Entscheidungsstichwort (Thema)
Zum Merkmal "alsbald" i. S. des §105 Abs. 4 Satz 3 FGO
Leitsatz (NV)
1. Ein Urteil, das bei seiner Verkündung noch nicht vollständig abgefaßt war, und dessen von den Berufsrichtern unterschriebene Urteilsformel rechtzeitig der Geschäftsstelle übergeben wurde (§105 Abs. 4 Satz 2 FGO), gilt als nicht mit Gründen versehen, wenn nicht Tatbestand und Entscheidungsgründe binnen fünf Monaten nach Verkündung schriftlich niedergelegt, von den Richtern besonders unterschrieben und der Geschäftsstelle übergeben werden.
2. Die Formulierung "es dürfte daher ein Verfahrensfehler im Sinne der absoluten Revisionsgründe vorliegen" wird den Anforderungen des §120 Abs. 2 Satz 2 FGO an eine aus sich heraus verständliche Revisionsbegründung nicht gerecht.
Normenkette
FGO § 116 Abs. 1 Nr. 5, § 105 Abs. 4 S. 3, § 120 Abs. 2 S. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erzielte in den Streitjahren (1978 bis 1981) neben Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit als Maschinenbauingenieur Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit aus Industrieberatung und dem Betrieb eines nebenberuflichen Konstruktionsbüros.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) erließ aufgrund einer beim Kläger erfolgten Außenprüfung geänderte Einkommensteuer- und Umsatzsteuerbescheide 1978 bis 1981.
Das Finanzgericht (FG) wies die dagegen gerichtete Klage ab. Es war der Auffassung, das FA habe zu Recht die strittigen Betriebsausgaben als nicht betrieblich veranlaßt angesehen und es habe zu Recht die ungeklärten Einnahmen den Einnahmen des Klägers hinzugerechnet. Die Kürzung der vom Kläger geltend gemachten Vorsteuern sei ebenfalls nicht zu beanstanden, da der Zusammenhang der Vorbezüge mit der unternehmerischen Tätigkeit des Klägers nicht nachgewiesen sei.
Mit der auf §116 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gestützten Revision rügt der Kläger, das Urteil des FG habe, vollständig abgefaßt, jedoch ohne Unterschriften erst am 17. Februar 1997, mithin mehr als fünf Monate nach seiner Verkündung, der Geschäftsstelle vorgelegen; es sei daher nicht mit Gründen versehen. Der Kläger trägt weiter vor, ein Verfahrensfehler im Sinne der absoluten Revisionsgründe dürfte auch darin liegen, daß ein Protokoll über einen Erörterungstermin am 10. August 1984 in den Akten nicht auffindbar sei. Ein solches Protokoll sei den Beteiligten nicht zugestellt worden. Es könne auch nicht festgestellt werden, ob ein Protokoll i. S. der §§159 ff. der Zivilprozeßordnung (ZPO) überhaupt erstellt worden sei.
Der Kläger beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und den Rechtsstreit an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unzulässig (§126 Abs. 1 FGO).
Gemäß Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) findet abweichend von §115 Abs. 1 FGO die Revision nur statt, wenn das FG oder auf die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof (BFH) sie zugelassen hat oder wenn ein Fall der zulassungsfreien Revision gemäß §116 FGO gegeben ist. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
1. Weder das FG noch der BFH haben die Revision des Klägers zugelassen. Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision hat der erkennende Senat durch Beschluß als unzulässig verworfen.
2. Gründe, die eine zulassungsfreie Revision gemäß §116 FGO gerechtfertigt erscheinen lassen, sind nicht gegeben. Der Senat läßt offen, ob das Vorbringen des Klägers, er habe bei seiner Akteneinsicht am 18. März 1997 ein vollständig abgefaßtes, von den Richtern unterschriebenes Urteil nicht vorgefunden, eine schlüssige Rüge des geltend gemachten Verfahrensfehlers darstellt. Der geltend gemachte Verfahrensfehler liegt jedenfalls nicht vor.
Ein Urteil, das bei der Verkündung noch nicht vollständig abgefaßt war, ist vor Ablauf von zwei Wochen, vom Tag der Verkündung an gerechnet, vollständig abgefaßt der Geschäftsstelle zu übergeben (§105 Abs. 4 Satz 1 FGO). Zur Erfüllung dieser Voraussetung genügt entsprechend § 105 Abs. 4 Satz 2 FGO die Niederlegung der von den Berufsrichtern unterschriebenen Urteilsformel. In diesem Fall sind Tatbestand, Entscheidungsgründe und Rechtsmittelbelehrung alsbald nachträglich niederzulegen, von den Richtern besonders zu unterschreiben und der Geschäftsstelle zu übergeben (§105 Abs. 4 Satz 3 FGO).
Der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes hat für den Fall der Verkündung des Urteils in der mündlichen Verhandlung oder in einem eigens anberaumten Verkündungstermin das Wort "alsbald" i. S. dieser Vorschrift in seinem Beschluß vom 27. April 1993 GmS-OGB 1/92 (Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1993, 674, Neue Juristische Wochenschrift 1993, 2603) so ausgelegt, daß Tatbestand und Entscheidungsgründe binnen fünf Monaten nach Verkündung schriftlich niedergelegt, von den Richtern besonders unterschrieben und der Geschäftsstelle übergeben werden müssen. Geschieht dies nicht, gilt ein bei der Verkündung noch nicht vollständig abgefaßtes Urteil i. S. des §138 Nr. 6 der Verwaltungsgerichtsordnung, der §105 Abs. 4 FGO entspricht, als nicht mit Gründen versehen (vgl. BFH-Urteil vom 10. November 1993 II R 39/91, BFHE 172, 404, BStBl II 1994, 187).
Im Streitfall wurde das Urteil ausweislich des Protokolls über die mündliche Verhandlung am Tag der mündlichen Verhandlung, also am 10. September 1996, um 16.30 Uhr verkündet. Die Fünf-Monats-Frist begann demnach mit Ablauf des 10. September 1996 und endete am 10. Februar 1997 (§54 Abs. 2 FGO i. V. m. §222 Abs. 1, 2 ZPO, §187 Abs. 1, §188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches).
Nach Aktenlage ist das vollständige, von den Berufsrichtern unterschriebene Urteil am 31. Januar 1997 und somit vor Ablauf der Fünf-Monats-Frist bei der Geschäftsstelle eingegangen.
3. Die über die Rüge der fehlenden Begründung hinausgehenden Ausführungen des Klägers, die sich mit der möglicherweise unterbliebenen Erstellung des Protokolls des Erörterungstermins am 10. August 1994 befassen, lassen nicht erkennen, welche weiteren wesentlichen Mängel des Verfahrens i. S. des §116 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 FGO der Kläger rügen will. Das Vorbringen des Klägers im Schriftsatz vom 18. März 1997, "es dürfte daher ein Verfahrensfehler im Sinne der absoluten Revisionsgründe vorliegen" wird den Anforderungen des §120 Abs. 2 Satz 2 FGO an eine aus sich heraus verständliche Revisionsbegründung nicht gerecht.
Fundstellen
Haufe-Index 67570 |
BFH/NV 1998, 1238 |