Entscheidungsstichwort (Thema)
Aussetzung der Vollziehung bei Anhängigkeit einer Nichtzulassungsbeschwerde
Leitsatz (NV)
1. Zu den Voraussetzungen für die Aussetzung der Vollziehung eines (Rückforderungs-)Bescheids, hinsichtlich dessen -- nach Abweisung der Klage durch das FG -- eine Nichtzulassungsbeschwerde beim BFH anhängig ist.
2. Zu den Zulassungsgründen: grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und Verfahrensfehler (Verletzung rechtlichen Gehörs und Verletzung der Verpflichtung zur Berücksichtigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens).
Normenkette
FGO § 69 Abs. 2-3, § 96 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, § 116 Abs. 2 Nrn. 1, 3, Abs. 3 S. 3; AO 1977 § 37 Abs. 2
Tatbestand
Der Kläger, Antragsteller und Beschwerdeführer (Kläger) und seine Ehefrau leben seit März 1994 getrennt. Beide Ehegatten bezogen im Streitjahr 1993 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. In ihrer gemeinsamen Einkommensteuererklärung für 1993 war als Bankverbindung das Konto der Ehefrau angegeben. Auf Veranlassung des Klägers überwies aber der Beklagte, Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) den Erstattungsbetrag von insgesamt ca. 10 000 DM auf das Bankkonto des Klägers.
Später überwies das FA den nach Aufteilung auf die Ehefrau entfallenden Anteil an dem Erstattungsanspruch in Höhe von ca. 3500 DM auf deren Bankkonto und forderte vom Kläger diesen Betrag zurück. Der Einspruch und die Klage des Klägers gegen den Rückforderungsbescheid blieben erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) führte im wesentlichen aus, der Rückforderungsanspruch gegen den Kläger ergebe sich daraus, daß das FA den auf die Ehefrau entfallenden Erstattungsbetrag ohne rechtlichen Grund an den Kläger ausgezahlt habe (§ 37 Abs. 2 der Abgabenordnung -- AO 1977 --). In dem Fall, in dem die Erstattung allein Steuern betreffe, die im Wege des Steuerabzugs von den Arbeitslöhnen der zusammenveranlagten Ehegatten einbehalten worden seien, bestimme sich die Höhe des Erstattungsanspruchs jedes Ehegatten grundsätzlich nach dem Verhältnis der bei den Ehegatten einbehaltenen Lohnsteuerabzugsbeträge (Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 5. April 1990 VII R 2/89, BFHE 160, 400, BStBl II 1990, 719). Bei Ehegatten, die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt worden seien, wirke zwar grundsätzlich die Auszahlung an einen Ehegatten auch für und gegen den anderen Ehegatten (§ 36 Abs. 4 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes -- EStG --). Das FA dürfe den Erstattungsbetrag aber dann nicht mehr an den materiell nicht erstattungsberechtigten Ehepartner auszahlen, wenn es erkenne oder erkennen müsse, daß der andere Ehegatte mit dieser Verfahrensweise aus beachtlichen Gründen nicht einverstanden sei (BFH-Urteil vom 8. Januar 1991 VII R 18/90, BFHE 163, 505, BStBl II 1991, 442).
Im Streitfall sei der Erstattungsanspruch der Ehefrau durch die Überweisung auf das Konto des Klägers nicht erloschen. Wegen der ausdrücklichen Anweisung in der Einkommensteuererklärung, einen Erstattungsbetrag auf das Konto der Ehefrau zu überweisen, habe das FA -- unabhängig von der Tatsache des Getrenntlebens der Eheleute -- die Erstattung nicht auf ein anderes Konto -- hier das Konto des Klägers -- leisten dürfen (BFH in BFHE 160, 400, BStBl II 1990, 719). Da die schuldbefreiende Wirkung des § 36 Abs. 4 Satz 3 EStG insoweit nicht habe eintreten können, habe die Ehefrau die Auszahlung des Erstattungsbetrages an sich verlangen können, soweit sie Erstattungsberechtigte sei.
Der Kläger hat gegen das Urteil des FG Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt (Aktenzeichen VII B 198/95). Im vorliegenden Verfahren beantragt er -- nach Ablehnung eines entsprechenden Antrags durch das FA -- bis zur Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde und ggf. bis zur Entscheidung über die Revision die Vollziehung des Rückforderungsbescheids des FA auszusetzen.
Die Nichtzulassungsbeschwerde wird auf die Verletzung rechtlichen Gehörs und auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützt. Im Zusammenhang mit den geltend gemachten Zulassungsgründen trägt der Kläger im Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung vor, es bestünden Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Rückforderungsbescheids, da das FA hier aufgrund einer Ermessensreduzierung auf Null (Vertrauensschutz) von ihm die Rückforderung des auf die Ehefrau entfallenden Erstattungsbetrages nicht verlangen dürfe und ihm durch die Rückforderung die Geltendmachung seiner Gegenansprüche gegen die Ehefrau abgeschnitten werde.
Entscheidungsgründe
Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Rückforderungsbescheids ist unbegründet.
1. Der BFH ist nach Einlegung der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision als Gericht der Hauptsache für die Entscheidung über den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung zuständig (§ 69 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --; BFH-Beschluß vom 12. August 1991 III S 7/91, BFH/NV 1992, 124).
Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 FGO kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, richtet sich bei Bescheiden, derentwegen ein Rechtsstreit in der Revisionsinstanz anhängig ist, nach revisionsrechtlichen Grundsätzen. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit können in einem solchen Fall nur dann bestehen, wenn auch unter Beachtung der nur noch beschränkten Prüfungsmöglichkeit des Revisionsgerichts ernstlich mit der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Verwaltungsakts zu rechnen ist (BFH-Beschluß vom 4. Dezember 1987 V S 9/85, BStBl II 1988, 702, 705).
Dazu ist bei einer anhängigen Nichtzulassungsbeschwerde zunächst zu prüfen, ob gemäß § 115 FGO mit der Zulassung der Revision zu rechnen ist. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen jedenfalls dann nicht, wenn die Nichtzulassungsbeschwerde keine Aussicht auf Erfolg hat und demnach die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids nicht Gegenstand eines Hauptverfahrens beim BFH sein kann. Entsprechendes gilt für die Aussetzung der Vollziehung wegen unbilliger Härte (vgl. BFH-Beschuß vom 29. Oktober 1991 IX S 1/91, BFH/NV 1992, 259, 260 m. w. N.).
Im Streitfall konnte die vom Kläger eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde aus den nachstehenden Gründen keinen Erfolg haben, so daß auch der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Rückforderungsbescheids abzulehnen war.
2. Die vom Kläger vorgetragenen Gründe rechtfertigen nicht die Zulassung der Revision gegen das angefochtene Urteil des FG.
a) Der Kläger rügt die Verletzung rechtlichen Gehörs, weil das FG auf seinen Vortrag in der mündlichen Verhandlung nicht eingegangen sei, die Rückzahlung des auf die Ehefrau entfallenden Erstattungsbetrages könne wegen Ermessensreduzierung auf Null nicht verlangt werden, weil das FA in Kenntnis bestehender Gegenansprüche, die ihm gegenüber seiner Ehefrau zustünden, den Gesamtbetrag an ihn ausgezahlt habe, und das FA es versäumt habe, die Ehefrau nach deren Zustimmung zu der von ihm (dem Kläger) veranlaßten Angabe des Erstattungskontos zu befragen. Es kann dahinstehen, ob und unter welchen Voraussetzungen in der Nichtberücksichtigung klägerischen Vorbringens durch das Gericht eine Verletzung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO) liegen kann oder ob darin nicht lediglich der Verfahrensfehler des Verstoßes gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO zu sehen wäre, weil das Gericht seiner Entscheidung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde gelegt hat (vgl. Klein/Ruban, Der Zugang zum Bundesfinanzhof, Rdnr. 107 und 169). Der mit der Beschwerde gerügte Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) liegt jedenfalls nicht vor, weshalb auch unentschieden bleiben kann, ob er gemäß § 115 Abs. 3 Satz 3 i. V. m. § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO in der gebotenen Form bezeichnet worden ist.
Das FG hat im Tatbestand seines Urteils den angeblich übergangenen Parteivortrag erwähnt, indem es das Vorbringen des Klägers zu dem Verwaltungsermessen bei der Erstattung, zu dem drohenden Verlust seiner Gegenansprüche gegenüber der Ehefrau bei Geltendmachung des Rückforderungsanspruchs durch das FA und zu dem Interesse des Klägers an einer Aufrechnung seiner Gegenansprüche mit dem Erstattungsanspruch der Ehefrau dargestellt hat. Es kann deshalb nicht davon ausgegangen werden, daß das Gericht diesen Vortrag des Klägers bei seiner Entscheidung übergangen hat.
Wenn der Vortrag in den Rechtsausführungen der Entscheidungsgründe keine Erwähnung mehr gefunden hat, so beruht dies darauf, daß das vorstehend dargestellte klägerische Vorbringen für die Entscheidung des FG unerheblich war. Denn dem Urteil des FG liegt die Auffassung zugrunde, daß mangels Anwendbarkeit des § 36 Abs. 4 Satz 3 EStG im Streitfall die sich bei der Einkommensteuerveranlagung ergebende Erstattung aus Rechtsgründen an den jeweils materiell erstattungsberechtigten Ehegatten zu leisten war und -- soweit das nicht in dieser Weise erfolgt ist -- ein Rückforderungsanspruch des FA gemäß § 37 Abs. 2 AO 1977 gegeben ist. Bei dieser rechtlichen Betrachtungsweise, die auch der Beurteilung in dem vom FG zitierten Senatsurteil in BFHE 160, 400, BStBl II 1990, 719 entspricht, war für eine behördliche Ermessensentscheidung bei der Erstattung oder Rückforderung, für eine Berücksichtigung zivilrechtlicher Ansprüche zwischen den Ehegatten und -- angesichts der dem FA bekannten gegensätzlichen Angaben der Ehegatten zum Erstattungskonto -- auch für eine nochmalige Rückfrage des FA bei der Ehefrau des Klägers vor der Erstattung kein Raum.
Da bei der Prüfung, ob ein Verfahrensmangel vorliegt, von dem materiell-rechtlichen Standpunkt der Vorinstanz auszugehen ist (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 115 Rdnr. 24 m. w. N.), hat das FG mit der Nichterwähnung des angeführten Klagevorbringens in den Entscheidungsgründen jedenfalls nicht gegen seine Verpflichtung zur Berücksichtigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens (§ 96 Abs. 1 FGO) verstoßen.
b) Soweit sich der Kläger auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache hinsichtlich der Fragen beruft, ob die Rückforderung des streitigen Betrages nicht mehr verlangt werden kann (1) wegen einer Ermessensreduzierung auf Null, weil sich aus dem vorangegangenen Verhalten des FA ein Vertrauensschutz für den Kläger ergäbe und (2) weil diesem sonst die Geltendmachung seiner Gegenansprüche gegen seine Ehefrau abgeschnitten würde, fehlt es bereits an der als Zulässigkeitsvoraussetzung der Beschwerde nach § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO gebotenen hinreichend substantiierten Darlegung einer Rechtsfrage und ihrer Bedeutung für die Allgemeinheit.
Eine Rechtsfrage hat grundsätzliche Bedeutung i. S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, wenn eine Rechtsfrage zu entscheiden ist, an deren Beantwortung ein allgemeines Interesse besteht, weil ihre Klärung das Interesse der Allgemeinheit an der Fortentwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Es muß sich um eine aus rechtssystematischen Gründen bedeutsame und auch für die einheitliche Rechtsanwendung wichtige Frage handeln (BFH-Beschluß vom 23. Januar 1992 II B 64/91, BFH/NV 1992, 676 m. w. N.).
Der Kläger hat eine klärungsbedürftige abstrakte Rechtsfrage von allgemeiner Bedeutung nicht dargelegt, denn die aufgeworfene Frage, ob unter bestimmten Umständen der Rückforderungsanspruch des FA nach § 37 Abs. 2 AO 1977 nicht geltend gemacht werden kann, orientiert sich an den Besonderheiten des Streitfalles (Ermessensreduzierung auf Null, vorausgegangenes Verhalten des FA, Vertrauensschutz, zivilrechtliche Gegenansprüche gegen die Ehefrau, kein anderweitiges Vermögen der Ehefrau), die einer Verallgemeinerung -- soweit ersichtlich -- nicht zugänglich sind. Für die Darlegung der über den Streitfall hinausgehenden Bedeutung der aufgeworfenen Frage reicht das Vorbringen des Klägers, der BFH habe darüber noch nicht entschieden und es stelle "sicherlich keinen Einzelfall" dar, daß ein Ehegatte gegen den anderen Rückgriffsansprüche habe, nicht aus.
Im übrigen ist -- wie oben ausgeführt -- nach der Rechtsprechung des Senats über das Bestehen von Erstattungs- und Rückforderungsansprüchen gemäß § 37 Abs. 2 AO 1977 nach festen Rechtsgrundsätzen zu entscheiden und für eine Ermessensausübung der Finanzbehörde (hier angeblich Ermessensreduzierung auf Null) kein Raum. Den Finanzbehörden wird bei der Entscheidung über einen steuerrechtlichen Erstattungs-/ Rückforderungsanspruch gemäß § 37 Abs. 2 AO 1977 -- wie der Senat bereits entschieden hat -- auch nicht zugemutet, im Einzelfall die zivilrechtlichen Beziehungen zwischen den Beteiligten daraufhin zu überprüfen, wer von ihnen -- im Innenverhältnis -- auf die zu erstattenden Beträge materiell-rechtlich einen Anspruch hat (vgl. BFH-Urteil vom 25. Juli 1989 VII R 118/87, BFHE 157, 326, 327, BStBl II 1990, 41). Das gilt offenkundig auch für vermögensrechtliche Ausgleichsansprüche zwischen Ehegatten als Erstattungsgläubiger des FA, so daß es insoweit einer höchstrichterlichen Entscheidung nicht mehr bedarf.
Der Senat hat demgemäß mit Beschluß vom heutigen Tage die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers zurückgewiesen. Das klageabweisende Urteil des FG ist damit rechtskräftig geworden. Da der Rückforderungsbescheid somit in Bestandskraft erwachsen ist, kann seine Vollziehung nicht mehr ausgesetzt werden.
Fundstellen
Haufe-Index 421059 |
BFH/NV 1996, 238 |