Entscheidungsstichwort (Thema)
Ruhen des Revisionsverfahrens; Wiedereinsetzung bei versäumter Revisionsbegründungsfrist; Erfordernisse der Revisionsbegründung
Leitsatz (NV)
1. Zum Ruhen des Verfahrens.
2. Das Ruhen des Revisionsverfahrens hat auf den Lauf der Revisionsbegründungsfrist keinen Einfluß.
3. Zum Erfordernis der Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung in der Revisionsbegründung.
4. Zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Beziehung auf die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist.
Normenkette
BFHEntlG Art. 1 Nr. 1; FGO § 56 Abs. 1-2, § 120 Abs. 1 S. 1, § 155; ZPO §§ 250, 251 Abs. 1 Sätze 1-2
Verfahrensgang
Tatbestand
Das FG wies die Klage ab mit der Begründung, die Monatsfrist des § 47 FGO sei versäumt.
Das Urteil wurde der Klägerin am 2. Mai 1983 zugestellt. Sie legte durch ihre Prozeßbevollmächtigten Revision ein. Entsprechend ihrem Antrag wurde die Frist für die Revisionsbegründung zunächst zweimal verlängert, und zwar bis zum 31. Januar 1984.
Mit Datum vom 24. Januar 1984 beantragte die Klägerin, das Ruhen des Verfahrens bis zur rechtskräftigen Entscheidung des BFH in einer anderen Sache anzuordnen. Außerdem bat sie mit Schriftsatz vom 26. Januar 1984 - beim BFH eingegangen am 30. Januar 1984 -, ,,Fristverlängerung für die Begründung der Revision bis zur Entscheidung über unseren Antrag vom 24. Januar 1984, das Ruhen des Verfahrens anzuordnen". Die Fristverlängerung wurde vom Senatsvorsitzenden antragsgemäß gewährt und diese Entscheidung der Klägerin durch Schreiben der Senatsgeschäftsstelle vom 31. Januar 1984 mitgeteilt.
Durch Beschluß vom 28. März 1984 ordnete der BFH gemäß § 155 FGO i. V. m. § 251 Abs. 1 Satz 1 ZPO das Ruhen des Verfahrens an, nachdem das FA sich dem entsprechenden Antrag der Klägerin angeschlossen hatte.
Durch Beschluß vom 27. Juni 1984 wies der BFH im Verfahren gemäß Art. 1 Nr. 7 BFHEntlG die Revision in der anderen Sache als unbegründet zurück. Daraufhin fragte der Senatsvorsitzende mit Verfügung vom 21. September 1984 bei den Beteiligten der vorliegenden Sache an, ob sie die Aufnahme des Verfahrens für angebracht halten. Entsprechende Anträge würden anheimgestellt. Die Klägerin wurde außerdem darauf hingewiesen, daß bisher keine Revisionsbegründung vorliege.
Die Beteiligten nahmen zu dieser Verfügung des Senatsvorsitzenden Stellung. Die Klägerin beantragte mit Schriftsatz vom 12. Oktober 1984 - beim BFH eingegangen am 15. Oktober 1984 - Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist und begründete gleichzeit die Revision.
Entscheidungsgründe
1. Das Verfahren ist (durch Beschluß) aufzunehmen. Denn die Gründe, welche den Senat zu dem Beschluß vom 28. März 1984 über das Ruhen des Verfahrens veranlaßt hatten, sind inzwischen weggefallen. In der anderen Sache ist am 27. Juni 1984 über die Revision entschieden worden. Der Senat sieht außerdem deshalb keinen Anlaß zu einem weiteren Ruhen des vorliegenden Verfahrens, weil es - entsprechend den Ausführungen unter II. 2. der Gründe - nach der inzwischen eingetretenen prozessualen Entwicklung auf die Entscheidung irgendwelcher materiell-rechtlicher Fragen ohnehin nicht ankommt.
2. a) Die Revision ist unzulässig, weil sie nicht innerhalb der Frist des § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO begründet worden ist.
Die Frist war zuletzt durch den Senatsvorsitzenden bis zur Entscheidung über den Antrag der Klägerin, das Ruhen des Verfahrens anzuordnen, verlängert worden. Die betreffende - bereits genannte - Entscheidung des Senats vom 28. März 1984 war der Klägerin nach ihrem Vortrag am 21. Mai 1984 zugegangen. Damit war an diesem Tag die Revisionsbegründungsfrist abgelaufen. Denn das Ruhen des Verfahrens war auf den Lauf der Frist ohne Einfluß (§ 155 FGO, § 251 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Die Revisionsbegründung (Schriftsatz vom 12. Oktober 1984) ging erst am 15. Oktober 1984 beim BFH ein.
Die Ausführungen der Klägerin in dem Schriftsatz vom 27. Mai 1983, mit welchen sie die Revision einlegte, können nicht als Revisionsbegründung gewertet werden. Sie beschränken sich auf die Rüge der ,,unzutreffenden Anwendung" des § 110 AO, des § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Niedersächsischen GrEStStrukturG und der ,,Außerachtlassung des Grundsatzes der Selbstbindung der Verwaltung, aufgrund dessen nach den Niedersächsischen Erlassen des Ministers der Finanzen vom 7. Juni 1971 (BStBl 1971 I S. 329, Ziff. II 1 a Absatz 6) und vom 28. Juli 1981 (BStBl 1981 I S. 592, 595, Ziff. 1.11) Grunderwerbsteuerbefreiung im Rahmen des GrEWiG auch im Falle der Betriebsaufspaltung zu gewähren ist". Eine Revisionsbegründung erfordert jedoch, daß der Revisionskläger sich mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzt und vorträgt, aus welchen Gründen er diese Entscheidung nicht für richtig hält (BFH-Beschluß vom 12. Februar 1975 VII R 5/72, BFHE 115, 180, BStBl II 1975, 609). Hier wären insbesondere Ausführungen der Klägerin notwendig gewesen, aus welchen Gründen sie entgegen der Auffassung des FG die Klage für zulässig hält.
Offenbar will die Klägerin ihre Ausführungen nicht als Revisionsbegründung verstanden wissen; denn sie beantragte in dem Schriftsatz gleichzeitig, ihr ,,für die Begründung der Revision Fristverlängerung von 6 Monaten zu gewähren".
b) Die vom Senatsvorsitzenden gewährte Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist entsprach dem Antrag der Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 26. Januar 1984. Die Klägerin meint, dieser Antrag könne nicht wörtlich ausgelegt werden. Eine Fristverlängerung bis zur Entscheidung des Senats über das Ruhen des Verfahrens sei ,,in sich . . . weder sachgerecht noch überhaupt vernünftig". Bei dieser Gestaltung wäre ihr (der Klägerin) der Ablauf der Frist erst an deren letztem Tag bekanntgeworden, nämlich mit dem Zugang der Entscheidung über das Ruhen des Verfahrens. ,,Eine sachgerechte Auslegung des Antrages vom 26. 1. 1984 auf Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist hätte demgemäß zu dem Ergebnis kommen müssen, daß die Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist bis zum Ablauf des Ruhens des Verfahrens begehrt wird". Gegen diese ,,sachgerechte" Auslegung gäbe es jedoch dieselben Argumente, welche die Klägerin gegen die wörtliche Auslegung erhebt. Auch der ,,Ablauf des Ruhens des Verfahrens" war nicht vorauszusehen, gleichgültig, ob er durch einen Beschluß des Senats oder durch die Zustellung eines entsprechenden Schriftsatzes eines Beteiligten geschah (§ 250 ZPO); denn die Klägerin wollte zumindest die Entscheidung des Senats in der anderen Sache abwarten, und deren Zeitpunkt war unbestimmt.
Unter diesen Umständen kann die Klägerin nicht bemängeln, daß ihr Antrag in dem Schriftsatz vom 26. Januar 1984 auf Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist entsprechend seinem eindeutigen Wortlaut verstanden wurde. Die Klägerin muß berücksichtigen, daß zu diesem Zeitpunkt die Revisionsbegründungsfrist schon um etwa ein halbes Jahr verlängert worden war und nunmehr von der Klägerin erwartet werden konnte, daß sie bald zu erkennen gab, aus welchen Gründen sie mit der Entscheidung des FG nicht einverstanden war. Bei dieser Sachlage war die Annahme gerechtfertigt, die Klägerin wolle die begehrte Fristverlängerung ohnehin nicht mehr voll ausnutzen und die Revisionsbegründung in absehbarer Zeit einreichen, so daß es ihr auf das schwierig zu ermittelnde Fristende nicht ankam. Der Senat ist nicht der Auffassung, daß der Vorsitzende oder die Senatsgeschäftsstelle bei den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin hätte rückfragen müssen, ob die beantragte Fristverlängerung ihrem Willen entsprach und den prozessualen Interessen ihrer Mandantin gerecht wurde. Eine solche Verpflichtung würde der mit Art. 1 Nr. 1 BFHEntlG beabsichtigten Entlastung des BFH nicht gerecht. Das Gericht muß davon ausgehen dürfen, daß Prozeßbevollmächtigte der in dieser Vorschrift genannten Art bloße Fristverlängerungsanträge entsprechend diesem Willen und diesen Interessen formulieren.
c) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist kann die Klägerin nicht mit Erfolg begehren, weil sie die Zweiwochenfrist des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO versäumt hat. Der Beschluß des Senats vom 28. März 1984 über das Ruhen des Verfahrens war der Klägerin am 21. Mai 1984 zugegangen. Damit wußte sie, daß die verlängerte Revisionsbegründungsfrist abgelaufen war und konnte nun innerhalb von zwei Wochen - nämlich bis zum 4. Juni 1984 - den Antrag auf Wiedereinsetzung stellen. Diesen Antrag hat sie aber erst am 15. Oktober 1984 mit dem Schriftsatz vom 12. Oktober 1984 gestellt. Wiedereinsetzung auch wegen Versäumung dieser Zweiwochenfrist kann der Klägerin nicht gewährt werden. Nach ihrem Vortrag ist (im Büro der Prozeßbevollmächtigten) ,,die Notierung einer Frist über die Erforderlichkeit der Revisionsbegründung nicht veranlaßt worden". Damit bleibt aber offen, weshalb nicht wenigstens innerhalb von zwei Wochen nach Eingang des Senatsbeschlusses vom 28. März 1984 ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist gestellt wurde. Denn nunmehr stand fest, daß die verlängerte Revisionsbegründungsfrist abgelaufen war.
Fundstellen
Haufe-Index 413896 |
BFH/NV 1986, 37 |