Entscheidungsstichwort (Thema)
Duldungsbescheid und Sachaufklärungsrüge
Leitsatz (NV)
Ob eine Tatsache für den Ausgang des Rechtsstreits erheblich ist und einer weiteren Sachaufklärung bedarf, bestimmt sich nicht nach der Rechtsauffassung des Beteiligten, der die Beweiserhebung beantragt, sondern ist danach zu beurteilen, ob die aufzuklärende Tatsache auf der Grundlage der vom FG vertretenen materiell-rechtlichen Auffassung hätte entscheidungserheblich sein können.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 76 Abs. 1
Tatbestand
Die von der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) erhobene Anfechtungsklage gegen den Duldungsbescheid des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt ―FA―) vom 26. April 1991 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 13. Mai 1992 wurde vom Finanzgericht (FG) als unbegründet abgewiesen.
Das FG führte aus, das FA habe mit dem angefochtenen Duldungsbescheid zu Recht die mit notariellem Vertrag vom 28. Februar 1990 vorgenommene Schenkung von Grundstücken des Ehemanns der Klägerin an diese gemäß § 191 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 4 des Anfechtungsgesetzes in der damals geltenden Fassung angefochten. Anders als die Klägerin meine, sei das Tatbestandsmerkmal der Unentgeltlichkeit erfüllt. Der vorliegende notarielle Grundstücksübergabevertrag sei ausdrücklich als Schenkungsvertrag bezeichnet. Im Vertrag selbst gebe es weder eine ausdrückliche Vereinbarung noch Anhaltspunkte oder Hinweise auf eine Motivation dergestalt, dass eine entgeltliche Übertragung als Ausgleich für bereits vorher von der Klägerin an ihren Ehemann erbrachte Zahlungen beabsichtigt gewesen sei. Zwar könnten auch Umstände außerhalb der notariellen Urkunde bei ihrer Auslegung berücksichtigt werden, wenn sie in der Urkunde zumindest angedeutet seien. Im Streitfall fehlten indes auch solche Andeutungen; vielmehr spreche die Urkunde eindeutig für eine Schenkung. Auch der notarielle Ehevertrag vom 4. Dezember 1989, den die Klägerin als Einheit mit dem Schenkungsvertrag betrachtet wissen möchte, enthalte keinerlei Hinweise auf eine Grundstücksschenkung an die Klägerin. Die Einzelaufzählung der darin aufgeführten, an die Klägerin zu übereignenden (beweglichen) Gegenstände spreche für eine abschließende Aufzählung. Für beide notariellen Verträge gelte der Grundsatz der Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit. Beweisanregungen der Klägerin brauche der Senat nicht nachzugehen, weil sich für die Behauptung der Klägerin, das Grundstück sei entgeltlich erworben, aus diesen Urkunden keinerlei Anhaltspunkte ergäben. Auch in der bereits vorliegenden eidesstattlichen Versicherung des P, dessen ladungsfähige Anschrift in Korea im Übrigen nicht bekannt sei, und in den zur Niederschrift des FA abgegebenen Erklärungen der Klägerin und des P werde nur Bezug auf die im Ehevertrag bezeichneten Hausratsgegenstände genommen.
Ihre Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision stützt die Klägerin auf Verfahrensfehler des FG. Das FG habe die in der Klageschrift gemachten Beweisangebote der Klägerin (die Einvernahme des P und ihres Ehemannes als Zeugen), dass es sich bei der Übertragung der Immobilien nicht um eine entgeltliche Verfügung gehandelt habe, sondern um einen Ausgleich für von der Klägerin an ihren Ehemann geleistete Zahlungen, übergangen. Das FG sei dabei unzutreffenderweise davon ausgegangen, dass Umstände außerhalb der notariellen Grundstücksübergabeurkunde unbeachtlich seien. Hätte es die Zeugen gehört, hätte es zu dem Ergebnis kommen müssen, dass Abschluss von Ehevertrag und Schenkungsvertrag in engem, auch zeitlichem, Zusammenhang stünden und zusammen mit der Zur-Verfügung-Stellung des Betrages von … als einheitlicher Lebenssachverhalt, nämlich als entgeltliche Übertragungen, zu werten seien.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Maßgeblich für die Prüfung der Beschwerde hinsichtlich ihrer Zulässigkeit und damit auch ihrer Begründetheit sind noch die bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Vorschriften, da die angefochtene Entscheidung vor dem 1. Januar 2001 verkündet worden ist (Art. 4 des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze vom 19. Dezember 2000, BGBl I, 1757).
2. Der von der Klägerin behauptete Verfahrensmangel der Verletzung der Sachaufklärungspflicht infolge des Übergehens von Beweisangeboten (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―, § 76 Abs. 1 FGO) liegt jedenfalls nicht vor.
a) Nach § 76 Abs. 1 FGO erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen. Es ist dabei an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ist diese Bestimmung dahin auszulegen, dass die Tatsacheninstanz gehalten ist, erforderlichenfalls unter Ausnutzung aller verfügbarer Beweismittel den Sachverhalt so vollständig wie möglich aufzuklären. Sie darf daher auf die Erhebung eines von einem Beteiligten bezeichneten Beweismittels im Regelfall nur verzichten, wenn sie die Richtigkeit der durch das Beweismittel zu beweisenden Tatsache zugunsten der betreffenden Partei unterstellt, das Beweismittel nicht erreichbar oder die Tatsache rechtsunerheblich ist (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. die Senatsurteile vom 10. Januar 1978 VII R 106/74, BFHE 124, 305, 307, BStBl II 1978, 311, und vom 19. September 1985 VII R 164/84, BFH/NV 1986, 674).
b) Ob eine Tatsache für den Ausgang des Rechtsstreits erheblich ist und damit einer weiteren Sachaufklärung bedarf, bestimmt sich nicht nach der Rechtsauffassung des Beteiligten, der die Beweiserhebung beantragt, sondern ist danach zu beurteilen, ob die aufzuklärende Tatsache auf der Grundlage der vom FG vertretenen materiell-rechtlichen Auffassung hätte entscheidungserheblich sein können. Tatsachen, die hiernach nicht entscheidungserheblich sind, braucht das FG weder auf Antrag noch von Amts wegen aufzuklären (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 1. Dezember 1998 VII B 192/98, BFH/NV 1999, 660).
c) So verhält es sich aber im Streitfall. Das FG hat eingehend ausgeführt, dass nach der von ihm zugrunde gelegten Rechtsauffassung für die Auslegung des notariellen Grundstücksübergabevertrags Umstände außerhalb der Urkunde, für deren Vollständigkeit und Richtigkeit eine Vermutung spreche, nur dann herangezogen werden könnten, wenn sie in der Urkunde zumindest angedeutet seien, dort also irgendeinen Anhalts- oder Bezugspunkt fänden. Das FG konnte indes weder in der notariellen Urkunde über den Grundstücksübergabevertrag noch in derjenigen über den Ehevertrag der Klägerin mit ihrem Mann irgendwelche Anhaltspunkte oder Hinweise auf Motivationen dahin gehend finden, dass die Eheleute statt der dort ausdrücklich bezeichneten Schenkung der Grundstücke ein entgeltliches Geschäft hätten durchführen wollen. Ausgehend von dieser Rechtsauffassung des FG war es für die Entscheidung des Rechtsstreits unerheblich, welche Aussagen der von der Klägerin als Zeuge benannte P oder ihr als Zeuge benannter Ehemann zu den Motivationen der Eheleute bei der Durchführung der Grundstücksübertragungen hätten machen können. Auf diese Aussagen kam es nach der materiellen Rechtsauffassung des FG, gegen welche die Klägerin in ihrer Beschwerde selbst keinen im Hinblick auf die Zulassung der Revision relevanten Angriff geführt hat, folglich nicht an. Die diesbezügliche Aufklärungsrüge der Klägerin erweist sich daher als unbegründet, so dass der Senat es auch dahinstehen lassen kann, ob die Rüge überhaupt den formellen Anforderungen an eine Aufklärungsrüge entspricht.
Fundstellen