängers i.S. des § 160 AO 1977 kann nur dann verzichtet werden, wenn er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit im Inland nicht steuerpflichtig ist. Die bloße Möglichkeit, dass er im Inland nicht steuerpflichtig ist, reicht allein nicht aus, um von der Rechtsfolge des § 160 AO 1977 abzusehen. Die Rechtsfolge der Norm ist somit nicht schon dann ausgeschlossen, wenn keine konkreten Anhaltspunkte für eine inländische Steuerpflicht des Empfängers bestehen, sondern erst dann, wenn dem FA oder dem FG Tatsachen bekannt sind, nach denen er mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit im Inland nicht steuerpflichtig ist.
Normenkette
AO 1977 § 160; FGO § 115 Abs. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist eine inländische GmbH. Ihre Gesellschafter waren ab Mai 1988 E und K. K hielt seinen Anteil an der Klägerin als Treuhänder des E, der u.a. in den Jahren 1988 und 1989 (Streitjahre) Geschäftsführer der Klägerin war.
Im Herbst 1988 vermittelte die Klägerin den Verkauf eines Grundstücks in Hamburg und erhielt dafür eine Vermittlungsprovision von … DM. An der Vermittlung war nach Angabe der Klägerin neben anderen Personen auch die C-AG ―eine Kapitalgesellschaft mit Sitz in Liechtenstein― beteiligt, der nach einer mit der Klägerin im Herbst 1988 abgeschlossenen Vereinbarung die Hälfte der an die Klägerin gezahlten Vermittlungsprovision zustand. Daher passivierte die Klägerin in ihrer Bilanz zum 31. Dezember 1988 eine Verbindlichkeit gegenüber der C-AG in Höhe von … DM.
Am 13. Januar 1989 überwies die Klägerin auf ein Rechtsanwalt-Anderkonto des K, der auch Berater der C-AG war, … DM zur Weiterleitung an die C-AG. K hob am 27. Januar 1989 von dem Konto … DM in bar ab und leitete den Betrag nach seinen Angaben an die C-AG weiter. Den Restbetrag von … DM ―die Umsatzsteuer auf die Provision der C-AG― überwies K am 20. Februar 1989 an die Klägerin zurück. Die C-AG bestätigte K mit Schreiben vom 14. Januar 1994, von ihm auf Grund des Gemeinschaftsgeschäfts mit der Klägerin Ende Januar 1989 … DM in bar erhalten zu haben.
Nach einer Außenprüfung im Jahr 1993 vertrat das seinerzeit für die Besteuerung der Klägerin zuständige Finanzamt (FA X) die Auffassung, eine Verbindlichkeit der Klägerin gegenüber der C-AG sei steuerlich nicht zu berücksichtigen; die Klägerin habe weder nachgewiesen, dass die C-AG eine Vermittlungsleistung erbracht habe, noch sei sie der Aufforderung der Betriebsprüfungsstelle vom 17. März 1995 nachgekommen, die hinter der C-AG stehenden Gesellschafter zu benennen. Das FA X erließ im Juli 1995 Steuer-, Steuermess- und Feststellungsbescheide, denen diese Rechtsauffassung zu Grunde liegt. Die Einsprüche gegen die Bescheide wies der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―), der inzwischen für die Besteuerung der Klägerin zuständig geworden war, durch Einspruchsentscheidung vom 8. Dezember 1999 als unbegründet zurück. Auch die Klage war erfolglos. Die Revision ließ das Finanzgericht (FG) nicht zu. Das FG-Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2002, 881 veröffentlicht. Es wurde der Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 19. März 2002 zugestellt.
Mit Schriftsatz vom 17. April 2002, der erst am 22. April 2002 und damit nach Ablauf der Beschwerdefrist des § 116 Abs. 2 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) beim Bundesfinanzhof (BFH) einging, hat die Klägerin wegen der Nichtzulassung der Revision Beschwerde eingelegt. Sie beantragt sinngemäß, die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache, zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung und Verfahrensmängeln zuzulassen. Wegen der Versäumung der Beschwerdefrist hat sie Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
Das FA beantragt, die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist zum Teil unzulässig und im Übrigen unbegründet. Sie war insgesamt als unbegründet zurückzuweisen.
1. Der Klägerin ist wegen Versäumung der Beschwerdefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 56 FGO). Sie hat glaubhaft gemacht, dass sie ohne Verschulden der für sie handelnden Personen gehindert war, die Beschwerdefrist einzuhalten. Nach der vorgelegten eidesstattlichen Versicherung einer Mitarbeiterin der Prozessbevollmächtigten der Klägerin wurde der an den BFH adressierte Brief mit der Beschwerdeschrift vom 17. April 2002 am gleichen Tag um 16.15 Uhr in einen Postbriefkasten im Hamburg eingeworfen, der um 17.00 Uhr geleert wird. Bei einer normalen Postlaufzeit für Briefe innerhalb Deutschlands von höchstens zwei Werktagen konnte die Prozessbevollmächtigte daher davon ausgehen, dass die Beschwerdeschrift noch innerhalb der am 19. April 2002 (einem Freitag) endenden Beschwerdefrist beim BFH eingehen würde. Dass sie erst am 22. April 2002 einging, beruhte auf einer von der Klägerin und ihrer Prozessbevollmächtigten nicht zu vertretenden Verzögerung der Postbeförderung.
2. Soweit die Klägerin die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache begehrt (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO), ist die Beschwerde nicht statthaft.
Gemäß § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO müssen in der Beschwerdebegründung die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO dargelegt werden. Dazu muss der Beschwerdeführer eine bestimmte für die Entscheidung des Rechtsstreits erhebliche abstrakte Rechtsfrage formulieren, die seiner Auffassung nach klärungsbedürftig ist. Außerdem muss er konkret und substantiiert vortragen, weshalb seiner Auffassung nach die Klärung dieser Frage aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit oder der Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt (vgl. BFH-Beschluss vom 17. Juli 2002 I B 119/01, BFH/NV 2002, 1600, m.w.N.). An diesem Vortrag fehlt es.
Zwar hat die Klägerin sinngemäß die Frage formuliert, nach welchen Kriterien die Finanzbehörden und die FG das ihnen in § 160 der Abgabenordnung (AO 1977) eingeräumte Ermessen auszuüben haben, wenn der Steuerpflichtige dem Benennungsverlangen vollständig entsprochen hat. Es fehlen aber Ausführungen dazu, dass diese Frage entscheidungserheblich und klärungsbedürftig ist. Beides ist zu verneinen. Entscheidungserheblich ist im Streitfall nur, ob die Klägerin dem Benennungsverlangen vollständig entsprochen hat, also die Person mit Name und Anschrift benannt hat, an die der in der Betriebsausgabe enthaltene wirtschaftliche Wert übertragen wurde (s. BFH-Entscheidungen vom 25. August 1986 IV B 76/86, BFHE 149, 381, BStBl II 1987, 481; vom 4. April 1996 IV R 55/94, BFH/NV 1996, 801, m.w.N.). Die Rechtsfrage, wie sich die vollständige Erfüllung eines Benennungsverlangens auf die Ermessensausübung des FA bzw. FG auswirkt, ist dagegen nicht klärungsbedürftig. Hat der Steuerpflichtige dem Benennungsverlangen voll entsprochen, ist es nach dem eindeutigen Wortlaut des § 160 AO 1977 ―ggf. i.V.m. § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO― ausgeschlossen, die Betriebsausgabe oder Schuld wegen Nichtbenennung des Empfängers bzw. Gläubigers steuerlich nicht zu berücksichtigen. Für eine Ermessensausübung ist insoweit kein Raum mehr (s. BFH-Urteil vom 30. August 1995 I R 126/94, BFH/NV 1996, 267).
Die zweite von der Klägerin formulierte Frage, welche Sachverhaltsaufklärung dem Steuerpflichtigen zumutbar ist und welche Anforderungen an seine Aufklärungsbemühungen zu stellen sind, wenn er durch Verfahrensverzögerungen der Finanzbehörden in Beweisnot geraten ist und deshalb das Benennungsverlangen nicht mehr erfüllen kann, ist Tat- und keine Rechtsfrage. Die Lebenssachverhalte, die zur Anwendung des § 160 AO 1977 führen können, sind vielfältig. Deshalb hängt die Antwort auf die gestellte Frage von den Umständen des Einzelfalles ab, die zu beurteilen im Wesentlichen Aufgabe des FG als Tatsacheninstanz ist (s. BFH-Entscheidungen vom 17. Oktober 2001 I R 19/01, BFH/NV 2002, 609; vom 16. Januar 2003 VIII B 114/01, BFH/NV 2003, 738). Selbst wenn die Frage als Rechtsfrage anzusehen wäre, reicht der Vortrag der Klägerin als Darlegung der Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO nicht aus. Die Klägerin hat nicht substantiiert vorgetragen, weshalb die Frage ihrer Auffassung nach klärungsbedürftig ist. Dazu hätte insbesondere wegen § 90 Abs. 2 Satz 3 AO 1977 Anlass bestanden. Nach dieser Vorschrift kann sich der Steuerpflichtige in Fällen wie dem Streitfall nicht darauf berufen, dass er Sachverhalte nicht mehr aufklären oder Beweismittel nicht mehr beschaffen kann, wenn er sich zeitnah zu seiner Leistung und somit in der Regel schon lange vor dem Benennungsverlangen die Möglichkeit dazu hätte beschaffen oder einräumen lassen können (s. BFH-Entscheidungen vom 6. April 1993 XI B 94/92, BFH/NV 1993, 633; vom 27. Juni 2001 I R 46/00, BFH/NV 2002, 1; in BFH/NV 2002, 609).
3. Auch soweit die Klägerin die Zulassung der Revision wegen Verfahrensmängeln (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) mit der Begründung begehrt, das FG habe zu Unrecht das Benennungsverlangen der Finanzbehörde als ermessensfehlerfrei angesehen und es habe außerdem die Beweislastverteilung und die Beweisanforderungen verkannt, ist die Beschwerde unzulässig. Damit macht die Klägerin keine Verfahrensmängel geltend, sondern legt materiell-rechtliche Fehler dar, die dem FG ihrer Auffassung nach unterlaufen sind. Derartige Fehler können zwar, sofern das FG-Urteil tatsächlich auf ihnen beruht, zum Erfolg einer Revision führen, nicht aber zu einer Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO.
4. Soweit die Klägerin die Zulassung der Revision mit der Begründung begehrt, das FG-Urteil weiche von dem BFH-Urteil in BFH/NV 1996, 267 ab und daher erfordere die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung im Streitfall eine Entscheidung des BFH (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO), ist die Beschwerde unbegründet.
Zur angeblichen Abweichung hat die Klägerin vorgetragen: Nach dem Urteil in BFH/NV 1996, 267 dürfe der Betriebsausgabenabzug gemäß § 160 AO 1977 nur versagt werden, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass der Empfänger im Inland steuerpflichtige Einnahmen erzielte und diese steuerlich nicht erfasst wurden. Das FG habe es dagegen für die Anwendung des § 160 AO 1977 als ausreichend angesehen, dass eine inländische Steuerpflicht des unbekannten Empfängers der Provision nicht auszuschließen sei.
Die von der Klägerin behauptete Divergenz besteht nicht. Das Senatsurteil in BFH/NV 1996, 267 enthält keine derartige Einschränkung. Sie widerspräche auch den Ausführungen im Senatsurteil vom 13. März 1985 I R 7/81 (BFHE 145, 502, BStBl II 1986, 318). Danach kann gemäß § 160 AO 1977 auf die Benennung des Empfängers nur dann verzichtet werden, wenn der Empfänger mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit im Inland nicht steuerpflichtig ist; die Möglichkeit, dass er im Inland nicht steuerpflichtig ist, reicht allein nicht aus, um von der Rechtsfolge des § 160 AO 1977 abzusehen. Die Rechtsfolge der Norm ist somit nicht schon dann ausgeschlossen, wenn keine konkreten Anhaltspunkte für eine inländische Steuerpflicht des Empfängers bestehen, sondern erst dann, wenn dem FA oder dem FG Tatsachen bekannt sind, nach denen mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit keine inländische Steuerpflicht besteht. Davon ist erkennbar auch das FG ausgegangen.
5. Auch soweit die Klägerin die Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO mit der Begründung begehrt, das FG habe verfahrensfehlerhaft Zeugenaussagen nicht berücksichtigt, die nennenswerte wirtschaftliche Aktivitäten und insbesondere die Vermittlungstätigkeit der C-AG in den Streitjahren bestätigt hätten, ist die Beschwerde unbegründet.
Das FG hat die Aussagen der Zeugen A und B ausführlich gewürdigt und bei seiner Entscheidung berücksichtigt (s. S. 18, 21 und 22 des FG-Urteils). Dass es die Aussagen anders als die Klägerin gewürdigt hat, ist kein Verfahrensmangel. Auch die Aussage des Zeugen C hat das FG berücksichtigt. Im Tatbestandsteil des Urteils (dort S. 5) hat es die Aussage des Zeugen gerafft wieder gegeben. In den Entscheidungsgründen hat es sie ―ohne Nennung des Namens dieses Zeugen― dahin gehend gewürdigt, dass die C-AG möglicherweise gelegentlich Vermittlungsgeschäfte unterstützt oder vorgenommen habe (S. 18 des FG-Urteils).
Fundstellen