Entscheidungsstichwort (Thema)
Adressierung eines eine Künstlergruppe betreffenden Nachforderungsbescheids; vorschriftsmäßige Kürzung der Vergütung
Leitsatz (NV)
1. Es ist ernstlich zweifelhaft, ob ein Nachforderungsbescheid betreffend Abzugssteuer nach § 50 a Abs. 4 Nr. 1 EStG an eine Künstlergruppe oder an deren einzelne Mitglieder zu richten ist.
2. Bei summarischer Beurteilung ist davon auszugehen, daß ein Vergütungsschuldner dann die Vergütung nicht vorschriftsmäßig i. S. des § 50 a Abs. 5 Satz 6 Nr. 1 EStG gekürzt hat, wenn materiellrechtlich eine Verpflichtung zum Einbehalt bestanden hat.
Normenkette
EStG § 50a; AO 1977 § 119 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die in den USA ansässigen Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) sind die Mitglieder der X-Gruppe. Sie erhielten im Jahr 1991 von dem im Inland ansässigen Veranstalter Y-GmbH eine Bruttovergütung in Höhe von ... DM. Einen Steuerabzug nach § 50 a Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nahm die Y-GmbH nicht vor, weil ihr im Zeitpunkt der Zahlung eine Freistellungsbescheinigung des Bundesamts für Finanzen (BfF) vorlag, wonach die Einkünfte aus der künstlerischen Tätigkeit der Z, Inc. i. S. des Art. 17 Abs. 2 des Doppelbesteuerungsabkommens USA (DBA-USA) 1989 zuzurechnen waren. Nach korrigierter Sachverhaltsdarstellung hob das BfF den Freistellungsbescheid auf. Der Prozeßbevollmächtigte der Antragsteller beantragte, nunmehr gegen die X-Gruppe einen Steuerbescheid gemäß § 50 a Abs. 4 EStG zu erlassen. Daraufhin erließ der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) einen Nachforderungsbescheid über Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag, der als Betreff die X-Gruppe auswies und in dessen Begründung die Gruppe als beschränkt steuerpflichtig bezeichnet wurde.
Gegen diesen Nachforderungsbescheid wurde Einspruch eingelegt und Aussetzung der Vollziehung bzw. nach Zahlung Aufhebung der Vollziehung beantragt. Wegen der Höhe der Abzugssteuer beantragten die Antragsteller Billigkeitsmaßnahmen. Über den Einspruch und die Beschwerde gegen die Versagung von Billigkeitsmaßnahmen ist noch nicht entschieden.
Der Antrag auf Aufhebung der Vollziehung wurde vom FA abgelehnt. Ein entsprechender an das Finanzgericht (FG) gestellter Antrag blieb ebenfalls erfolglos. Das FG hat die Beschwerde zugelassen.
Die Antragsteller haben Beschwerde eingelegt.
Das FG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist begründet, weil ernstliche Zweifel an der ordnungsgemäßen Adressierung des Nachforderungsbescheides bestehen.
Gemäß § 69 Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) soll die Aufhebung der Vollziehung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Die Rechtmäßigkeit eines Steuerbescheides ist ernstlich zweifelhaft, wenn bei Prüfung der Sach- und Rechtslage aufgrund der präsenten Beweismittel, der gerichtsbekannten Tatsachen und des unstreitigen Sachverhalts erkennbar wird, daß aus gewichtigen Gründen Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen besteht und sich bei abschließender Klärung dieser Frage der Bescheid als rechtswidrig erweisen könnte (vgl. z. B. Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 17. Mai 1978 I R 50/77, BFHE 125, 423, BStBl II 1978, 579; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 69 Rdnr. 77 ff. m. w. N.). Es bestehen ernstliche Zweifel in diesem Sinne, ob das FA den Nachforderungsbescheid zu Recht an die X-Gruppe richten konnte.
1. Nach § 157 Abs. 1 Satz 2 der Abgabenordnung (AO 1977) müssen schriftliche Steuerbescheide u. a. angeben, wer die Steuer schuldet. Die Frage, wer Steuerschuldner ist, regelt jeweils das einschlägige Einzelsteuergesetz und damit im Streitfall das EStG. Nach § 50 a Satz 2 EStG wird der "beschränkt steuerpflichtige Gläubiger" ausdrücklich als Steuerschuldner bezeichnet. Wird die Vereinbarung über die künstlerischen Auftritte im Inland mit einer Künstlergruppe abgeschlossen, so besteht die Besonderheit, daß diese zivilrechtlich zwar Gläubiger der Vergütung i. S. des § 50 a Abs. 5 Satz 2 EStG ist, nach der Systematik des EStG aber nicht beschränkt steuerpflichtig sein kann (vgl. §§ 1, 18 Abs. 4 i. V. m. § 15 Abs. 1 EStG). Steuerschuldner sind die einzelnen Gruppenmitglieder (vgl. z. B. Schmidt, Einkommensteuergesetz, 14. Aufl., § 15 Rdnr. 160 m. w. N.). Für beschränkt Steuerpflichtige gilt nichts anderes (vgl. BFH-Urteil vom 23. Oktober 1991 I R 86/89, BFHE 166, 74, BStBl II 1992, 185 m. w. N.; vgl. auch BFH-Urteil vom 20. Juli 1988 I R 174/85, BFHE 154, 495, BStBl II 1989, 87). In einem Steuerbescheid, der die von einer Künstlergruppe erzielten Einkünfte betrifft, sind daher als Steuerschuldner die einzelnen Gruppenmitglieder mit ihren jeweiligen Gewinnanteilen zu bezeichnen. Ist nicht der Gewinn, sondern sind ausnahmsweise, wie im Streitfall, die Einnahmen Besteuerungsgrundlage (§ 50 a Abs. 4 Sätze 2 und 3 EStG), so sind die auf das jeweilige Gruppenmitglied entfallenden Einnahmen anzugeben. Diesen Grundsätzen entspricht der mit dem Einspruch angefochtene Nachforderungsbescheid nicht, da dort als beschränkt Steuerpflichtiger ausdrücklich die X-Gruppe bezeichnet und der Bescheid entsprechend adressiert wurde.
Der Senat verkennt nicht, daß die Bezeichnung "X-Gruppe" als Sammelbezeichnung für die Gesellschafter angesehen werden könnte. Es bestehen aber aufgrund der bisherigen Rechtsprechung ernstliche Zweifel, ob ein Bescheid, dessen Adressaten nur anhand außerhalb des Bescheides liegenden Umständen ermittelt werden können, dem Gebot inhaltlicher Bestimmtheit des Verwaltungsaktes (§ 119 Abs. 1 AO 1977) entspricht. Eine ordnungsgemäße und dem Bestimmtheitsgebot entsprechende Adressierung verlangt grundsätzlich, daß dem Bescheid selbst, ggf. einschließlich seiner Anlagen, der Bescheidsadressat mit notwendiger Sicherheit zu entnehmen ist (vgl. z. B. BFH-Urteile vom 9. September 1986 VIII R 267/80, BFH/NV 1987, 15; vom 25. September 1990 IX R 84/88, BFHE 162, 4, BStBl II 1991, 120; vom 8. Juli 1992 XI R 61, 62/89, BFH/NV 1993, 14; vom 28. März 1979 I R 219/78, BFHE 128, 14, BStBl II 1979, 718). Der angefochtene Bescheid enthält aber keinerlei Angaben zu den einzelnen Mitgliedern der X-Gruppe. Auch eine "Klarstellung"in der Einspruchsentscheidung wird als nicht ausreichend beurteilt (vgl. BFH-Urteil vom 9. Dezember 1992 II R 43/88, BFH/NV 1993, 702). Auf die Entscheidung des II. Senats des BFH vom 11. Februar 1987 II R 103/84 (BFHE 149, 12, BStBl II 1987, 325) kann sich das FA nicht mit Erfolg berufen, da die Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) zwar Schuldnerin der Grunderwerbsteuer, nicht aber der Einkommensteuer sein kann. Aus der Entscheidung des erkennenden Senats vom 20. Juli 1988 I R 61/85 (BFHE 154, 473, BStBl II 1989, 99) läßt sich zugunsten des FA für den Streitfall nichts ableiten.
Der Senat muß in diesem Verfahren offenlassen, ob die Anforderungen an die Bezeichnung des Steuerschuldners aufgrund des Sinn und Zwecks des Steuerabzugsverfahrens nach § 50 a Abs. 4 EStG niedriger anzusetzen sind. Eine derartige, von den allgemeinen Grundsätzen abweichende Auflockerung der Adressatenbestimmung ist dem Hauptsacheverfahren vorzubehalten.
2. Die Aufhebung der Vollziehung erfolgt gegen Sicherheitsleistung gemäß § 69 Abs. 3 Satz 3 FGO, da die Steuerschuldner ihren Wohnsitz im Ausland haben und daher eine Vollstreckung im Inland aller Voraussicht nach keine Aussicht auf Erfolg hat (vgl. z. B. Gräber/Koch, a.a.O., § 69 Rdnr. 144 m. w. N.). Der Senat hat keine ernstlichen Zweifel, daß der Nachforderungsbescheid im übrigen rechtmäßig ist.
Da nach eigenen Angaben des Prozeß bevollmächtigten (vgl. Schreiben vom 14. September 1993, Schreiben vom 20. Dezember 1993) wahrer Vergütungsgläubiger die X-Gruppe war, kann bei summarischer Betrachtung davon ausgegangen werden, daß die Antragsteller Steuerschuldner sind und damit die Z Inc. als Steuerschuldnerin ausscheidet.
Das FA ist zuständig für die Besteuerung des Vergütungsschuldners und damit zuständig für den Erlaß eines Nachforderungsbescheids (§ 73 g der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung -- EStDV --; BFH-Urteil vom 18. Mai 1994 I R 21/93, BFHE 174, 430, BStBl II 1994, 697). Außerdem ist nach den Feststellungen des FG das FA auch (nach Nr. 29 b der Anlage 3 zur Finanzamtszuständigkeitsverordnung vom 7. Dezember 1992, Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt 1992, 741, 756) zuständig für den Steuerabzug nach § 50 a Abs. 4 EStG.
Die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Inanspruchnahme der Antragsteller als beschränkt Steuerpflichtige liegen bei summarischer Betrachtung der Rechtslage ebenfalls vor. Gemäß § 50 a Abs. 5 Satz 6 EStG wird der Steuerschuldner nur in Anspruch genommen, wenn der Vergütungsschuldner die Vergütung nicht vorschriftsmäßig gekürzt hat oder wenn der beschränkt steuerpflichtige Gläubiger weiß, daß der Schuldner die einbehaltene Steuer nicht vorschriftsmäßig abgeführt hat und dies dem FA nicht unverzüglich mitteilt. Die Frage, ob die Vergütung vorschriftsmäßig gekürzt wurde, kann nach materiellem oder formellem Recht beantwortet werden, so daß insoweit § 50 a Abs. 5 Satz 6 Nr. 1 EStG zwar auslegungsbedürftig erscheint. Es ist jedoch unstreitig, daß die materiellen Voraussetzungen für eine Erteilung der Freistellungsbescheinigung gemäß § 50 d Abs. 3 EStG, Art. 17 Abs. 2 DBA-USA 1989 im Streitfall nicht vorlagen, weil der Gewinn der Tournee an die Antragsteller ausgekehrt wurde. Aus dieser Sicht gesehen wäre der Steuerabzug vorschriftswidrig unterlassen worden. Andererseits kann der Vergütungsschuldner nach § 50 d Abs. 3 EStG den Steuerabzug unterlassen, wenn ihm eine Freistellungsbescheinigung im Zeitpunkt der Zahlung der Vergütung vorliegt. Aus der Sicht des Vergütungsschuldners hat sich dieser also im Streitfall vorschriftsmäßig verhalten. Der Senat hält es bei summarischer Betrachtung, insbesondere unter Berücksichtigung des Sinns und Zwecks des § 50 a Abs. 5 Sätze 5 und 6 EStG, jedoch für unvertretbar, die Inanspruchnahme des Steuerschuldners abzulehnen, wenn dieser, ggf. im Zusammenwirken mit einem Dritten (hier: Z Inc.), aufgrund einer unrichtigen Sachverhaltsdarstellung eine Freistellungsbescheinigung des BfF erwirkte. Eine solche Gesetzesbetrachtung würde de facto zu einer gesetzlich ungewollten und sachlich ungerechtfertigten Freistellung von der Steuer führen, da der Vergütungsschuldner nach § 50 d Abs. 3 EStG grundsätzlich auf die Rechtmäßigkeit der vorliegenden Freistellungsbescheinigung des BfF vertrauen darf und daher seine Haftungsinanspruchnahme nach § 191 AO 1977 zumindest ermessensfehlerhaft erscheint. Der Senat folgt insoweit den Ausführungen der Vorentscheidung.
Der Höhe nach entspricht die nachgeforderte Steuer § 50 a Abs. 4 Satz 3 EStG. Über die Frage, ob im Streitfall die Steuer vom Gesetz abweichend im Billigkeitswege herabzusetzen ist, ist im anhängigen Verfahren nicht zu entscheiden. Ergänzend wird auf den Beschluß des Senats vom 9. Juni 1993 I B 12/93 (BFH/NV 1993, 726) Bezug genommen.
Fundstellen
Haufe-Index 420878 |
BFH/NV 1996, 311 |